
Kleine Krebse mit großen Eigenarten
Wenn Dr. Tze Hann Ng im Labor vor den transparenten Wassertanks steht und auf ihre Versuchsobjekte hinter der Scheibe zeigt, sieht der ungeübte Betrachter – zunächst nichts. Nach einigem Augenreiben und genauerem Hinsehen formen sich im Wasser jedoch ein paar Pünktchen aus. Dabei handelt es sich um Krebstiere, jeweils nur rund einen Millimeter groß, Ruderfußkrebse oder im Fachterminus Copepoden genannt. Die für die meisten Menschen wohl eher unscheinbaren Zeitgenossen haben es der Biologin angetan: Seit mehr als einem Jahr untersucht Tze Hann Ng an der WWU die Mechanismen des Immunsystems der kleinen Krustentiere. Schon bevor sie mit einem Stipendium der Alexander von Humboldt-Stiftung nach Deutschland kam, interessierte sie sich in ihrem früheren Labor in Taiwan für die Wasserbewohner, schaute sich dort aber noch ihre größeren Artgenossen, nämlich Shrimps und Flusskrebse, an.
„Wir können viel von den Tieren lernen“, betont sie. Hintergrund: Das Immunsystem wirbelloser Tiere kann sich an einen Befall von Krankheitserregern erinnern – eine Eigenschaft, die eigentlich für das Immunsystem von Wirbeltieren wie dem Menschen herausragend ist. Beim Menschen ist es hauptsächlich das sogenannte erworbene Immunsystem, dass sich an Erreger erinnert und spezifisch reagiert. Wirbellose Tiere haben jedoch ein anderes Immunsystem: Bei ihnen reagiert das sogenannte angeborene Immun-system verstärkt auf Infektionen, wenn es bereits entsprechende Vorerfahrungen gemacht hat. Könnten Wissenschaftler zukünftig mehr über diese Art der immunologischen Spezifität herausfinden, wäre das wiederum auch für den Menschen relevant – zum Beispiel in Bezug auf Krankheiten, die durch wirbellose Tiere übertragen werden. Dazu gehören das Dengue-Fieber und Malaria.
Tze Hann Ng nimmt einen der rund zehn mal zwanzig Zentimeter großen Wasserbehälter und schüttet etwas von dem Inhalt in eine Petrischale. Nun ist zu erkennen, dass sich die winzigen Tierchen doch etwas in ihrer Größe unterscheiden, denn in den Aquakulturen befinden sich Elterntiere und ihre Nachkommen. Unzählige Generationen der Minikrebse sind schon am Institut für Evolution und Biodiversität in der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Joachim Kurtz mehr oder weniger groß geworden. Was man den kleinen Tieren mit bloßem Auge erst recht nicht ansieht, ist, dass sie mit einem Bandwurm befallen sind. Ein Parasit, mit dem sie in der Natur häufig zu kämpfen haben, denn dort sind die Ruderfußkrebse die ersten Wirte des Wurms, bevor er über die Nahrungskette weiter in Fische und Vögel gelangt.
Leicht ist es jedoch nicht, die Geheimnisse hinter der Immunabwehr der Wirbellosen zu entschlüsseln. „So winzig die Tiere sind, so groß ist das Puzzlespiel“, betont Tze Hann Ng. „Aber eines Tages finden wir vielleicht ein wichtiges Stück des Puzzles und damit ein Molekül, das auch in Menschen existiert und sogar Aufschluss über die Bekämpfung von Infektionskrankheiten geben könnte“, sagt sie. Das ist jedoch nicht das einzige langfristige Ziel, das Tze Hann Ng mit ihrer Forschung verfolgt – auch in der Landwirtschaft kann der Befall von Pflanzen und Tieren mit Infektionen problematisch sein. „Das Wichtigste ist aber die Grundlagenforschung, die wir betreiben. Nur, wenn wir wissen, wie etwas funktioniert, können wir es auch anwenden, egal, ob in der Industrie oder in der Medizin“, betont Tze Hann Ng.
Um ihren wissenschaftlichen Zielen näher zu kommen, helfen der 32-jährigen Nachwuchsforscherin Aufenthalte an unterschiedlichen Instituten auf der Welt – wie derzeit an der WWU, ermöglicht durch ein zweijähriges Humboldt-Stipendium für Postdoktoranden. „Ich lerne viel und hoffe, meine Zeit in Münster verlängern zu können. Langfristig möchte ich nach Asien zurückkehren und idealerweise eine eigene Professur erhalten“, sagt die gebürtige Malaysierin. Egal, an welchem Ort: Der Forschung an den kleinen Tieren mit den überraschenden Eigenschaften wird sie treu bleiben.
Autorin: Svenja Ronge
Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 5, 15. Juli 2020.