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Münster (upm/kn)
Orte, Namen und Begriffe suchen: Gibt man einen Begriff wie „Allemaigne“ ein – mittelfranzösisch für Deutschland –, zeigt das Programm &quot;Himanis&quot; alle Seiten an, die das Wort beinhalten.<address>© Screenshot der Projektseite Himanis</address>
Orte, Namen und Begriffe suchen: Gibt man einen Begriff wie „Allemaigne“ ein – mittelfranzösisch für Deutschland –, zeigt das Programm "Himanis" alle Seiten an, die das Wort beinhalten.
© Screenshot der Projektseite Himanis

Historiker Prof. Dr. Torsten Hiltmann möchte maschinelles Lernen für die Mittelalterforschung nutzen

"Durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz können wir bislang Verborgenes sichtbar machen"

Jahrhundertealte Handschriften, Urkunden und Wappen: Mittelalterforschung und künstliche Intelligenz erscheinen auf den ersten Blick wie ein Widerspruch in sich. Denn Geschichtswissenschaften und Co. galten lange als IT-ferne Fächer. Verfahren wie das maschinelle Lernen von Computerprogrammen, die dazulernen und sich verbessern, bieten jedoch für Historiker neue Möglichkeiten in der Wissenschaft. "Durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz können wir bislang Verborgenes sichtbar machen. Aus der Zeit des Mittelalters gibt es zahlreiche Dokumente, die aufgrund ihrer Menge bislang kaum erforscht sind. Denn es braucht zugleich spezielle Fähigkeiten, um sie lesen zu können. Von diesen Texten gibt es zwar häufig digitalisierte Bilder, inhaltlich sind sie bislang aber kaum erschlossen", erläutert Dr. Torsten Hiltmann, der seit März 2019 Professor für Digital Humanities in den Geschichts- und Kulturwissenschaften am Historischen Seminar der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU) ist.

Die Künstliche Intelligenz soll dies ändern und beispielsweise eine Volltextsuche sowie Verschlagwortung solcher bereits digitalisierten, aber unerforschten Bestände ermöglichen. Neben der Texterschließung entstehen aktuell verschiedene neue digitale Methoden. Dafür gibt es nicht nur in der Geschichtswissenschaft Verwendung, sondern ebenfalls in der Archäologie, Islamwissenschaft und Arabistik, in der evangelischen und katholischen Theologie oder in den Literaturwissenschaften. Alle Aktivitäten in den Digital Humanities – den digitalen Geisteswissenschaften – werden an der WWU im "Center for Digital Humanities" (CDH) gebündelt und begleitet. Seit der Gründung im Jahr 2017 engagiert sich Torsten Hiltmann als Vorstandsmitglied in dem Kompetenzzentrum. Außerdem ist er der Leiter des "Service Center Digital Humanities" (SCDH). In seiner Doppelfunktion als Professor und SCDH-Leiter möchte Torsten Hiltmann zukünftig unter anderem Seminare für Studierende und Mitarbeitende anbieten, die die Methoden der digitalen Geisteswissenschaften vermitteln und eine kritische Auseinandersetzung damit ermöglichen.

"Das CDH zielt darauf ab, Forschung und IT-Infrastruktur zusammenführen. Uns ist es wichtig, dass wir aufzeigen, was heute schon machbar ist", betont der Historiker. Die Expertise, die derzeit an der Universität Münster noch fehlt, holen sich die Forscher nicht zuletzt durch den Besuch von Gästen ein. Wie beispielsweise Dr. Dominique Stutzmann vom Institut de recherche et d'histoire des textes (IRTHT) in Paris, der im Forschungskolloquium "400 bis 1500 Mittelalter" das Projekt "Himanis" vorstellt. Etwa 80.000 Seiten handschriftlich überlieferter Urkunden der französischen Könige aus dem 14. und 15. Jahrhundert wurden durch die Konzeption und den Einsatz eines Algorithmus von den Projektbeteiligten zugänglich gemacht. Erstmals können Historiker diesen großen Korpus online durchforsten und zum Beispiel gezielt die Hintergründe der Entstehung von Nationalstaaten im mittelalterlichen Europa erforschen.

Prof. Dr. Torsten Hiltmann (l.) und Dr. Dominique Stutzmann<address>© WWU - Kathrin Nolte</address>
Prof. Dr. Torsten Hiltmann (l.) und Dr. Dominique Stutzmann
© WWU - Kathrin Nolte
Bis zur Fertigstellung der Internetplattform "Himanis" war die handschriftliche Texterkennungstechnologie nicht genau genug, um eine Volltextsuche und Verschlagwortung vorzunehmen. Deshalb entwickelten Historiker und Informatiker gemeinsam eine Software, mit der man nach Orten, Namen und Begriffen suchen kann. Gibt man beispielsweise einen Begriff wie "Allemaigne" ein – mittelfranzösisch für Deutschland –, zeigt das Programm alle Seiten an, die das Wort beinhalten. Die bislang zum großen Teil unbearbeiteten Quellenbestände können also auf eine neue Art und Weise strukturiert und analysiert werden. "Dieser Schritt ist eine bahnbrechende Neuerung für die Mittelalterforschung, denn eine solche Analyse war zuvor unmöglich", betont Dominique Stutzmann. "Die gesamte Geschichtswissenschaft profitiert von diesem Projekt."

"Auch das Erkennen von Wappen auf Bildern und in Handschriften kann damit zukünftig ganz neue Forschungsergebnisse bringen", ergänzt Torsten Hiltmann, der zurzeit die Funktionsweise heraldischer Kommunikation im hohen und späten Mittelalter untersucht. Mit seinem von der Volkswagenstiftung finanzierten Projekt "Die Performanz der Wappen" möchte er in den nächsten vier Jahren spezielle Web-Technologien für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Wappen erarbeiten und damit einen Beitrag zur digitalen Neuausrichtung in den Historischen Hilfswissenschaften leisten.

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