|
Münster (upm/tk)
Der Gebäudekomplex aus der Vogelperspektive: Besonders auffällig ist die Fassade des Philosophikums, die Architekt Peter Böhm als „hohe Regalwand“ gestaltet hat.<address>© WWU - Jan Lehmann</address>
Der Gebäudekomplex aus der Vogelperspektive: Besonders auffällig ist die Fassade des Philosophikums, die Architekt Peter Böhm als „hohe Regalwand“ gestaltet hat.
© WWU - Jan Lehmann

Aufstieg über zwei „Himmelsleitern“

Sanierung innerhalb von vier Jahren - neue Bibliothek für rund 163.000 Bücher

Vom Domplatz aus gesehen liegt es etwas versteckt - das alte und gleichzeitig neue, markante Gebäude neben dem Fürstenberghaus. Der rund 65 Meter lange, wuchtige Trakt mit einer beeindruckenden einheitlichen Fensterfassade ist Teil eines der größte Bauprojekte der münsterschen Universität in jüngster Zeit. Die WWU hat für 17,6 Millionen Euro das gesamte Gebäudeensemble, in dem neben dem Philosophischen Seminar sechs wissenschaftliche Einrichtungen und drei Bibliotheken untergebracht sind, von Grund auf saniert und – vorgelagert - einen fünfstöckigen Erweiterungsbau errichtet. 96 Prozent der Kosten hat das Land Nordrhein-Westfalen (NRW) übernommen, vier Prozent stammen aus Eigenmitteln der Universität. Bauherr war der Bau- und Liegenschaftsbetrieb NRW. Nach vierjähriger Bauzeit ist es nun mit Beginn des Wintersemesters soweit: Die Dozenten und Studierenden kehren in das Gebäude zurück und entdecken ein Gebäude, das sich komplett gewandelt hat. wissen|leben stellt wichtige Neuheiten und Veränderungen vor.

Architektur:
Der Entwurf stammt von dem Kölner Architekten Peter Böhm. Mit der Gestaltung der Fassade „als hohe Regalwand“, wie es Peter Böhm beschreibt, kommt auch äußerlich die Nutzung des Neubaus als Bibliothek zum Ausdruck. Besonderen Wert legte der Architekt darauf, dass der bestehende Trakt und der Anbau eine Einheit bilden und durch eine Halle verbunden sind. Sie trägt ebenso zur hellen und freundlichen Atmosphäre bei wie die mit sandfarbenem Kalk-Zement-Mörtel geschlämmten Wände der Flure und der Bibliothek. Auffällig im Neubauriegel sind die beiden zu den fünf Etagen führenden Treppenaufgänge, die der Architekt als „Himmelsleitern“ bezeichnet. Im Altbau erreicht der Besucher über zwei Treppenhäuser die sechs Stockwerke des Gebäudes.

Blick in die neue Bibliothek: Auf fünf Etagen haben hier rund 163.000 Bücher Platz.<address>© WWU - Theo Körner</address>
Blick in die neue Bibliothek: Auf fünf Etagen haben hier rund 163.000 Bücher Platz.
© WWU - Theo Körner
Bibliothek:
Sie bietet Platz für 163.000 Bücher, darunter ca. 70.000 philosophische Titel, 45.000 kunsthistorische und 48.000 Bände der katholischen Theologie. Um diesen Bestand unterbringen zu können, haben die Regale eine Gesamtfläche von 5.000 Reagalbodenmetern. Weitere 1.000 Regalbodenmeter befinden sich in einem eigens klimatisierten Raum, der besonders wertvollen und historischen Büchern vorbehalten ist.


Sanierung:
„Es gab einige böse Überraschungen“, sagt Michael Stöcker, Baudezernent der Universität. Beispielsweise war die Außenwand eines von zwei Treppenhäusern „so baufällig“, dass sie abgerissen und ersetzt werden musste“. Bei zahlreichen weiteren tragenden Wänden und Decken blieb keine andere Wahl, als sie komplett zu erneuern. Für die schlechte Bausubstanz gibt es, wie Rainer Leuders vom Bau- und Liegenschaftsbetrieb NRW berichtet, mehrere Gründe. „Das in Teilen denkmalgeschützte Gebäude stammt aus dem Jahr 1899. Eine besondere Problematik ergibt sich aus dem Wiederaufbau des zerstörten Komplexes nach dem Zweiten Weltkrieg, als teilweise auch minderwertige Baustoffe verwendet wurden.“ Aus den Bauplänen und vorherigen Untersuchungen habe man nicht alle Schwierigkeiten erkennen können. Durch den zusätzlichen Aufwand stiegen die Kosten für das Projekt um rund 2,68 Millionen Euro.


Mobiliar:
Architekt Peter Böhm legte von Beginn der Planungen an darauf Wert, dass das Mobiliar im Neubau ein- und dieselbe Holzart hat. Die Universität hat daher alle Regale, Türen und Lesepulte aus Lärchenholz angeschafft. Solche festen Vorgaben bestanden für den Altbau nicht, allerdings wurde auch hier komplett neues Mobiliar gekauft. Die Einrichtungen, mit denen die Nutzer vor vier Jahren in die Ausweichquartiere gewechselt waren, bleiben dort, weil ein nochmaliger Umzug den Möbeln schaden würde.


Raumkonzept und Technik:
Der Gebäudekomplex hat eine Fläche von rund 5.000 Quadratmetern, davon zwei Drittel im Altbau. „Erstmals war es möglich, einen Hörsaal in dem Gebäudekomplex einzurichten“, betont Philosophie-Professor Reinold Schmücker. Der Raum bietet Platz für 71 Studierende. Darüber hinaus wurden viele Seminarräume und Büros neu aufgeteilt oder erhielten einen neuen Zuschnitt. „Komplett erneuert wurde die technische Ausstattung“, berichtet Sabine Suttrop, die als Architektin der Universität das Projekt maßgeblich begleitet hat. WLAN-Empfang im gesamten Gebäude? Selbstverständlich.


Vorplatz:
Die neue Treppenanlage zwischen Philosophikum und Fürstenberghaus reicht vom schmalen Durchgang am Domplatz bis zur Johannisstraße. Sie steht aber nicht nur Fußgängern zur Verfügung, sondern auch Radfahrern und Rettungsfahrzeugen. Denn die Stufen sind nur sechs Zentimeter hoch und liegen jeweils 3,20 Meter auseinander.


Bedeutung:
Durch den Um- und Neubau erhalten die Philosophie und Kunstgeschichte dauerhaft eine Heimat am Domplatz, unterstreicht Reinold Schmücker. Der Standort hat aus seiner Sicht zwei entscheidende Vorteile: „Zum einen kombinieren viele Studierende Philosophie oder Kunstgeschichte mit einem zweiten Fach, das sein Domizil in unmittelbarer Nachbarschaft hat. Zum anderen bleibt es bei der Nähe zahlreicher Einrichtungen des Fachbereichs Geschichte/Philosophie zueinander. Das ist ein großes Plus für die Kooperation.“ Im benachbarten Fürstenberghaus sind die meisten Geschichtsfächer untergebracht. Das neue Philosophikum vereint außerdem zum ersten Mal alle philosophischen und philosophienahen Einrichtungen der WWU unter einem Dach. Denn zu den künftigen Nutzern gehören auch die Leibniz-Forschungsstelle, das Centrum für Bioethik und das Zentrum für Wissenschaftstheorie.

Dieser Text stammt aus der Universitätszeitung "wissen|leben" Nr. 6, Oktober/November 2017.

Links zu dieser Meldung