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Münster (upm)
Prof. Dr. Andreas Löschel<address>© WWU - Laura Grahn</address>
Prof. Dr. Andreas Löschel
© WWU - Laura Grahn

Expertenkommission: Energiewende höheren Stellenwert einräumen

Gremium mit WWU-Vorsitzendem Prof. Dr. Andreas Löschel bewertet Bericht der Bundesregierung

Die Energiewende in Deutschland kommt nicht auf allen Feldern wie gewünscht voran. Zwar gibt es beim Ausbau der erneuerbaren Energien Fortschritte, diesen stehen jedoch erhebliche Defizite bei der Steigerung der Energieeffizienz gegenüber. Insbesondere die Entwicklungen im Verkehrssektor gehen in die falsche Richtung. Das Klimaschutzziel bis zum Jahr 2020 wird voraussichtlich deutlich verfehlt werden. Zu diesem Schluss kommt die Kommission aus vier unabhängigen Energieexperten in ihrer Stellungnahme zum sechsten Monitoring-Bericht „Energie der Zukunft“, den die Bundesregierung heute (27. Juni) veröffentlicht hat. Den Vorsitz der Expertenkommission hat der Direktor des Lehrstuhls für Mikroökonomik, insbesondere Energie- und Ressourcenökonomik der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, Prof. Dr. Andreas Löschel, inne.

Auf die zu erwartende Lücke habe die Expertenkommission bereits seit mehreren Jahren hingewiesen. Auch dem Monitoring-Bericht der Bundesregierung zufolge besteht in diesen Bereichen ein erheblicher Handlungsbedarf. Doch dazu müsse die Energiewende wieder einen höheren Stellenwert auf der politischen Agenda bekommen. Dies gelte nicht zuletzt aufgrund der aktuellen Beschlüsse auf EU-Ebene zu den Energie- und Klimaschutzzielen für 2030.

In den letzten Jahren konnte die Bundesregierung nach Meinung der Kommission wichtige Vorhaben zur Energiewende verwirklichen. Dazu gehören etwa der Nationale Aktionsplan Energieeffizienz (NAPE), der Übergang zu Ausschreibungen bei der Förderung des Ausbaus der erneuerbaren Elektrizität oder die Weiterentwicklung des Strommarktdesigns. Diese Maßnahmen reichten jedoch nicht aus, um die Ziele des Energiekonzepts zu erreichen.

Die Bestandsaufnahme der Expertenkommission für das Jahr 2020 zeigt die Handlungsnotwendigkeiten: Im Bereich der erneuerbaren Energien werde das Ziel für den Brutto-Endenergieverbrauch wahrscheinlich erreicht, die Anteile der erneuerbaren Energien in den verschiedenen Sektoren entwickelten sich aber sehr unterschiedlich. So wurde das 2020-Ziel für den Anteil am Bruttostromverbrauch bereits 2017 erfüllt, die anstehende EEG-Reform sollte allerdings weitere Schritte zur Integration in den wettbewerblichen Strommarkt anstoßen. Die Zielerreichung für den Wärmeverbrauch sei nicht sichergestellt, und das Ziel für die erneuerbaren Energien im Verkehr werde sogar deutlich verfehlt werden.

Im Bereich der Energieeffizienz ist die Situation nach Überzeugung der Kommission schwieriger. Trotz zahlloser politischer Initiativen und Maßnahmen erscheint keines der entsprechenden Ziele für 2020 erreichbar. Die Energieproduktivität müsste gegenüber der bisherigen Trendentwicklung um den Faktor vier gesteigert werden, um bis 2020 auf den Zielwert des Energiekonzepts zu gelangen. Dies zeige die Notwendigkeit des politischen Engagements für mehr Energieeffizienz.

Im Verkehrsbereich ist der Endenergieverbrauch zum vierten Mal in Folge angestiegen, allein im Jahr 2016 um fast drei Prozent gegenüber dem Vorjahr. Mittlerweile entspreche die Ziellücke zum 2020-Ziel in Deutschland rechnerisch dem Jahresverbrauch von mehr als zehn Millionen Autos. Eine deutliche Reaktion der Bundesregierung auf diese schon seit Jahren bestehende Negativentwicklung sei noch nicht zu erkennen.

Das übergeordnete Klimaschutzziel für das Jahr 2020 werde demzufolge aller Voraussicht nach deutlich verfehlt - dies räumt mittlerweile auch die Bundesregierung ein. Letzteres ist nach Meinung der Experten insofern erfreulich, als dass jetzt die Chance zu einer fairen Manöverkritik besteht, in deren Folge die Ursachen für die Zielverfehlung unvoreingenommen benannt werden können.

