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Münster (upm/ch)
Der Weg von Löwenzahn als Wildpflanze zur landwirtschaftlich anbaubaren Zuchtpflanze ist weit. (Symbolfoto)<address>© Sharon Rosseels on Unsplash</address>
Der Weg von Löwenzahn als Wildpflanze zur landwirtschaftlich anbaubaren Zuchtpflanze ist weit. (Symbolfoto)
© Sharon Rosseels on Unsplash

"Inzwischen werden wir um dieses Thema beneidet"

Pflanzenzüchter Fred Eickmeyer über die Herausforderungen und Erfolge der Zucht von Löwenzahn als Kautschuk-Quelle

Der Russische Löwenzahn enthält – anders als seine einheimischen Verwandten – so viel Kautschuk, dass er für eine industrielle Nutzung interessant ist. Ein Team um Prof. Dr. Dirk Prüfer (Westfälische Wilhelms-Universität Münster), Dr. Christian Schulze Gronover (Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und Angewandte Oekologie IME) und Dr. Carla Recker (Continental) arbeitet seit etwa zehn Jahren daran, Naturkautschuk regional aus Löwenzahn zu gewinnen. Fahrradreifen aus der Pusteblume sind bereits auf dem Markt. Allerdings war und ist der Weg von der Wildpflanze zur wirtschaftlich anbaubaren Zuchtpflanze weit. Ein Schlüssel zu einer erfolgreichen Zucht ist die Grundlagenforschung im Labor, um zu verstehen, welche genetischen Ausprägungen die jeweils gewünschten Pflanzenmerkmale hervorbringen. Außerdem ist ein klassisches Pflanzenzuchtprogramm unerlässlich, um anbaufähigen Löwenzahn zu erhalten. Christina Hoppenbrock sprach mit Pflanzenzüchter Dr. Fred Eickmeyer vom „Team Löwenzahn“.

 

Pflanzenzüchter Dr. Fred Eickmeyer gehört gemeinsam mit münsterschen Forschern um Prof. Dr. Dirk Prüfer zum "Team Löwenzahn".<address>© privat</address>
Pflanzenzüchter Dr. Fred Eickmeyer gehört gemeinsam mit münsterschen Forschern um Prof. Dr. Dirk Prüfer zum "Team Löwenzahn".
© privat

Was hat Sie daran gereizt, sich mit der Zucht von Löwenzahn zu befassen?

Ich hatte mich gerade selbstständig gemacht. Mich hat damals gereizt, an einer Pflanze zu arbeiten, die züchterisch noch Neuland ist. Als ich das erste Treffen mit der AG Prüfer hatte, wusste ich noch nicht, worauf ich mich einlasse. Die Dimensionen des Themas waren für mich nicht abzusehen. Ich hatte damals jedoch schon das Gefühl, dass in den ersten Selektionsschritten von züchterisch bisher nicht bearbeiteten Pflanzen riesige Fortschritte erzielt werden können. Dieses Gefühl hat mich nicht getäuscht.

Welche Herausforderungen gab es?

Als besondere Herausforderung war anfangs klar, dass noch nichts über die Vererbung der kautschukrelevanten Gene bekannt ist. Ohne eine gewisse Vorstellung über Vererbungsmodi kann man aber kaum ein Zuchtprogramm planen, geschweige denn dimensionieren. Es bleibt einem dann nichts anderes übrig, als erst einmal mit vielen Pflanzen und vielen Kreuzungen zu starten, um dann allmählich eine Struktur aus den Ergebnissen auslesen zu können.

Wir begannen, sogenannte interspezifische Hybriden aus zwei Arten zu züchten: aus dem Russischen Löwenzahn (Taraxacum koksaghyz) und dem hiesigen Gemeinen Löwenzahn (Taraxacum officinale). Dazu mussten wir nicht nur über Artgrenzen hinweg kreuzen, sondern erschwerend kam hinzu, dass die beiden Arten eine unterschiedliche Anzahl an Chromosomensätzen besitzen und sich der hiesige Löwenzahn im Gegensatz zu seinem russischen Verwandten nicht geschlechtlich fortpflanzt ...

… Wozu benötigt man diese Hybriden denn überhaupt?

Der Russische Löwenzahn hat zu kleine Wurzeln, um in einem vertretbaren Zeitrahmen damit genügend Kautschuk zu erzeugen. Der hiesige Löwenzahn hat deutlich größere Wurzeln und die Hybriden daraus auch.

Aus mehreren tausend Kreuzungen haben wir schließlich sieben Samenkörner geerntet, die die Basis für einen Großteil unseres aktuellen Zuchtmaterials gelegt haben. Inzwischen haben wir verschiedene andere Kreuzungstypen ausprobiert und arbeiten weiter daran, die Zuchtwege, die wir damit eingeschlagen haben, zu systematisieren und in eine wissensbasierte Züchtung umzuwandeln.

Man muss sich darauf einstellen, dass alle diese Dinge mehrere Jahre und viel Geduld benötigen, um aus den einzelnen „Puzzleteilen“ ein Gesamtbild der nötigen Züchtungswerkzeuge und Zuchtverfahren zu gewinnen.

Hatten Sie Unterstützung durch weitere Partner?

Wir mussten eine schnelle, kostengünstige und aussagekräftige Serienanalytik für den Kautschukgehalt der Wurzel etablieren, ohne dass wir die Pflanze für die Analyse komplett verlieren. Zum Glück hatten wir mit dem Unternehmen lifespin im Bereich Kernspinresonanzspektroskopie- (NMR) -Analytik für andere Fragestellungen schon gute Erfahrungen gemacht und konnten die Kautschukanalytik über NMR bei lifespin sehr schnell aufbauen.

