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Münster (upm/dlr)
Auf ihrem Weg zum Merkur wird die ESA-Raumsonde BepiColombo am 10. April in 12.677 Kilometern die Erde passieren und eine Flugbahn ins innere Sonnensystem einschlagen.<address>© ESA/ATG medialab</address>
Auf ihrem Weg zum Merkur wird die ESA-Raumsonde BepiColombo am 10. April in 12.677 Kilometern die Erde passieren und eine Flugbahn ins innere Sonnensystem einschlagen.
© ESA/ATG medialab

Auf dem Weg zum Merkur: Raumsonde "BepiColombo" fliegt an der Erde vorbei

Schwerkraft-Bremsmanöver am 10. April / Beobachtung der Mondvorderseite mit Spektrometer "MERTIS" nach 20-jähriger Vorbereitung

Am Karfreitag wird die ESA-Raumsonde „BepiColombo“ in den frühen Morgenstunden mit mehr als 30 Kilometern pro Sekunde auf die Erde zufliegen. Um 6.25 Uhr Mitteleuropäischer Sommerzeit passiert sie, von der Tagseite kommend, über dem Südatlantik in 12.677 Kilometern Höhe den Punkt der größten Annäherung und fliegt dadurch auf der Nachtseite weiter in Richtung des inneren Sonnensystems – nun etwas langsamer als sie angekommen ist. Das sogenannte Flyby-Manöver an der Erde dient vor allem dazu, BepiColombo ohne den Einsatz von Treibstoff ein wenig abzubremsen, um die Raumsonde auf einen Kurs zur Venus zu bringen. Mit zwei Nahvorbeiflügen an der Venus ab dem 16. Oktober dieses Jahres wird BepiColombo auf einer Flugbahn sein, die zum Ziel der sechsjährigen Reise führt: einer Umlaufbahn um den innersten Planeten des Sonnensystems Merkur.

Für Planetenforscher des Instituts für Planetologie der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU) und des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) ist das eine einmalige Gelegenheit zu einem besonderen Experiment am Mond: Ohne Störungen durch die Erdatmosphäre wird die von der Sonne angestrahlte Vorderseite des Mondes mit dem bildgebenden Infrarot-Spektrometer „MERTIS“ (Mercury Radiometer and Thermal Infrared Spectrometer) schon am 9. April erstmals in den Wellenlängen des thermalen Infrarot beobachtet und auf ihre mineralogische Zusammensetzung untersucht. Am Merkur soll MERTIS die Zusammensetzung und die Mineralogie der Oberfläche und das Planeteninnere des Merkur untersuchen.

„Der Mond und der gar nicht mal viel größere Planet Merkur haben Oberflächen, die in vielerlei Hinsicht ähnlich sind“, erklärt Prof. Harald Hiesinger von der WWU, wissenschaftlicher Leiter des MERTIS-Experiments. Er freut sich nach Jahrzehnten der Mondforschung auf die jetzt anstehenden Messungen. „Wir bekommen zum einen neue Informationen zu gesteinsbildenden Mineralen und den Temperaturen auf der Mondoberfläche und können die Ergebnisse später mit denen am Merkur vergleichen.“ Sowohl der Mond als auch der Merkur sind zwei fundamental wichtige Körper, um das gesamte Sonnensystem zu verstehen. „Von den Beobachtungen mit MERTIS erhoffe ich mir viele aufregende Ergebnisse. Nach rund 20 Jahren intensiver Vorbereitungen ist es am Donnerstag endlich soweit – wir erhalten die ersten wissenschaftlichen Daten unseres Instruments aus dem Weltraum“, betont Harald Hiesinger.

Die wissenschaftliche Auswertung der Daten erfolgt gemeinsam durch die beteiligten Institute in Münster, Berlin, Göttingen und Dortmund sowie an mehreren europäischen und amerikanischen Standorten.

