Teilprojekte: Leib und Leiblichkeit

► Die Phänomenologie des Leibes und der Leiblichkeit im islamischen Kontext

Bearbeitung: Dr. Mansoureh Khalilizand

In der islamischen Tradition der Philosophie gibt es zwar zahlreiche Ansätze zu einer Theorie des Leibes, doch das konkrete Leibleben, d.h. wie das „Ich“ seinen Leib konkret erlebt, ist kaum auf das Niveau einer philosophischen Reflexion erhoben worden. Dieser Forschungsbedarf wird aufgegriffen, in dem der Frage nachgegangen wird, welche spezifischen Konstituenten das Leibleben im islamisch-philosophischen Kontext auszeichnen. Der geplante Beitrag fokussiert sich auf die (eher übersehene) positive Belegung des Leibbegriffes, die sich in Suhrawardīs Bezeichnung des Leibes als „Tor aller Tore“ (al-bāb al-abwāb) manifestiert.
Was ist das Spezifische der Leiberfahrung im islamischen Kontext? Anders formuliert: Was zeichnet das Leibleben der Muslime aus? Darüber hinaus ist fraglich, welchen Einfluss die spezifisch islamischen Leiberfahrungen auf die Konstitution der kollektiven Identität der Muslime haben: Welche Bedeutung haben die islamischen Rituale, die immer einen explizit leiblichen Aspekt beinhalten, z.B. beim Übergang vom „Ich“ zum „Wir“?

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► Eine Annäherung an eine Theologie der Leiblichkeit aus dem Ritual

Bearbeitung: Daniel Roters, M.A.
© Haidan/Unsplasch

 

Die islamische Tradition bietet verschiedenste Möglichkeiten der Auseinandersetzung mit dem menschlichen Körper. Über eine rein funktionalistische Betrachtungsweise hinaus ist es auch Aufgabe der Islamischen Theologie die Dimension der Leiblichkeit im gläubigen Leben in ihre Betrachtungen einzubeziehen, dies zwischen Philosophie und Theologie, zwischen dem Diskurs in der Tradition und der gelebten Praxis und im Angesicht der menschlichen Freiheit und einer religiös begründeten Verantwortung für das Leben.
Leiblichkeit ist hier gemeint als der Zustand, in dem sich der beseelte, lebendige Körper befindet. Erst in seiner Leiblichkeit (ḫalq? (sic!)) entwickelt der Mensch ein Selbst- und Weltverhältnis und eine Haltung zum Göttlichen (ḫulq). Es wäre aber grundsätzlich erst einmal zu fragen, inwiefern wir aus traditioneller islamischer Perspektive adäquat, lexikalisch zwischen Leiblichkeit und Körperlichkeit unterscheiden können.
Inwiefern ist gerade diese unsere Leiblichkeit des Menschen konstitutiv für ein gläubiges Leben und welchen Stellenwert nimmt diese Leibeserfahrung in der muslimisch-geprägten Mentalitätsgeschichte ein? Oder sind wir mit einer sehr ambigen Tradition konfrontiert, die uns vor die Herausforderung einer Körperfeindlichkeit stellt?
Insofern finden u.a. interdisziplinäre Reflexionen zu Aspekten der Ästhetik, der Performanz, zur Genderfrage und zu bio- bzw. medizinethischen Aspekten statt.

 

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► Die ethische Perspektive von Leib und Leiblichkeit

Bearbeitung: Dr. Asmaa El Maaroufi

Insofern die Frage nach Leiblichkeit zu den Grundbegriffen heutiger Ethikdiskurse (insbesondere in bio- und medizinethischen Diskursen) gehört, wird auch eine ethische Annährung an die Begrifflichkeiten wesentlich. Auch, da die Frage nach Leiblichkeit als Grundbegriff häufig nur im Kontext der Ontologie und Erkenntnistheorie gestellt wurde und wird, der Blick auf praktisch-ethische Fragen jedoch Vernachlässigung erfährt. Im Projekt wird explizit die ethische Relevanz und Begründung des Leibes und der Leiblichkeit im islamischen Kontext untersucht.
Welche spezifische Rolle kommt der Frage nach Leib und Leiblichkeit aus einer islamisch-theologischen Perspektive im Kontext ethischer Fragen zu?
Wie lassen sich diese Begriffe überhaupt anwenden und in Zusammenhang zu weiteren grundlegenden Termini bringen (bspw. Menschsein, Menschenwürde)?
Wo lassen sich Grenzen leibphänomenologischer Diskurse zeichnen?
Und wie lässt sich über dieserart Grenzen adäquat im Kontext der Praxis sprechen (in Hinblick auf Sterbehilfe, Disability-Diskurse, aber auch bioethische Auseinandersetzungen zu Krankheit, Alter, Tod – aber auch zur Geburt)?

 

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► Leib und Leiblichkeit in der islamischen Mystik

Bearbeitung: Dr. Raid Al-Daghistani
© svklimkin/Unsplash

Die Bedeutung des Leibes wird im Kontext der islamischen Mystik in dreifacher Hinsicht systematisch untersucht: (1) in seiner passiven Rolle (als „Medium“ bzw. „Manifestationsort“ mystischer Erfahrung), in seiner aktiven Rolle (als „Mittel“ und „Werkzeug“ für die Erlangung mystischer Erfahrungen) in seiner symbolisch-metaphysischen Rolle (im Rahmen der Ausarbeitung und Grundlegung einer metaphysischen Somatologie innerhalb der Mystik).

