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Münster (upm/hd)
Unter Einfluss des Mondes: das Watt in Carolinensiel bei Ebbe.<address>© WWU - privat</address>
Unter Einfluss des Mondes: das Watt in Carolinensiel bei Ebbe.
© WWU - privat

"Durch das Kinderfernglas sah der Mond schroff und runzlig aus"

Meeresbiologe Hans-Ulrich Steeger

Erinnern Sie sich an irgendein besonderes Erlebnis oder Ereignis im Zusammenhang mit dem Mond?

Ich erinnere mich gerne an die kalten, klaren und vor allem dunklen Winterabende meiner Kindheit. Bis zum Abendbrot um 18.30 Uhr durfte ich draußen bleiben und dann, Anfang November, die Laterne für den Martinsumzug ausprobieren. Kerze und Streichhölzer... Die Laterne war ein bunter, faltbarer Mond aus Papier mit einem breiten Lächeln. Später, im Winter, war es abends schon so dunkel, dass man viele Sterne sehen konnte, unzählbar viele. Und den echten Mond. Durch das Kinderfernglas sah er ziemlich schroff und runzlig aus, von Lächeln keine Spur.

Welche Rolle spielt der Mond in Ihrem Fachgebiet?

Für den Zoologen am Wattenmeer ist der Mond der wichtigste Zeitgeber. Nur bei Ebbe kann im Watt gearbeitet werden, nur bei Flut kann Plankton gefangen werden. Die mondgetriebenen Gezeiten bestimmen den Tagesablauf. Das gilt auch für viele Tiere der Gezeitenzone, deren Aktivität nicht nur durch den Tag-Nacht-Wechsel der Sonne, sondern eben auch durch das periodische Trockenfallen infolge der Gezeitenwirkung des Mondes gesteuert wird. Diese Tiere zeigen oft eine komplexe endogene Rhythmik und brauchen im Gegensatz zu mir keinen Tidenkalender.

Verraten Sie uns ein Mond-Detail aus Ihrem Fachgebiet, das Sie besonders erstaunlich finden…

Viele wirbellose Tiere haben eine extrakorporale Befruchtung. Sie geben Ihre Geschlechtszellen einfach ins Wasser ab und setzen darauf, dass sich Samen- und Eizellen der Geschlechtspartner irgendwie treffen. Eine Synchronisation der Abgabe fördert ein erfolgreiches Zusammentreffen natürlich erheblich. Viele Polychaeten, das sind marine Borstenwürmer, richten sich dabei nach dem Mond. Vor allem im Bereich des Äquators, wo sich die Tageslängen wenig ändern und es keine Jahreszeiten gibt, sind die Mondphasen ein brauchbarer Taktgeber. Der bekannte bodenlebende Samoa-Palolowurm, Palola viridis, bildet seine Geschlechtsprodukte im hinteren Teil seines Körpers. Exakt am zweiten und dritten Tag nach dem dritten Mondviertel im Oktober sowie ein zweites Mal genau einen Monat später, schnüren alle Würmer diese Körperteile ab. Die Hinter-Enden schwimmen selbsttätig zur Wasseroberfläche und setzten dort ihre Samen- oder Eizellen zur Befruchtung frei. In diesen Nächten wimmelt das Wasser von Palolo-Hinterteilen, die von den Samoanern als Delikatesse geschätzt werden. Auch bei uns in der Nordsee gibt es Polychaeten, die Ihren Fortpflanzungstermin nach dem Mond einrichten. Platynereis dumerilii ist sogar zum Modellorganismus avanciert, an dem unter anderem die stammesgeschichtliche Entwicklung des Auges untersucht wird. Gegessen wird dieser Borstenwurm meines Wissens aber nicht. Einen Zoologen kann vieles nicht recht überraschen, so schmunzele ich oft im Kino oder vor dem Fernseher, zum Beispiel wenn qagh, klingonische Schlangenwürmer, zur Mahlzeit serviert werden.

Hatten beziehungsweise haben Sie ein Lieblings-Buch oder -Lied oder etwas anderes Persönliches, in dem der Mond vorkommt?

Nick Drakes Album Pink Moon aus dem Jahr 1972.

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