MERTIS (Mercury Radiometer and Thermal Infrared Spectrometer) ist ein abbildendes Spektrometer. Es ist mit einem Radiometer kombiniert, einem Messgerät zur Bestimmung der Bestrahlungsstärke. Das Instrument hat Ausmaße von nur 18 mal 18 mal 13 cm und eine Masse von 3,3 kg.<address>© DLR</address>
MERTIS (Mercury Radiometer and Thermal Infrared Spectrometer) ist ein abbildendes Spektrometer. Es ist mit einem Radiometer kombiniert, einem Messgerät zur Bestimmung der Bestrahlungsstärke. Das Instrument hat Ausmaße von nur 18 mal 18 mal 13 cm und eine Masse von 3,3 kg.
© DLR
„Die Beobachtung des Mondes mit unserem Spektrometer MERTIS an Bord von BepiColombo ist eine einmalige Gelegenheit“, betont Dr. Jörn Helbert vom DLR-Institut für Planetenforschung, mitverantwortlich für das dort maßgeblich entwickelte MERTIS-Instrument. Die Wissenschaftler untersuchen die der Erde zugewandte Mondvorderseite spektroskopisch erstmals in den Wellenlängen des thermalen Infrarot. Ohne die störende Erdatmosphäre ergibt die Perspektive aus dem Weltraum einen wertvollen neuen Datensatz für die Mondforschung. Außerdem können die Forscher testen, wie gut das Instrument funktioniert und Erfahrungen für den Betrieb am Merkur sammeln. Ein besonderer Praxistest ist auch die aktuelle Situation im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie. Das Team wird aus dem Homeoffice das MERTIS-Instrument betreuen und die Daten prozessieren und auswerten. Das wurde in den vergangenen Tagen schon einige Male getestet und die „Datenauswertung am Küchentisch“ scheint gut zu funktionieren.

Die letzte Gelegenheit, „Bepi“ zu beobachten – aber nicht in Deutschland

Raumfahrt-Enthusiasten fragen sich, ob sie Gelegenheit haben, BepiColombo vor seinem Abschied auf dem Weg ins innere Sonnensystem während des Flybys ein letztes Mal am Himmel beobachten zu können: die Antwort lautet ja, allerdings nur südlich von 30 Grad Nord über dem Atlantik, in Südamerika, in Mexiko und mit Einschränkungen über Texas und Kalifornien. In Mitteleuropa bleibt der Trost, dass es in der Nacht vom 7. auf den 8. April einen außerordentlich großen Vollmond, populär gerne als Supermond“ bezeichnet, zu sehen geben wird.

Hintergrundinformationen zu MERTIS und BepiColombo:

MERTIS besitzt zwei ungekühlte Strahlungssensoren, die für Wellenlängen zwischen sieben und 14 beziehungsweise sieben und 40 Mikrometern empfindlich sind. Auf dem Merkur wird MERTIS im mittleren Infrarot die gesteinsbildenden Minerale mit einer räumlichen Auflösung von einem halben Kilometer identifizieren. Eine so detaillierte Auflösung werden die Wissenschaftler bei der Beobachtung des Mondes nicht erhalten können, da es zum Teil ein astronomischer oder geometrischer „Zufall“ und vor allem gute Planung ist, dass die Forscher am Tag vor dem Vorbeiflug an der Erde den Mond im Gesichtsfeld des Spektrometers haben. Und immerhin: MERTIS wird aus Entfernungen zwischen 740.000 und 680.000 Kilometern für vier Stunden den Mond beobachten. Hier wird das mit 3,3 Kilogramm sehr kompakte Instrument das erste Mal im Orbit seine einzigartigen optischen Eigenschaften demonstrieren können. Drei kleine Kameras an der Außenseite der ESA-Sonde nehmen zusätzlich Fotos der Erde bei der Annäherung von BepiColombo auf.

