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Münster (upm/tk)
Das Reichsparteitagsgelände in Nürnberg: Eine Masterarbeit enthält Vorschläge für eine künftige Nutzung.<address>© Steffen Suuck</address>
Das Reichsparteitagsgelände in Nürnberg: Eine Masterarbeit enthält Vorschläge für eine künftige Nutzung.
© Steffen Suuck

Schwieriges Erbe aus NS-Zeit

Wissenschaftliche Arbeit zum Umgang mit dem Reichsparteitagsgelände in Nürnberg

Der Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit in Deutschland steht nach Ansicht von Jürgen Overhoff, Professor für Historische Bildungsforschung an der Universität Münster, vor einem Wendepunkt. „Zum einen wirft das Erstarken rechtsextremer und populistischer Strömungen die Frage auf, ob für die Erinnerungsarbeit neue Formate erforderlich sind. Zum anderen wird es bald keine Zeitzeugen mehr geben, die den nachfolgenden Generationen über das Leben in der NS-Zeit berichten können.“

Wie man diesen Entwicklungen entgegenwirken kann, zeigt ein Projekt von Steffen Suuck: Der 32-jährige Erziehungswissenschaftler hat seine Masterarbeit dafür genutzt, eine neue multimediale Dokumentation zum Nürnberger Reichsparteitagsgelände der Nationalsozialisten zu erarbeiten. „Diese Arbeit“, urteilt Jürgen Overhoff, „bietet hilfreiche Ideen, um am Beispiel dieses Areals die Methoden und Wirkung der NS-Propaganda zu studieren.“

Der Münsteraner schlägt unter anderem vor, eine App zu entwickeln, die Besuchern zur Verfügung steht, aber auch im Internet frei zugänglich ist. Sie soll nicht nur mit aktuellen (Luft-)Aufnahmen eine Übersicht zu dem elf Quadratkilometer großen Gelände bieten, sondern auch Informationen über die monumentale Architektur und die Reichsparteitage enthalten, „die dem NS-Regime zur Selbstinszenierung dienten“, erläutert Steffen Suuck. „Anhand von historischen Fotos, Filmen und Texten soll der Nutzer nachvollziehen, dass dieser Ort für die Nazis einer der wichtigsten Stätten der eigenen Machtdemonstration war.“ Historische Aufarbeitung beinhalte ferner, die Mittel der NS-Propaganda, von der Rhetorik bis hin zu den Massenaufmärschen, durch historische Fachbeiträge zu analysieren. Mit der App könne man auf ein weiteres dunkles Kapitel dokumentieren. Am Rande des Areals liegt der Bahnhof Märzfeld, von dem aus in den Jahren 1941 und 1942 rund 2.000 Juden in Konzentrationslager deportiert wurden.

Die Vorschläge zu den digitalen Anwendungen hat Steffen Suuck auf einer eigens erstellten Homepage zum Nürnberger Gelände aufbereitet. Die Website mit umfangreichem Material zur NS-Vergangenheit soll einen Beitrag zur Erinnerungskultur leisten, sagt der Münsteraner. Er versteht sie weiterführend auch als Diskussionsplattform zu der Fragestellung, wie angesichts der aktuellen politischen Entwicklungen und demographischen Veränderungen die Zukunft der Erinnerung aussehen soll.

Auf der Homepage findet sich darüber hinaus ein 55-minütiger Film, den Steffen Suuck mit drei Kommilitonen gedreht hat und der als wesentlicher Bestandteil zum Gesamtkonzept gehört. „Mit zahlreichen Ausschnitten aus NS-Filmen arbeitet der heutige Filmemacher das Imponiergehabe des Regimes heraus und enttarnt die Propaganda“, sagt der Lehrbeauftragte Hans-Joachim von Olberg, der mit Jürgen Overhoff die Arbeit betreut hat. Beispiel: Stefan Suuck lässt Experten zu Wort kommen, die die Qualität von Fundamenten, Bausubstanz und Material der monströsen Architektur in Frage stellen. Solche Aussagen korrespondieren mit aktuellen Bildern von bröckelnden Fassaden auf einem Gelände, dessen Planer ein „tausendjähriges Reich“ verkündeten.

Heute werden die großen Freiflächen für Autorennen, Sport- und Musikveranstaltungen in Anspruch genommen. Bei der jetzigen Nutzung sollte es bleiben, meint Steffen Suuck. Denn die Bevölkerung habe sich das öffentliche Gelände auf demokratische Art und Weise „angeeignet“.  Seinem Film hat er den Titel gegeben „Kontrolliert|Verfallen“: Damit sei gemeint, dass man das Gelände zwar sich selbst überlassen, aber es weiterhin gut im Blick behalten soll, unter anderem mit den digitalen Anwendungen.

Hintergrund: Sanierung

  • Die Nürnberger debattieren derzeit darüber, ob das Areal für 70 Millionen Euro saniert werden sollen, wie es Architekten vorgeschlagen haben. Die Diskussion war für Steffen Suuck Anlass, eine „geschichtliche Aufarbeitung des schwierigen Erbes zu starten“.
  • Umsetzen könnte seine Ideen die Leitung des Dokumentationszentrum auf dem Gelände, das in einer Dauerausstellung Ursachen und Folgen der NS-Herrschaft thematisiert und mit dem der Filmemacher in Kontakt steht.

Dieser Artikel stammt aus der Universitätszeitung "wissen|leben" Nr. 1 2018.

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