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Münster (upm)
Prof. Dr. Nikolas Guggenberger<address>© Laura Schenk</address>
Prof. Dr. Nikolas Guggenberger
© Laura Schenk

Wie man soziale Netzwerke nicht regulieren sollte

Ein Gastbeitrag von Prof. Dr. Nikolas Guggenberger zum Netzwerkdurchsetzungsgesetz

Im vergangenen Jahr trat das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) in Kraft. Es soll vor allem „Hasskriminalität“ im Internet bekämpfen. Soziale Netzwerke, so die zugrunde liegende Analyse, hätten auf Hinweise von Nutzern nicht oder nicht rechtzeitig reagiert und rechtswidrige Inhalte nicht entfernt. Opfer von Online-Kriminalität, insbesondere Hasskriminalität, seien bislang nicht hinreichend geschützt worden. Das Gesetz widmet sich mithin einem wichtigen und berechtigten Anliegen. Doch leider ist damit auch schon alles Positive über das Regulierungsvorhaben gesagt. Das Gesetz ist nämlich europarechts- und verfassungswidrig. Es ist ungeeignet, setzt gefährliche Fehlanreize zu Lasten der Meinungsfreiheit und ist rechtstechnisch unausgereift.

Doch zunächst zum Inhalt der neuen Vorschriften: Das Gesetz verpflichtet soziale Netzwerke, Verfahren bereit zu stellen, die garantieren, dass rechtswidrige Inhalte auf eine Meldung hin entfernt oder gesperrt werden. Handelt es sich um „offensichtlich“ rechtwidrige Inhalte, so müssen diese binnen 24 Stunden beseitigt sein. Alle übrigen rechtswidrigen Inhalte muss der Betreiber des Netzwerks innerhalb von  sieben Tagen entfernen. Wird das Verfahren zum Umgang mit rechtwidrigen Inhalten nicht entsprechend der gesetzlichen Vorgaben eingerichtet, drohen der Plattform Geldbußen in Höhe von bis zu 50 Millionen Euro.

Das Gesetz richtet sich im Wesentlichen an Facebook und Twitter. Kleine soziale Netzwerke sind ebenso ausgenommen vom Anwendungsbereich wie Plattformen mit journalistisch moderierten Inhalten oder speziellen thematischen Vorgaben. Xing und LinkedIn sollen nicht erfasst werden. Dasselbe gilt für Dienste der Individualkommunikation wie etwa WhatsApp.

Anknüpfungspunkt des Gesetzes sind „rechtswidrige Inhalte“. Rechtswidrig sind Inhalte nach dem NetzDG dann, wenn sie bestimmte aufgezählte Straftatbestände erfüllen und nicht gerechtfertigt sind. Die Palette der erfassten Straftatbestände ist groß und reicht von Beleidigung bis hin zu Sexualdelikten.

Auf den ersten Blick scheint das vernünftig. Sobald man sich aber die Praxis dieses Gesetzes im Detail vor Augen führt, wird klar, wie verfehlt die Regelungen sind. Offensichtlich problematisch ist die Ausgestaltung der Regeln über Geldbußen für Verfehlungen der Netzwerke. Sie führen dazu, dass Inhalte tendenziell gelöscht werden. Zwar werden die Unterstützer des NetzDG nicht müde, zu betonen, dass für eine einzelne „Nicht-Löschung“ eines rechtswidrigen Inhalts noch kein Bußgeld droht, sondern nur für systematisches Versagen. Dies widerlegt die Gefahr eines übermäßigen Blockierens durch die Betreiber der Netzwerke aber gerade nicht. Das Gesetz setzt nämlich Anreize das einzuführende Verfahren selbst so zu gestalten, dass es tendenziell zur Beseitigung von Inhalten führt. Geldbußen drohen nämlich nur dann, wenn systematisch rechtswidrige Inhalte nicht gelöscht werden, nicht aber dann, wenn das Netzwerk regelmäßig auch rechtmäßige Inhalte löscht. Diese asymmetrische Haftung ist Gift für den freien öffentlichen Diskurs.

Dazu kommt, dass Nutzer praktisch keine effektiven Rechtsschutzmöglichkeiten gegen die Netzwerke haben. Zunächst werden sich die Plattformen – wie im Falle Twitters bereits geschehen – auf ihre allgemeinen Geschäftsbedingungen zurückziehen, die ihnen weitestgehend freie Hand für den Umgang mit den Inhalten der Nutzer einräumen. Nutzer müssten also Gerichte davon überzeugen, dass die Bedingungen unwirksam sind. Die Erfolgsaussichten einer solchen Argumentation sind völlig ungewiss. Und wenn schon: Bis die Auseinandersetzung ausgetragen ist, dürfte sich kaum jemand mehr für den Beitrag des Nutzers interessieren. Der kommunikative Wert eines Posts hat nämlich eine äußerst geringe Halbwertzeit.

Ferner privatisiert das NetzDG in einem bedenklichen Maße öffentliche Aufgaben, nämlich die Gefahrenabwehr und die Rechtsdurchsetzung, in einem äußerst sensiblen Bereich – demjenigen der Meinungsfreiheit. Die im Regelfall faktisch endgültige Entscheidung über die Entfernung von Inhalten im öffentlichen Interesse wird privaten Netzwerken überlassen. Mitarbeiter von Facebook und Co. sollen innerhalb von 24 Stunden beziehungsweise siebenTagen Prüfungen anstellen, mit denen sich Gerichte besetzt mit ausgebildeten Juristen teils Jahre Zeit lassen. Ein solcher Mechanismus wird der Bedeutung der Meinungsfreiheit in keiner Weise gerecht.

<address>© © fotolia.com/Coloures Pic</address>
© © fotolia.com/Coloures Pic
Zu allem Überfluss ist das NetzDG nicht nur verfassungswidrig. Es verstößt auch noch gegen die Vorgaben des Europarechts. Dort wird die Verantwortlichkeit von sogenannten Host-Providern, worunter soziale Netzwerke fallen, nämlich eng begrenzt. Das NetzDG überschreitet diese Grenzen.

Es bleibt zu hoffen, dass die neue Bundesregierung die Designfehler des NetzDG erkennt und beseitigt – auch wenn das bedeutet, das gesamte Gesetz zurückzunehmen. Der Koalitionsvertrag gibt aber leider wenig Grund zur Hoffnung. Dabei gäbe es Alternativen. So könnte man die Strafverfolgungsbehörden besser ausstatten und den Eilrechtsschutz stärken. Die Geschwindigkeitsvorgaben, die der Gesetzgeber den Netzwerken auferlegt, könnten insoweit als Blaupause dienen. Jedenfalls liefert das NetzDG inhaltlich wie rechtstechnisch ein gutes Beispiel dafür, wie man soziale Netzwerke nicht regulieren sollte. Zu Ausbildungszwecken ist das Gesetz also durchaus geeignet.

Prof. Dr. Nikolas Guggenberger ist seit 2016 Inhaber der RWTÜV-Stiftungsjuniorprofessur für IT-Recht am Institut für Informations-, Telekommunikations- und Medienrecht (ITM) an der WWU Münster. Der Jurist studierte und promovierte an den Universitäten Freiburg und Konstanz. Zudem machte er einen Abschluss als „Master of Laws“ an der „Stanford Law School“ in Kalifornien (USA).

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