Erst die dritte Raumsonde mit Ziel Merkur

Schematische Darstellung des Erd-Flybys von BepiColombo am 10. April – der Blick ist auf den Nordpol gerichtet. Entlang der gestrichelten Linie die Mondumlaufbahn. Um 2.27 Uhr (alle Zeiten MESZ) durchdringt BepiColombo die Stoßbugwelle der irdischen Magnetfeldhülle (1), einer Übergangszone zwischen dem Magnetfeld und dem Weltall; (2) um 3.14 Uhr überschreitet die Sonde die Magnetopause, die Grenze zu dem die Erde umhüllenden Plasmaschlauch; (3) BepiColombo ist um 3.44 Uhr auf der Tagseite noch neun Erdradien entfernt, bei (4) sind um 4.05 Uhr acht Erdradien erreicht und (5) um 4.50 Uhr bei sechs Erdradien das eigentliche Magnetfeld der Erde. (6) Um 6:25:23 passiert BepiColombo in 12.677 Kilometern über der Erde den Punkt der größten Annäherung. (7) Verlassen des Magnetfelds bei sechs Erdradien um 8 Uhr, acht Erdradien sind um 8.44 Uhr bei (8) erreicht, neun Erdradien um 9.06 Uhr bei (9). Die Sonde überquert die Magnetopause bei (19) und bei (11) verlässt BepiColombo um 0.08 Uhr (11. April) die magnetisch beeinflusste Zone um die Erde.<address>© DLR (nach einer ESA-Vorlage)</address>
Schematische Darstellung des Erd-Flybys von BepiColombo am 10. April – der Blick ist auf den Nordpol gerichtet. Entlang der gestrichelten Linie die Mondumlaufbahn. Um 2.27 Uhr (alle Zeiten MESZ) durchdringt BepiColombo die Stoßbugwelle der irdischen Magnetfeldhülle (1), einer Übergangszone zwischen dem Magnetfeld und dem Weltall; (2) um 3.14 Uhr überschreitet die Sonde die Magnetopause, die Grenze zu dem die Erde umhüllenden Plasmaschlauch; (3) BepiColombo ist um 3.44 Uhr auf der Tagseite noch neun Erdradien entfernt, bei (4) sind um 4.05 Uhr acht Erdradien erreicht und (5) um 4.50 Uhr bei sechs Erdradien das eigentliche Magnetfeld der Erde. (6) Um 6:25:23 passiert BepiColombo in 12.677 Kilometern über der Erde den Punkt der größten Annäherung. (7) Verlassen des Magnetfelds bei sechs Erdradien um 8 Uhr, acht Erdradien sind um 8.44 Uhr bei (8) erreicht, neun Erdradien um 9.06 Uhr bei (9). Die Sonde überquert die Magnetopause bei (19) und bei (11) verlässt BepiColombo um 0.08 Uhr (11. April) die magnetisch beeinflusste Zone um die Erde.
© DLR (nach einer ESA-Vorlage)
BepiColombo ist am 20. Oktober 2018 an Bord einer Ariane-5-Trägerrakete vom europäischen Weltraumbahnhof Kourou gestartet. Es ist das bisher umfangreichste europäische Projekt zur Erforschung eines Planeten des Sonnensystems. Die Mission besteht aus zwei Sonden, die den Merkur auf unterschiedlichen Umlaufbahnen umkreisen: dem europäischen „Mercury Planetary Orbiter“ (MPO) der Europäischen Weltraumorganisation ESA und dem japanischen „Mercury Magnetospheric Orbiter“ (MMO). Zuvor hatten nur die beiden NASA-Raumsonden Mariner 10 Mitte der 1970er Jahre und MESSENGER von 2011 bis 2015 den kleinsten und gleichzeitig sonnennächsten Planeten untersucht.

Während MPO darauf ausgelegt ist, Oberfläche und Zusammensetzung des Planeten zu analysieren, erkundet MMO dessen Magnetosphäre. Weitere Ziele der Mission sind die Erforschung des Sonnenwindes, des inneren Aufbaus und des planetaren Umfeldes von Merkur sowie dessen Wechselwirkungen mit der sonnennahen Umgebung. Die Wissenschaftler erhoffen sich darüber hinaus Erkenntnisse zur Entstehung des gesamten Sonnensystems und der erdähnlichen Planeten im Besonderen. Bis zum Erreichen der Merkurumlaufbahn befinden sich die beiden Sonden an Bord des „Mercury Composite Spacecraft“, das die Orbiter mit Energie versorgt und sie mithilfe eines speziellen Schutzschilds, vor den extremen Temperaturen zwischen 430 Grad Celsius auf der Tagseite und minus 180 Grad Celsius auf der Nachtseite des Merkurs schützt. Nach sechs Vorbeiflügen an seinem Ziel wird BepiColombo am 5. Dezember 2025 schließlich in eine Merkurumlaufbahn gelangen.

