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Münster (upm)
Für bessere Studienbedingungen: Der Protest am 1. Februar 1968 vor der Überwasserkirche richtete sich gegen die Zustände am Psychologischen Institut der Universität Münster.<address>© picture alliance/dpa</address>
Für bessere Studienbedingungen: Der Protest am 1. Februar 1968 vor der Überwasserkirche richtete sich gegen die Zustände am Psychologischen Institut der Universität Münster.
© picture alliance/dpa

45 Minuten Krawall und ein Feuerwehrschlauch

Prof. Dr. Thomas Großbölting beschreibt in einem neuen Buch die Phase der "68er" in Westfalen und an der WWU – ein Gastbeitrag

Domplatz 20-22, erste Etage, Zimmer 136: Wenn ich heute aus meinem Bürofenster auf den Vorplatz des Fürstenberghauses schaue, deutet nichts mehr darauf hin, dass genau dieser Ort der wichtigste Schauplatz der Proteste von "1968" in Münster war: Am Abend des 6. Juni versammelten sich in jenem Jahr etwa 200 bis 300 Studierende, einige Schüler und Schaulustige vor dem Fürstenberghaus und forderten, an der Wahl des Dekans der Philosophischen Fakultät beteiligt zu werden. Als der Protest ohne Reaktion blieb, bestiegen einige Studierende eine auf dem Platz abgestellte Leiter, trommelten an die Fenster der ersten Etage und spritzten mit einem Feuerwehrschlauch Wasser in die dort stattfindende Versammlung der Professoren. Zugleich stürmten 50 bis 60 Protestierende das Gebäude und drohten damit, sich auch Zugang zum Versammlungsraum zu verschaffen. Die vom Rektor herbeigerufene Polizei rückte mit zwei Hundertschaften, Polizeihunden und gezückten Schlagstöcken an. Steine flogen, Wasser spritzte, Prügel wurden ausgeteilt und eingesteckt – in den sich anschließenden 45 Minuten räumten die Ordnungshüter das Gebäude. Zurück blieben demolierte Räume, mehrere von Knüppeln und Steinen verletzte Beamte und Studierende und eine hoch aufgewühlte Universitätsöffentlichkeit.

Während Rektor Prof. Dr. Heinz Rollhäuser für sich reklamierte, nur auf die Gefährdung der Sicherheit der Professoren reagiert zu haben und ansonsten die Polizei für den Einsatz verantwortlich machte, sprachen die linken Studierenden von einem "brutalen Polizeiterror" und forderten den Universitätschef zum Rücktritt auf. So weit, so gewöhnlich: In den Aktionen, dem Sprachduktus wie auch in der Eskalation der Vorwürfe unterschieden sich diese Vorkommnisse nur in einem Punkt von den Parallel-Ereignissen in den bundesdeutschen Protestzentren von Berlin, Frankfurt und München: Sie kamen etwas zeitversetzt und waren kleiner. Rückblickend wurde dieser Abend sowohl von den Protestbefürwortern ebenso wie von deren Gegnern zum "Sturm auf das Fürstenberghaus" stilisiert – und damit zum Höhepunkt der 68er-Bewegung erklärt.

Ohne Zweifel blieben damit die "1968er"-Proteste in Münster vergleichsweise bescheiden. Eine dreiviertel Stunde Krawall und ein Feuerschlauch konnten sich mit den Ereignissen in Berlin und Frankfurt nicht messen. Dieser Umstand ließ einige Beobachter davon sprechen, dass sich die WWU und ihre Studierenden "1968" in einem Dornröschenschlaf befunden hätten. Dass wie beim "Sturm auf das Fürstenberghaus" Gewalt angewandt wurde, war in der Tat die Ausnahme von der Regel. Als an vielen bundesdeutschen Universitäten aus Protest gegen die Ermordung des Berliner Germanistikstudenten Benno Ohnesorg protestiert wurde, marschierten auch Teile der Münsteraner Studierendenschaft. Dabei aber hielten sich die Protestierenden peinlich genau an die Vorgaben der Polizei, absolvierten den Protestmarsch schweigend und rollten erst dann die Plakate und Spruchbänder aus, als sie wieder auf dem Gelände der Universität angekommen war. Mit einiger Berechtigung charakterisierte der FDP-Abgeordnete Heinz Lange die Proteste in NRW als Aktionen, die "von den erprobten Kaderchefs der Teufels und Dutschkes bestenfalls in die Kategorie von Damenkränzchen verwiesen und nicht als Demonstrationen betrachtet werden".

