|
Münster (upm)
Prof. Dr. Michael Seewald wurde mit 24 Jahren promoviert und mit 28 Jahren habilitiert. Er forscht und lehrt seit 2016 an der Universität Münster und wurde bereits mit mehreren Preisen ausgezeichnet.<address>© privat</address>
Prof. Dr. Michael Seewald wurde mit 24 Jahren promoviert und mit 28 Jahren habilitiert. Er forscht und lehrt seit 2016 an der Universität Münster und wurde bereits mit mehreren Preisen ausgezeichnet.
© privat

"Münster ist ein besonderer Standort"

Prof. Dr. Michael Seewald über die Bedeutung seiner Fakultät und die Rolle des Dogmas in der katholischen Kirche

Er ist der jüngste Theologieprofessor Deutschlands: Prof. Dr. Michael Seewald, Jahrgang 1987, ist – unter anderem als Nachfolger von Joseph Ratzinger und Karl Rahner – Inhaber des Lehrstuhls für Dogmatik und Dogmengeschichte an der Katholisch-Theologischen Fakultät und Teil des Exzellenzclusters "Religion und Politik" der Universität Münster. Gerd Felder sprach mit ihm darüber, was ihm an diesem Lehrstuhl besonders gefällt, und über sein neues Buch mit dem Titel "Dogma im Wandel. Wie Glaubenslehren sich entwickeln".

 

Sie haben schon an anderen Universitäten doziert und einen Ruf nach Paderborn abgelehnt. Was hat Sie am Dogmatik-Lehrstuhl in Münster besonders gereizt – vielleicht die besondere Atmosphäre im Bereich der Theologie(n)?

Die Katholisch-Theologische Fakultät der WWU ist die größte ihrer Art in Europa. Es ist schön, vor vollen Hörsälen zu sprechen und mit Studierenden arbeiten zu können, die Freude an meinem Fach haben. Außerdem gibt es in Münster eine Evangelisch-Theologische Fakultät, das Zentrum für Islamische Theologie und natürlich den Exzellenzcluster "Religion und Politik". Diese Kombination findet sich nirgendwo sonst.

Sind die berühmten Vorgänger auf Ihrem Lehrstuhl – unter anderem Joseph Ratzinger, Karl Rahner und Herbert Vorgrimler – Belastung, Verpflichtung oder Ermutigung?

Nichts von alledem. Dass sie einmal hier waren, spielt in der Alltagsarbeit des Lehrstuhls keine Rolle. In irgendeinem Zimmer gibt es noch einen Stuhl, auf dem Karl Rahner immer gesessen haben soll. Der ist aber kaputt und unbequem. Natürlich haben Rahner und Ratzinger in der Theologie bleibende Spuren hinterlassen, an denen man nicht vorbeikommt. Aber sie sind Teil der jüngeren Theologiegeschichte geworden, die ich in München nicht anders behandeln würde als in Münster. Der Kontext, in dem Theologie betrieben wird, hat sich in den letzten Jahrzehnten deutlich verändert. Die Theologie muss verstärkt um Akzeptanz in der Gesellschaft werben und sich gleichzeitig Freiheiten gegenüber der Kirche erkämpfen. Gerade das Verhältnis zur Kirche ist nicht spannungsfrei.

Worum geht es Ihnen in Ihrem Buch, das kürzlich erschienen ist? Der Titel "Dogma im Wandel" wirkt ja wie ein Widerspruch in sich ...

In meinem Buch geht es mir darum, zwei Dinge zusammenzubringen, die auf den ersten Blick nicht zusammengehören: Dogma und Veränderung. Dass Dogmen nicht vom Himmel gefallen sind, sondern geschichtlich gewordene Ausdrucksformen religiöser Überzeugungen darstellen, dürfte unstrittig sein. Die christliche Theologie hat aber eine heute nur noch wenig bekannte, lange Tradition, über Veränderungen der Glaubenslehre nachzudenken. Diese vergessenen Theorien der dogmatischen Entwicklung wieder zum Leuchten zu bringen, das ist das Ziel des Buches.

 

Was ist überhaupt ein Dogma? Ist es Selbstzweck oder Mittel zum Zweck?

Das Wort „Dogma“ entstammt zwar der Antike, hat die theologische Bedeutung, die ihm heute zukommt, allerdings erst im 19. Jahrhundert angenommen. Ein Dogma war eine Lehre, von der man glaubte, dass Gott sie geoffenbart habe und die von der Kirche verbindlich vorgelegt wurde. Später gab es dann verschiedene Erweiterungen dieses Begriffs. Das Dogma ist seinem eigenen Anspruch nach kein Selbstzweck, sondern soll das Evangelium vereindeutigen und verständlich ausdrücken. Wie es das tut, hat sich im Laufe der Geschichte verändert.

Der schlimmste Vorwurf, der der katholischen Kirche heutzutage gemacht wird, ist der, sie sei zu dogmatisch. Dementsprechend häufig wird von ihr eine grundlegende Veränderung gefordert ...

Niemand kann es allen recht machen. Auch die Kirche nicht. Sie sollte sich aber sehr wohl kritischen Anfragen stellen und die Bereitschaft zur Selbstkorrektur mitbringen, wo sie die Überzeugung gewinnt, dass diese Korrektur nötig ist.

Sie gehen in Ihrem Buch nicht darauf ein, welches Dogma sich ändern müsste. Können Sie ein Beispiel nennen?

Ich habe ganz bewusst keine Wunschliste mit Dingen aufgeführt, die sich ändern sollten. Mir ging es um die Frage, wie Veränderung zu verschiedenen Zeiten gedacht wurde. Die Diskussionen, die darüber geführt wurden, haben sich natürlich immer an konkreten Beispielen entzündet. Der schon erwähnte Joseph Ratzinger war als Professor in seiner Münsteraner Zeit etwa der Überzeugung, dass der päpstliche Primat einer Weiterentwicklung bedürfe. Dass die Art, in der das Papstamt heute ausgeübt wird, eine recht junge Erscheinung ist, steht außer Zweifel. Aber dieses Amt könnte sich auch weiterentwickeln und sich somit, weil Entwicklung stets Wandel bringt, verändern.

Fassen wir zusammen: Braucht die Kirche weiter Dogmen – oder sollte sie sich irgendwann von ihnen trennen?

Sie braucht Dogmen, damit sie sich und anderen sagen kann, was sie glaubt. Sie braucht aber keinen Dogmatismus.

 

Dieses Interview stammt aus der Universitätszeitung "wissen|leben" Nr. 5, Juli / August 2018.

Links zu dieser Meldung