Jonglieren mit Geschwindigkeit und Gravitation

Flyby-Manöver, auch ‚Gravity-Assist-Manöver’ genannt, sind heute in der Raumfahrt zur Routine geworden. Sie dienen dazu, ohne den Einsatz von Treibstoff und unter Ausnutzung der Anziehungskraft von Planeten eine Änderung der Flugrichtung und Geschwindigkeit von Raumsonden zu bewirken. Wenn Raumsonden das Schwerefeld der Erde verlassen und ein fernes Ziel im Sonnensystem erreichen sollen, ist für die Beschleunigung, für Richtungsänderungen, aber auch für das Abbremsen am Ziel viel Energie erforderlich. Diese in Form von Treibstoff für Raketentriebwerke mitzuführen ist oft unwirtschaftlich und würde zwangsläufig den Umfang von mitgeführter Nutzlast verringern oder ist technisch schlicht unmöglich.

Nahvorbeiflüge an Planeten eröffnen eine elegante technische Lösung – durch die Kräfte der Natur: Bewegt sich eine Raumsonde auf einen Planeten zu, überwiegt ab einer bestimmten Entfernung dessen Anziehungskraft gegenüber der ansonsten alle Bewegungen beeinflussenden Sonne. Ein Flyby ist dann gewissermaßen das Jonglieren von zwei Energieformen – der Bewegungsenergie der Raumsonde und der Lageenergie des Planeten, der mit seiner um ein Vielfaches größeren Masse das kleine Raumschiff anzieht, wenn es in seine Nähe kommt. Bei diesem Jonglieren kann, je nachdem, wie schnell die Raumsonde ist und wie nahe sie dem Planeten kommt, Energie vom Planeten auf die Sonde übergehen: Dann wird sie schneller – und der Planet unmerklich langsamer. Oder es wird Bewegungsenergie von der Sonde auf den Planeten übertragen, was diese abbremst und den Planeten dafür unmerklich beschleunigt. Gegenüber dem Planeten ändert sich beim Flyby die Geschwindigkeit der Sonde vorher und nachher nicht, es wird nur deren Flugbahn um einen gewissen Winkel umgelenkt. Da sich aber der Planet auf einer Bahn um die Sonne befindet, bewirkt diese Winkeländerung der Sondenbahn eine Beschleunigung oder Abbremsung der Sonde – und und minimal des Planeten –  auf ihrer Bahn um die Sonne.

Die raffinierte Flugbahn-Lösung des Giuseppe ‚Bepi‘ Colombo

Zum ersten Mal wurden Flyby-Manöver entlang einer Planetenbahn bei der Mission Mariner 10 angewandt, um nach dem ersten Vorbeiflug am Planeten Merkur noch zwei weitere Nahvorbeiflüge zu ermöglichen. Die Berechnungen stellte der italienische Ingenieur und Mathematiker Giuseppe ‚Bepi‘ Colombo an. Colombo, Professor an der Universität seiner Heimatstadt Padua, war 1970 zu einer Konferenz zur Vorbereitung der Mariner-10-Mission an das Jet Propulsion Laboratory der NASA ins kalifornische Pasadena eingeladen. Dort sah er den ursprünglichen Missionsplan und erkannte, dass mit einem hoch präzise ausgeführten ersten Vorbeiflug zwei weitere Nahvorbeiflüge am Merkur möglich waren: Ihm zu Ehren wurde die nun fliegende große europäisch-japanische Merkur-Mission benannt.

Enge europäisch-japanische Zusammenarbeit

Die Gesamtleitung der Mission liegt bei der Europäischen Weltraumorganisation ESA, die auch für Entwicklung und Bau des Mercury Planetary Orbiter zuständig war. Der Mercury Magnetospheric Orbiter wurde von der japanischen Raumfahrtagentur JAXA beigesteuert. Koordiniert und überwiegend finanziert wird der deutsche Beitrag zu BepiColombo vom DLR-Raumfahrtmanagement mit Mitteln des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi). Wesentlich finanziert wurden die beiden Instrumente BELA und MERTIS, die zu großen Anteilen an den DLR-Instituten für Planetenforschung und Optische Sensorsysteme in Berlin-Adlershof entwickelt wurden, aus Mitteln des DLR für Forschung und Technologie. Finanziell gefördert wird die Mission außerdem von der Westfälischen-Wilhelms-Universität Münster und der Technischen Universität Braunschweig und vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung (MPS) in Göttingen. Der industrielle Teil der Sonde wurde von einem europäischen Industrie-Konsortium unter der Federführung der Firma Airbus Defence and Space realisiert.

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