In diesem Projekt sollen damit drei wichtige Bereiche dargestellt und erforscht werden: (1) Leib und Leiblichkeit in der rituell-spirituellen Praxis der Sufi-Mystiker:innen; (2) theoretische, metaphysische und symbolisch-mystische Deutung des Leibes und der Leiblichkeit in der Mystik; (3) die mit Leib und Leiblichkeit grundlegend zusammenhängenden Themen wie etwa die Genderfrage, das „weibliche Element“ in der Mystik, die Sakralisierung des Körpers bei den Heiligen. Dabei wird unter anderem der Grundfrage nachgegangen, inwiefern sich der Körper als eine „epistemische Kategorie“ auffassen lässt, insofern hier der Körper selbst als „Erscheinungsort“ der nicht-konzeptuellen, unmittelbar-existenziellen Erkenntnis fungiert.
In diesem Zusammenhang wird demzufolge vor allem die Ambiguität der Körperlichkeit untersucht, die grundsätzlich im Spannungsfeld zwischen der bewusst gesteuerten Aktivität des Körpers während rituell-spiritueller Praxis einerseits und der grundlegenden Passivität des Körpers während der ekstatisch-mystischen Erfahrung andererseits, besteht.

 

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► Genderspezifische Perspektive von Leib und Leiblichkeit

Bearbeitung: Laura Pusch, M.A.
© Toka Tarek/Unsplash

Der Diskurs um die Bestimmung der Frau ist eng verbunden mit ihrer Körperlichkeit, was sich darin zeigt, dass Themen wie die Menstruation, Fruchtbarkeit, Schwangerschaft, Geburt und Laktation Konfrontationspunkte sowohl der Selbst- als auch der Fremdbestimmung der Frau sind. Auf welche Weise also Frau beziehungsweise Frausein gedacht wird, zeigt sich immer auch in der Frage nach ihrer Leiblichkeit. Welche Auswirkungen haben geschlechtsspezifische Fragen des Leib- und Leiblichkeitsdiskures im Kontext der Bestimmung der Frau? Somit gilt auch für den Kontext der islamischen Geistestradition, dass die Frage nach der Bestimmung der Frau eng verknüpft ist mit der religiösen Praxis und der Lebenswirklichkeit, was ethische Diskurse unweigerlich in die Diskussion einschließt. Zum einen soll deshalb grundlegend nach den möglichen Begriffen, Vorstellungen und Auffassungen von Leib und Leiblichkeit der Frau gefragt werden, um so zum anderen die Grundlage für seine Fruchtbarmachung innerhalb der noch zu entwickelnden praktischen islamischen Theologie zu schaffen. Dabei bedarf es einer Benennung leibfeindlicher Perspektiven im Kontext der Frau und ihre Auswirkungen auf ethische Bestimmungen. Die unterschiedlichen methodologischen Stränge der islamischen Geistestradition dienen dabei als Grundlage der Untersuchung, wodurch die Fragestellung an Multiperspektivität gewinnt.

 

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► Religionsästhetische Perspektive filmischer Narrationen. Figuren des Magischen und Bilder des Medialen

Bearbeitung: Dr. Maryam Palizban (Gastwissenschaftlerin)

Die Konzeption des Leibes und seiner Inszenierung ist bereits seit der Antike ein Gegenstand der ästhetischen Wahrnehmung und Erfahrung. Aus religionsästhetischer Perspektive untersucht dieses Projekt die Wechselwirkung zwischen dem religiösen Handeln und der visuellen und medialen Kultur von Religion. Zunächst wird sich das Projekt mit der Konzeption von Leib und Leiblichkeit aus der Sicht der Philosophie und Theologie auseinandersetzen und die Frage nach Figurationen des Magischen als eine Frage gesellschaftlicher Praxis ausarbeiten.

Die Kategorie „Performative Ebene“ (Fischer-Lichte) der Kultur wird in Bezug auf „Religionskulturen“ (Weigel) eine wesentliche Rolle einnehmen. Rituelle und insbesondere religiöse Praktiken sind in der modernen Gesellschaft viel essentieller als lange angenommen wurde. Die Rituale schaffen Gefühle der Zugehörigkeit und erzeugen Gemeinschaft; sie gestalten „soziale Übergänge und vermitteln praktisches Wissen und ihr performativer mit ihrer Inszenierung und Aufführung verbundener Charakter verstärkt ihre soziale Wirkung.“(Wulf) Die Konzeption von Leib und Leiblichkeit im Islam als Religionskultur wird in Bezug auf ihre performative Wirkung divers und komplex. Rituale und religiöse Praktiken sind körperbasiertes Wissen. Jede Form von Darstellung, besonders in Film und Theater, ermöglicht die Analyse von Leib und Leiblichkeit. In diesem Zusammenhang wird die Erforschung der Veränderungen dieses Begriffs zwischen der textuellen und performative Ebene der islamischen Religionskultur (Theologie und Religionswissenschaft) ein zentraler Bestandteil dieses Projekts.

© Screenshot aus The House Is Black von Maryam Palizban

Vor diesem Hintergrund werden sodann die filmischen Narrationen des Leibes und der Leiblichkeit seit Anfang des 20. Jh. in zwei Gruppen analysiert. Zum einen geht es um die Untersuchung des Realen (Dokumentarfilme) und zum anderen um die des Fiktiven (Spielfilme) und dessen ikonische Präsenz in den Religionen. Fokussiert auf das Bildliche und Mediale, wird sich das Projekt mit den renommierten Filmen aus unterschiedliche Genres befassen, die dezidiert den Themenkomplex „Leib und Leiblichkeit“ problematisieren.