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Münster (upm/jas)
Dr. Annina Ligniez<address>© WWU/Peter Leßmann</address>
Dr. Annina Ligniez
© WWU/Peter Leßmann

"Ich bin Pfarrerin – und ich bin eine Frau."

WWU-Theologin Dr. Annina Ligniez spricht über ihr Projekt "talar_art" und ihr Verhältnis zum Talar

Wissenschaftlerin, Pfarrerin, Künstlerin und gleichzeitig immer eine Frau – das Nebeneinanderbestehen dieser Identitäten ist für Dr. Annina Ligniez eine Lebensphilosophie. In dem biographisch angelegten Projekt "talar_art", das sie mit dem Fotografen Bruno Biermann entwickelt hat, vereint sie ihre verschiedenen Gesichter und will zum Umdenken anregen. Im Mittelpunkt ihres Diskurses steht der Talar, die schwarze Amtstracht von Pfarrerinnen und Pfarrern.

Annina Ligniez ist eine Frau, die gerne und laut lacht. "Meine Kollegen kennen das schon und hören mich immer schon auf dem Flur", erklärt sie fröhlich und schlägt ihre Beine übereinander. Sie trägt ein schwarzes, knielanges Kleid mit weißen Punkten, dazu einen auffälligen roten Gürtel mit Schleife. Diese sogenannte "Rockabella"-Kleidung zeichnet sich durch weit schwingende Röcke und Kleider aus, die der weiblichen Figur schmeicheln. Ihr Büro im zweiten Stock der evangelisch-theologischen Fakultät in der Universitätsstraße ist bunt – an den Wänden hängen blaue, gelbe oder grüne Plakate, die auf Psalmen und Bibelverse hinweisen.

Die evangelische Theologin lehrt und forscht seit 2013 als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Prof. Dr. Traugott Roser im Seminar für Praktische Theologie und Religionspädagogik der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU). Am 1. September beginnt sie ihren Pfarrdienst auf Probe im Kreis Herford. Mit dabei: ihr Talar. Seit Beginn ihres Vikariats, also ihrer praktischen Vorbereitung auf den Dienst als Pfarrerin, vor drei Jahren ist dieses weitärmelige liturgische Kleidungsstück ihr ständiger Begleiter – und seit Kurzem Dreh- und Angelpunkt von "talar_art".

Mit einem Fotoshooting als Geschenk zum 40. Geburtstag hat vor etwas mehr als einem Jahr alles angefangen. Angestiftet durch die Beobachtung, dass es keine Bilder von ihr im Talar gibt, beschließt Annina Ligniez, sich in diesem Gewand abzulichten – und ist begeistert von den unterschiedlichen Wirkungen. "Auf einigen Bildern merkt man, dass der Talar sehr viel von mir als Person nimmt und er mich trägt. Aber es gab auch Bilder, auf denen ich im Talar tanze. Da merkt man, dass es mir gelingt, als Frau und als Mensch die Macht des Talars zu brechen – das hat mich sehr berührt." Mit ihrem Fotografen Bruno Biermann, zugleich Student der islamischen und evangelischen Theologie an der WWU und damit selbst angehender Pfarrer, beschließt sie, diesem Kleidungsstück mehr Aufmerksamkeit zu schenken – und wird zur Künstlerin "_nino".

Bei "talar_art" geht es um das gemeinsame Nachdenken über die Bedeutung und die Relevanz von liturgischer Kleidung und über die Person, die sie trägt. Was bewegt Pfarrer, wenn sie Talar tragen? Warum ist es sinnvoll, dass sie ihn tragen? Was bewegt die Gemeinde? Das Projekt richtet sich in erster Linie an Pfarrerinnen und Pfarrer, aber auch Studierende, die auf dem Weg ins Pfarramt sind. "Liturgische Kleidung ist etwas, das im Kollegenkreis heiß diskutiert wird. Wie sichtbar sind wir? Müssen wir sichtbar sein?", fragt Annina Ligniez. "Für katholische Priester ist es selbstverständlich, dass sie auch in ihrer Freizeit immer als solche erkannt werden. Für uns evangelische Theologinnen und Theologen ist das eher ungewöhnlich."

