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Münster (upm/jah)
Wenn Smartphone-Nutzer in Deutschland zum Handy greifen, nutzen sie es meistens zum Chatten. Dr. Katharina König und Dr. Marcel Fladrich erforschen, wie die Nutzer über WhatsApp und Co. miteinander kommunizieren.<address>© WWU - Peter Leßmann</address>
Wenn Smartphone-Nutzer in Deutschland zum Handy greifen, nutzen sie es meistens zum Chatten. Dr. Katharina König und Dr. Marcel Fladrich erforschen, wie die Nutzer über WhatsApp und Co. miteinander kommunizieren.
© WWU - Peter Leßmann

Mehr als nur ein Gute-Nacht-Gruß

Sprachwissenschaftler der WWU analysieren Chats mithilfe einer neu entwickelten Datenbank

"Ihr habt gestern was verpasst. Tim ist in unseren Pool gefallen!!"

"Jetzt echt @Tim?? Du wolltest doch nichts trinken"

"Haha tim ey :D"

Was für viele wie die banale Alltagskonversation einer Jugendgruppe über die Ereignisse während einer Party klingt, ist für Sprachwissenschaftlerinnen und Sprachwissenschaftler am Germanistischen Institut der WWU von hohem Interesse. Dr. Katharina König fand anhand solcher Chatverläufe beispielsweise heraus, wie Nutzer unfreiwillig zum Lachgegenstand gemacht werden und dass Emojis entscheidend dabei helfen, ein Mitlachen von einem Auslachen zu unterscheiden. Wie und wozu nutzen wir Messaging-Dienste wie Facebook, WhatsApp und Co.? Für Sprachwissenschaftler sind die Dienste ein hochinteressanter Fundus für Untersuchungen. Die Experten der Universität Münster haben deswegen mit der Universität Duisburg-Essen und der Universität Hamburg die „Mobile Communication Database“, kurz MoCoDa, entwickelt. Die Datenbank archiviert Chatverläufe verschiedener Messaging-Dienste und stellt sie für universitäre Forschung und Lehre zur Verfügung.

Der Einstellungsprozess ist einfach: Jeder kann jederzeit über die Webseite der MoCoDa, die seit 2017 online ist, seine Nachrichten hochladen. WhatsApp-Chats können beispielsweise mithilfe einer Exportfunktion an die Datenbank übertragen werden. Ein technischer Assistent hilft dabei, die Nachrichten zu bearbeiten und vor allem zu anonymisieren, um keine Rückschlüsse auf konkrete Personen zuzulassen. Abschließend werden Informationen zu den beteiligten Personen wie Alter und Geschlecht erfasst, in welcher Beziehung die Beteiligten zueinanderstehen und in welcher Situation der Chat entstanden ist. In der Erhebung dieser sogenannten Metadaten liegt auch der große Nutzen der Datenbank. „Die Metadaten helfen uns, die Funktionen der einzelnen Sprachverwendungen in den Chats zu untersuchen. Dadurch wissen wir beispielsweise, dass sich Männer in reinen Männerchats weniger Emojis schicken, die Gefühle ausdrücken, als Frauen in reinen Frauenchats. In gemischtgeschlechtlichen Chats dreht sich dieses Verhältnis jedoch um“, erläutert Dr. Marcel Fladrich, der das Projekt mitgegründet hat.

Weitere Besonderheiten der Plattform: Im Gegensatz zu anderen Datenbanken zur Archivierung elektronischer Kurznachrichten ist sie auf eine stetige Datenerhebung angelegt. Zudem ist sie nicht nur den Entwicklern zugänglich, sondern allen Wissenschaftlern, die sich mit der Untersuchung von digitaler Alltagskommunikation beschäftigen. „In dieser Form ist die MoCoDa einzigartig in Europa. Durch die dauerhafte Datenerhebung können wir auch Wandlungsprozesse in der Kommunikation erkennen. Zudem bleibt die Datenbank durch ständig neue Chat-Spenden immer aktuell“, bringt es Marcel Fladrich auf den Punkt.

Aktuell umfasst die Plattform etwa 334 Chats mit rund 27.000 Nachrichten, an denen 1.864 Gesprächspartner beteiligt waren – wobei die Forscher darauf angewiesen sind, dass auch künftig möglichst viele Nutzer ihre Chats freiwillig zur Verfügung stellen. Von diesem Datenpool profitieren auch die Studierenden am Germanistischen Institut. Eingebunden in den universitären Lehrplan sammeln sie in Seminaren zu Mediensprache Erfahrungen im Einstellen und Auswerten der in der MoCoDa enthaltenen Daten. „Indem sie den Einstellungsprozess nachvollziehen, lernen die Studierenden, welche Daten erhoben werden und welche Fragestellungen sie mithilfe der Datenbank beantworten können“, weiß Katharina König. Das scheint die Studierenden zu inspirieren: Viele von ihnen verfassen ihre Qualifizierungsarbeiten mit oder über die MoCoDa, zum Beispiel über regionale Unterschiede in der WhatsApp-Nutzung.

Erste Schritte in Richtung der aktuellen Datenbank unternahmen Sprachwissenschaftler der WWU bereits 2011 mit dem Aufbau einer SMS-Datenbank. Gemeinsam mit Studierenden entwickelten sie ein Konzept, um Material für die wissenschaftliche Untersuchung der Alltagskommunikation via SMS sammeln zu können. Mit dem Aufkommen neuer Messaging-Dienste wie Facebook und WhatsApp veränderten sich die Rahmenbedingungen der digitalen Kommunikation jedoch stark. „Die Möglichkeit, Emojis oder die Zitatfunktion zu benutzen, Gruppenchats und das Versenden von Bildern oder Sprachnachrichten waren in der SMS-Datenbank schlicht nicht mehr darstellbar, was schließlich zum Aufbau der MoCoDa führte“, erläutert Marcel Fladrich die Entwicklung.

Doch damit ist das Entwicklungspotenzial der Datenbank keinesfalls ausgeschöpft. In Zukunft soll es möglich sein, die Emojis, die aktuell noch im Unicode – also immer exakt gleich – angezeigt werden, entsprechend ihrer unterschiedlichen Anzeige auf einem IPhone oder Android-Smartphone darzustellen. Denn diese unterschiedliche Darstellung könne bereits zu Missverständnissen in der Kommunikation führen und eine Untersuchung entsprechend relevant machen, erklärt Katharina König. „Auch wenn die Betreuung der Datenbank aufwändig ist“, ergänzt Marcel Fladrich, „lohnt sich die Weiterführung des Projekts, denn wir rechnen damit, dass die Nutzung von Messaging-Diensten nicht abnehmen, sondern unser Leben sowie die Alltagskommunikation weiterhin stark mitbestimmen wird.“

Eine Kommunikation, die bei vielen Menschen selbstverständlich bis ans Tagesende reicht. Chats wie diese sind dabei für viele Menschen typisch:

"Muss jetzt schlafen, morgen geht´s schon um 10 in die uni"

"Na gut. schlaf schön und träum von mir :*"

"Bestimmt. gute nacht schatz bis morgen"

Die Wissenschaftler haben dazu herausgefunden, dass diese Art Gute-Nacht-Gruß der „Klassiker“ für getrenntlebende studentische Paare ist – zumindest für diejenigen, die an ihrer Beziehung arbeiten wollen und die an diesem Abend keine Chance haben, sich direkt von ihrem Gegenüber zu verabschieden ...

Autorin: Jana Haack

Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr 7, November 2019.

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