Gleiches gilt für die In-vitro-Vermehrung, also die Vermehrung über Gewebekulturen „im Reagenzglas“, und die Polyploidisierung – die für unsere Zuchtvorhaben nötige Vervielfältigung der Chromosomensätze der Löwenzahnpflanzen. Hier konnte uns die Firma Hortilab weiterhelfen.

Was macht die Zusammenarbeit mit dem Team aus Münster und von Continental zu etwas Besonderem?

Die Zusammenarbeit mit den Teams aus Münster und von Conti ist deswegen so besonders, weil wir es hier mit absoluten Profis auf ihren jeweiligen Arbeitsgebieten und auf Weltniveau zu tun haben. Wir haben erreicht, dass über nunmehr rund zehn Jahre bei allen Projektpartnern weitgehende personelle Konstanz vorhanden ist. Man muss also nicht alles wieder von vorne erklären, wenn neue Personen einsteigen. Inzwischen kennen wir uns so gut, dass jeder für den anderen Partner auch mitdenken kann und Dinge möglich gemacht werden, die nicht explizit in einem Forschungsantrag formuliert wurden. Dieser Umgang miteinander treibt das Thema meiner Meinung nach maßgeblich voran.

Neben der fachlichen Zusammensetzung klappt es aber auch menschlich zwischen den Partnern sehr gut. Alle sind trotz des Erfolgs des Themas auf dem Boden geblieben; wir üben und akzeptieren gegenseitige konstruktive Kritik. Es haben sich inzwischen Freundschaften gebildet und es macht einfach Spaß mit solch einem interdisziplinären Team arbeitsteilig zusammen zu arbeiten.

Inzwischen haben wir neben dem Löwenzahn auch weitere gemeinsame Themen gefunden, zum Beispiel die Züchtung und Erforschung von Heilpflanzen und Lupinen.

Welche Reaktionen gab es aus Ihrem Umfeld?

Es hat uns zwar niemand direkt ausgelacht, aber man hat doch gemerkt, dass das Thema in der ersten Zeit von den Züchterkollegen, aber auch von Projektträgern nicht recht ernst genommen wurde. Wir haben mit unserem Löwenzahnkonsortium jedoch schnell einige Trends bedienen können, zum Beispiel Regenwaldschutz, neue Kulturarten, Fruchtfolgeglieder, Insektenschutz, regionale Produktion, Bioökonomie. Das Thema Kautschuklöwenzahn lässt sich hier ohne gestelzt oder hingebogen zu wirken in alle Trends eingliedern.

Also hat sich etwas geändert …

Inzwischen werden wir – glaube ich – von manchen Kollegen um dieses Thema beneidet. Auch die verschiedenen Projektträger sind uns aufgrund der Fortschritte des Gesamtthemas und der inzwischen globalen Sichtbarkeit der Fortschritte inzwischen durchweg sehr wohlgesonnen. Denn das bisher Erreichte ist auch für die fördernden Ministerien und deren Projektträger ein Beleg dafür, dass Steuergelder hier sinnvoll investiert wurden. Zu Beginn der ersten Projekte wurden wir noch vom Bund der Steuerzahler als negatives Beispiel für Verschwendung von Steuergeldern aufgeführt. Die Haltung gegenüber dem Thema hat sich inzwischen grundlegend gewandelt.

Können Sie einen Ausblick auf das kommende Jahr geben?

Wir werden erste interspezifische Hybriden mit einem nennenswerten Kautschukgehalt vermehren und damit für den großflächigen Anbau um das Taraxagum Lab Anklam vorbereiten können. Unsere Saatgutproduktion wird erstmals um einen externen Standort in Norddeutschland erweitert.

Unsere laufenden Züchtungsaktivtäten werden weiterverfolgt. Wir werden weitere Werkzeuge unserer Züchtungsforschungspartner, etwa verschiedene DNA-Marker und selbstkompatibles Pflanzenmaterial – also Pflanzen, bei denen eine Selbstbefruchtung möglich ist – in das Zuchtprogramm integrieren können.

Außerdem werden wir in eine neue Thematik einsteigen: Mithilfe künstlicher Intelligenz wollen wir überprüfen, ob man Metabolomdaten nutzen kann, um vorherzusagen, welche Löwenzahnpflanzen verschiedener Arten besonders gut zur Kombination geeignet sind. Der Begriff Metabolom fasst alle charakteristischen Stoffwechsel-Eigenschaften eines Gewebes zusammen; die Daten sind sehr umfangreich.

In diesem Projekt werden auch Schnittstellen zu den genomischen Daten des Teams aus Münster geschaffen werden, so dass die Ergebnisse aus beiden Richtungen intensiv verzahnt werden können und damit ein noch tieferer Einblick in Genetik und Stoffwechsel der Pflanze möglich wird.

 

Zur Person:

Dr. Fred Eickmeyer, Jahrgang 1965, hat in Hannover Gartenbau studiert und in Genetik und Pflanzenzüchtung promoviert. Nach einer Anstellung als Züchter bei der Deutschen Saatveredelung und als Saatzuchtleiter und Projektmanager bei der Saatzucht Steinach machte er sich mit Züchtung und Anbauentwicklung von Sonderkulturen im Jahr 2010 mit der Firma ESKUSA in Parkstetten, Bayern, selbstständig. Er beschäftigt zurzeit zehn Mitarbeiter und hat ein großes Netzwerk zu Forschung und Entwicklung mit nahem Bezug zur landwirtschaftlichen Praxis aufgebaut.

 

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