In bislang drei Episoden beschreibt Annina Ligniez mit "talar_art" den Prozess ihrer eigenen Pfarrwerdung und zeigt sich als Frau unter dem Talar. Die Fotos sind zum Teil provokativ, spielen mit Weiblichkeit und Erotik.

Vor der Veröffentlichung im Internet holte sich Annina Ligniez das Einverständnis ihrer Vorgesetzten an der Universität und in ihrer zukünftigen Gemeinde – für beide kein Problem. Die Resonanz von außerhalb ist gemischt und auffällig zurückhaltend. "Die meisten Reaktionen sind positiv. Es gab sehr berührende Zuschriften wie die eines Vikars aus Sachsen, der sich mit den Themen von "talar_art" auseinandersetzt und sich über unseren öffentlichen Diskurs freut. Gleichzeitig gab es auch kritische Rückmeldungen, die die Darstellung befremdlich finden."

Zwischen den Zeilen findet Annina Ligniez manchmal den Vorwurf, sie würde sich mit ihrer Kunst nur selbst inszenieren wollen. Die bewusste Darstellung von Nacktheit und Sexualität soll jedoch weniger Ausdruck von Selbstverliebtheit sein. "Es geht nicht nur um Provokation und Selbstinszenierung, sondern um ein Thema, das wissenschaftlich erwachsen ist und das ich mit einer künstlerischen Auseinandersetzung verbinde. Ich bin Pfarrerin – und ich bin eine Frau", erklärt Annina Ligniez.

Als Wissenschaftlerin und Lehrbeauftragte begleitet Annina Ligniez seit einigen Jahren Studierende der WWU in ihrem Gemeindepraktikum. Sie stellt fest: "Die nachfolgende Pfarrer-Generation beschäftigt sich zum ersten Mal intensiv mit dem Thema Work-Life-Balance. Viele ältere Pfarrer sehen ihren Beruf als Berufung und können nicht immer trennen zwischen Job und Privatleben. Die Studierenden, mit denen ich zusammenarbeite, möchten dagegen ein Privatleben haben, eine Familie gründen, ihre Sexualität ausleben. Ich möchte sie ermutigen, ihre eigene Theologie zu entwickeln."

Sollte die Pfarrerin in der Kirche im Gottesdienst nun deutlicher als Frau wirken? Annina Ligniez verneint – ein figurbetonter oder gar gepunkteter Talar für Frauen wäre für sie trotz ihrer Affinität für weibliche Mode undenkbar. "talar_art" ist vielmehr ein Plädoyer für den Talar, wie er ist. Er dient ihrer Meinung nach der Verkündung der christlichen Botschaft und nimmt einige Dinge zurück. "Der Talar soll nüchtern und sackig bleiben. Für mich ist der Talar auch Schutz. Ich trage ihn gerne und ziehe ihn sehr bewusst an – ich wechsel damit meine Rolle." Entscheidend ist, dass sie unter dem Talar eine Frau ist.

Bald geht das vierte und vorerst letzte Kapitel von "talar_art" online. Wie geht es mit dem Projekt weiter? Annina Ligniez hat darauf noch keine genaue Antwort. "Als Pfarrerin wird eine angemessene christliche Lebensführung von mir erwartet. Darf ich als Pfarrerin Annina Ligniez auch noch die Künstlerin '_nino' sein? Ich weiß es nicht." Fest steht jedoch, dass sie das Thema wachhalten möchte. Die kommende Zeit als Pfarrerin auf Probe sieht die Theologin als Entdeckungsreise: "Ich erprobe die Kirche und werde in zwei Jahren wissen, ob es mich woanders hintreibt oder pathetischer gesprochen: Hat Gott noch etwas Anderes mit mir vor? Ich vertraue darauf, dass sich der Weg im Gehen entwickeln wird."

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