Der Monitoring-Bericht der Bundesregierung liefere erste Hinweise in diese Richtung, doch diese seien noch lückenhaft. Aus Sicht der Expertenkommission ist die Erreichung des deutschen Klimaschutzziels für 2030 mit der jetzigen Dynamik nicht möglich, denn von 2017 bis 2030 müssten die jährlichen Treibhausgasemissionen dreimal stärker gesenkt werden als in den Jahren 2000 bis 2017. Dies sei bedeutsam, da verbindliche europäische Zielvorgaben für das Jahr 2030 – für Deutschland minus 38 Prozent gegenüber 2005 für alle Sektoren außerhalb des Emissionshandels – erreicht werden müssen.

Bei den Zielen „Versorgungssicherheit – Preiswürdigkeit – Umweltverträglichkeit“ ergebe sich ebenfalls ein durchwachsenes Urteil. Während die Bundesregierung die Stromversorgung als rundum sicher betrachtet, sieht die Expertenkommission bei der Versorgungssicherheit durchaus Probleme, insbesondere wegen des schleppenden Ausbaus der Stromnetze. Die Preiswürdigkeit der Energiewende ist augenblicklich gegeben, was sich in einem erneut gesunkenen Anteil der Letztverbraucherausgaben für Elektrizität an der Wirtschaftsleistung äußert. Diese Entwicklung sollte aber weiter beobachtet werden, da es Hinweise dafür gebe, dass die Stabilisierung der Gesamtausgaben nur vorübergehend sein könnte.

Im Koalitionsvertrag werden nach Überzeugung der Expertenkommission die zentralen Handlungsfelder angesprochen, wenn auch abstrakt und weitgehend ohne konkrete Maßnahmen. Nun gelte es, der Energiewende wieder einen höheren Stellenwert auf der politischen Agenda einzuräumen. Die offene und realistische Bestandsaufnahme im sechsten Monitoring-Bericht der Bundesregierung sei daher zu begrüßen, nun müssten aber die Schlussfolgerungen gezogen und Weichenstellungen getroffen werden. So müsse im Rahmen des geplanten Klimaschutzgesetzes ein mit dem Pariser Klimaabkommen konformer langfristiger Zielkorridor definiert werden. Dazu gehöre auch eine Perspektive zur Beendigung der Kohleverstromung in Deutschland. Es sei zu wünschen, dass die gerade eingesetzte Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ dafür sozial- und regionalpolitisch akzeptable Lösungen findet. Aus Sicht der Expertenkommission ist für eine erfolgreiche Transformation des Energiesystems darüber hinaus zeitnah eine Reform der Entgelte, Steuern, Abgaben und Umlagen auf Elektrizität erforderlich. Der Leitgedanke sollte dabei eine allgemeine Bepreisung von Kohlenstoffdioxid (CO2) sein.

Zur Expertenkommission:

Am 27. Juni 2018 hat die Bundesregeirung den sechsten Monitoring-Bericht zum Monitoring-Prozess „Energie der Zukunft“ veröffentlicht. Anhand von Indikatoren wird im Bericht ein faktenbasierter Überblick über den Stand der Umsetzung der Energiewende gegeben. Er wurde vom Bundeswirtschaftsministerium unter Beteiligung der anderen Ressorts und nachgeordneter Behörden erarbeitet. Zur Begleitung des Monitoring-Prozesses hatte die Bundesregierung im Jahr 2011 eine Kommission aus unabhängigen Energieexperten berufen. Die Expertenkommission verfasst Stellungnahmen zum jährlichen Monitoring-Bericht beziehungsweise zum alle drei Jahre erscheinenden Fortschrittsbericht der Bundesregierung. Dabei geht es um die wissenschaftliche Einordnung und Bewertung der Berichte sowie um Handlungsempfehlungen für eine erfolgreiche Umsetzung der Energiewende in Deutschland.
 

Die Mitglieder der Expertenkommission sind:

Prof. Dr. Andreas Löschel (Vorsitzender, Westfälische Wilhelms-Universität Münster - WWU)

Prof. Dr. Georg Erdmann (TU Berlin)

Prof. Dr. Frithjof Staiß (Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg - ZSW)

Dr. Hans-Joachim Ziesing (AG Energiebilanzen e.V. - AGEB)

 

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