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Münster (upm/ja)
Dina El Omari möchte den Koran geschlechtergerecht auslegen.<address>© WWU - Peter Leßmann</address>
Dina El Omari möchte den Koran geschlechtergerecht auslegen.
© WWU - Peter Leßmann

"Der Koran ist ein Text seiner Zeit"

Dina El Omari ist Muslima und Feministin – am Zentrum für Islamische Theologie sucht sie einen weiblichen Zugang zur Heiligen Schrift

Sie ist bodenständig, wertkonservativ und zugleich modern: Islamwissenschaftlerin Dr. Dina El Omari vom Zentrum für Islamische Theologie (ZIT). Die 36-Jährige will in die Tiefen ihrer Religion vordringen und den Koran mit einer gewissenhaft-akribischen Analyse aus der bisher patriarchalisch anmutenden Ecke herausholen. Der Arbeitstitel ihrer Habilitation, an der sie seit 2013 arbeitet, ist ein Fingerzeig: "Das Menschenpaar im Koran unter Berücksichtigung der Geschlechterfrage – der Versuch einer zeitgenössischen Korankommentierung".

Wer das münstersche ZIT kennt, verbindet es meist mit dessen Leiter, Mouhanad Khorchide, und dessen Verständnis eines liberalen und barmherzigen Islams. Die junge Frau passt genau dorthin. Sie diskutiert gern, sie erklärt ihre Wissenschaft, will überzeugen. Sie ist neugierig darauf, was sie im Koran noch entdecken wird. Abgeschlossen ist ihre Arbeit noch längst nicht. Aber in einem Punkt legt sie sich bereits fest: "Wir dürfen den Koran nicht wortwörtlich nehmen – er ist ein Text seiner Zeit." Und: "Ich möchte eine für die heutige Zeit passende geschlechtergerechte Auslegung des historischen Textes erarbeiten."

In der Darstellung von Dina El Omari sind diese Tiefengrabungen nicht etwa nur trockenes Lesen alter Texte, um zu verstehen, wie es zu teils harschen Äußerungen über Frauen und der Akzeptanz von Gewalt im Koran kommt. Im Gegenteil. "Es macht Spaß, zu erforschen, wie Sachverhalte eingeordnet sind und wie sie in die Zeit der Entstehung des Textes passen." Der umgekehrte Weg, es einfach zu lesen und zu sagen "Wenn’s da so steht, dann ist das eben so", das ist nichts für sie. Es wäre nicht nur zu einfach, es ist auch zu wenig wissenschaftlich erklärbar. Denn das ist ihr Ziel: dass sich mithilfe der Wissenschaft etwas bewegt. "Ich will etwas verändern, ich möchte junge Menschen mit dem Islam erreichen."

Was ihr dabei hilft, ist ein neuer Zugang zum Koran. Zum Beispiel sollte man den Lesern und Nutzern des Korans verdeutlichen, dass er nicht einfach in einem Stück vom Himmel gefallen ist. Daher sollte der Text nicht synchron, sondern diachron gelesen werden. "Der Koran in Buchform ist nicht chronologisch aufgebaut", betont sie. Diese neue Lesart entspräche der wahren zeitlichen Entstehung des Korans, also der Offenbarung des Propheten Mohammed. "Das ergibt einen neuen Blickwinkel auf den Hintergrund, also auf die historischen Zusammenhänge und Hintergründe". Experten unterscheiden entsprechend der Entstehung zwischen mekkanischen (in Mekka) und medinischen (Aufenthalt Mohammeds in Medina) Suren, die gerade beim Blick auf die Stellung der Geschlechter wichtig seien. Diese historisch konnotierte Sichtweise bringt allerdings manche Repräsentanten der islamischen Welt regelmäßig gegen die Wissenschaftler auf. "Dagegen gibt es teilweise großen Widerstand", berichtet Dina El Omari. Den bekämen auch immer wieder die Wissenschaftler des ZIT zu spüren.

Dabei geht der Anstoß zu einer zeitgenössischen Auslegung des Korans, erzählt die Islamwissenschaftlerin, auf die islamische Welt selbst zurück. Der ägyptische Gelehrte Muhammad Abduh empfand bereits Ende des 19. Jahrhunderts eine große Diskrepanz zwischen dem Korantext und der damals modernen Welt. "Viele, die dieser neuen Koran-Lesart folgten, wurden abgestraft oder mussten zum Teil ins Exil gehen." Der Vorwurf lautet damals wie heute: Ihr rüttelt an Gottes Wort. Für Dina El Omari gibt es aber kein Zaudern. "Es ist doch ein Drama, wenn man Passagen wie 'Tötet die Ungläubigen' wörtlich nimmt und nicht im historischen Kontext liest." Dies sagt sie nicht im Groll: Sie möchte den Koran auf professionellem Weg in die moderne Welt holen.

Den offenen, kritischen und selbstkritischen Blick erfuhr Dina El Omari schon als Kind in ihrem Elternhaus in Hamm, wo sie geboren wurde. Die Mutter ist Deutsche aus einer streng katholischen Familie, ihr Vater ist Palästinenser und Muslim. Dass ihre Mutter vor ihrer Geburt und nach jahrelangem Hadern mit ihrer Religion konvertierte, hatte ihr gemäßigt-muslimischer Vater nie verlangt.

Dina El Omari trug als junge Muslima auch noch kein Kopftuch. "Das war bei uns nie ein Thema." Erst als 27-Jährige griff sie zum Kopftuch – als "selbstgewähltes Zeichen der Zugehörigkeit zum Islam". Damals war sie als WWU-Studentin der Islamwissenschaft und spanischen Philologie zu einem Auslandssemester in Spanien und erlebte eine islamisch-spirituelle und zugleich religiös-offene Gemeinschaft. Mit züchtiger Verhüllung hatte und hat das Tragen des Kopftuchs für sie nichts zu tun. "Es ist ein Bekenntnis zur Religion wie das Kreuz an der Kette einer Christin", betont sie.

Dass manche Muslime das Tragen des Kopftuchs vorschreiben wollen, obwohl es keine einzige entsprechende Koran-Passage gebe, ärgert sie ungemein. "Es muss allen Frauen möglich sein, selbst darüber zu entscheiden." Auf ihrem weiteren wissenschaftlichen Weg will Dina El Omari Fehlinterpretationen des Korans aufdecken und ihm ein menschliches Antlitz verschaffen.

Autorin: Juliane Albrecht

 

Dieser Artikel stammt aus der Universitätszeitung "wissen|leben" Nr. 7, 14. November 2018

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