Buchcover "1968 in Westfalen"<address>© LWL</address>
© LWL
Dennoch würde man die Wirkung von "1968" auch an der Universität Münster unterschätzen, wenn man nur auf das Fehlen eines charismatischen Wortführers wie Rudi Dutschke oder das Ausbleiben von schlagzeilenträchtigen Protestaktionen verweisen würde. Auch in der akademischen Provinz, zu der die WWU zum Ende der 1960er-Jahre zählte, änderte sich das Uni-Leben und dessen Organisation in diesen Jahren gravierend. Der "Sturm auf das Fürstenberghaus" war eben nicht nur Provinzspektakel. Zugleich verwies der Vorfall darauf, dass sich die akademische Öffentlichkeit grundlegend änderte: Die Studierenden und ihre Vertretungen setzten sich als Akteure bei der Gestaltung der Universität endgültig durch. Während Verbindungen und Burschenschaften in den Folgejahren für die Prägung des Uni-Lebens weitgehend bedeutungslos wurden, blieben Fachschaften und Basisgruppen stark präsent, sodass beispielsweise ein stark autoritär agierender Rektor Heinz Rollhäuser seinen Konfrontationskurs modifizieren musste.

Dabei stritt die Protestbewegung in Münster weniger als in Berlin und Frankfurt für ein Ende des Vietnamkriegs, sondern für bessere Studienbedingungen, ein Ende der Ordinarienuniversität wie auch eine Demokratisierung von Gesellschaft und Hochschule: Zwischen 1960 und 1970 hatte sich die Zahl der Immatrikulierten von gut zehn- auf 20.000 Studierende verdoppelt, ohne dass damit ein entsprechender Aufwuchs von Mitteln verbunden gewesen wäre. Damit veränderte sich auch die Stellung der Professorenschaft. Immer weniger konnten die meist männlichen Lehrenden als ‚kleine Könige’ im Hörsaal auftreten, sondern mussten sich gelegentlich den Farbeiern, vor allem aber den kritischen Fragen der Studierenden stellen. Parallel dazu diskutierte in den Jahren 1967 bis 1970 die WWU eine neue Verfassung, die die Mitbestimmung von Assistenten und Studierenden ausweitete und dauerhaft verankerte. Der Wegfall des Siezens unter den Studierenden, das Verschwinden der Krawatten bei den Männern, der Siegeszug der Wohngemeinschaft als studentische Wohnform – mit "1968" kam die Fundamentalliberalisierung der Gesellschaft auch an der WWU an.

 

Prof. Dr. Thomas Großbölting<address>© WWU - Peter Grewer</address>
Prof. Dr. Thomas Großbölting
© WWU - Peter Grewer
Autor Thomas Großbölting ist Professor für Neuere und Neuste Geschichte am Historischen Seminar der WWU. In seinem Buch "1968 in Westfalen. Akteure, Formen und Nachwirkungen einer Protestbewegung" (Ardey-Verlag, Münster 2018, 172 Seiten, ISBN 978-3-87023-404-1, Preis: 13,90 Euro) ergründet Thomas Großbölting die 68er-Bewegung in der Provinz. Bis heute – 50 Jahre später – sind die Folgen des politischen und kulturellen Aufbruchs sichtbar.

 

Dieser Artikel stammt aus der Universitätszeitung "wissen|leben" Nr. 8, 13. Dezember 2017.

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