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Münster (upm)
Prof. Antje Roggenkamp, Alexander Baimann und Katharina Biermann (von links) an &quot;ihrer&quot; siebten Buch-Station &quot;Bronzemodell&quot;: Hier wird &quot;virtuell&quot; deutlich, warum Münster während der Täufer-Herrschaft zeitweise als &quot;Neues Jerusalem&quot; galt.<address>© WWU - Peter Grewer</address>
Prof. Antje Roggenkamp, Alexander Baimann und Katharina Biermann (von links) an "ihrer" siebten Buch-Station "Bronzemodell": Hier wird "virtuell" deutlich, warum Münster während der Täufer-Herrschaft zeitweise als "Neues Jerusalem" galt.
© WWU - Peter Grewer

"Wir wollen das Unsichtbare sichtbar machen"

Studierende haben ein Buch über wenig bekannte und unbekannte Orte der Reformation in Münster geschrieben

Theologie-Studierende wandeln durch Münster und tauchen ein in Archive. Sie sehen die christliche Vergangenheit ihres Studienortes plötzlich in neuem Licht – und schreiben ein Buch darüber. 13 künftige Religionslehrer und Pfarramtsanwärter der Evangelisch-Theologischen Fakultät sind mit einem Seminar bei Religionspädagogin Prof. Antje Roggenkamp zu jungen Autoren geworden. Ihr Werk trägt den Titel: "Reformatorische Stationen: Münster und 'Umgebung' – Reale und virtuelle Streifzüge".

An der Überwasserkirche als eine der Stationen des Münster-Rundgangs ist der Stolz der akademischen Stadtführer spürbar. Katharina Biermann und Alexander Baimann – zwei der Nachwuchstheologen – sprudeln über vor Seminar-Anekdoten und Erlebnissen bei der Recherche und der Entstehung des Buchs. "Wir haben in Münster schnell gemerkt: Überlieferte Orte oder Überbleibsel der Reformation sind fast überall unsichtbar. Hier nicht", sagt der Student der Geschichte und evangelischen Religionslehre.

Alexander Baimann zeigt auf den Turm der Kirche und den dort fehlenden "Turmhelm", also die Spitze des Gotteshauses. Gerade hier sei der Einfluss der Reformation und des Täufertums um 1534/1535 gut sichtbar und damit nachvollziehbar. Die Täufer nahmen seinerzeit die Kirchturmspitze ab und stellten Geschütze zur Verteidigung darauf.

In ihrem Buch liefern die jungen Autoren den theologischen Hintergrund mit. "Die Täufer (…) begründeten dies mit folgendem Bibelzitat: 'Denn wer sich selbst erhöht, der soll erniedrigt werden; ...'", heißt es darin. Dies sei ein Stück sichtbare Reformation in Münster, schwärmt der 22 Jahre alte Student, der sich bereits schnell nach seinem Umzug nach Münster fragte: Warum fehlt die Spitze?

Überwasserkirche ohne Kirchturmspitze.<address>© WWU - Bruno Biermann</address>
Überwasserkirche ohne Kirchturmspitze.
© WWU - Bruno Biermann
Es war eine Neuentdeckung der vermeintlich längst bekannten Umgebung.

Für Antje Roggenkamp, die Herausgeberin des studentischen Sammelbandes mit Karten, Bildern und Quellentexten, sind gerade die "Leerstellen" der Reformation symptomatisch für den heutigen Blick auf die münstersche Kirchenrevolution im 16. Jahrhundert. Die drei Käfige an der Lamberti-Kirche, die an die Zurschaustellung der 1536 hingerichteten Anführer des Täuferreichs erinnern, sind das einzig sehr Offensichtliche.

Die Idee zu dem Buch kam der Professorin im Zusammenhang mit Überlegungen zur Vorbereitung des Reformationsjubiläums in diesem Jahr. "Woran erinnern wir uns, wenn wir an die Reformation denken? Nur an Martin Luther, oder verbinden wir sie auch mit heimischen Orten?", fragte sie sich. "Dabei war schnell klar: In Münster scheinen die einstigen Schauplätze verschwunden zu sein. Mit dem Buch wollen wir das Unsichtbare sichtbar machen", ergänzt sie.

Zu jeder der insgesamt 14 Stationen fällt Katharina Biermann, die bei Antje Roggenkamp promoviert, spontan eine Geschichte zur Reformation in Münster ein. Auf dem Domplatz fand die Proklamation von Täuferkönig Jan van Leiden statt, am Dom finden sich einige von den Wiedertäufern verstümmelte Statuen und an den Arkaden vor dem historischen Rathaus Reliefs mit den Macht-Insignien des Täuferreichs wieder. Auch das Wohnhaus des berühmten Wiedertäufers Bernd Knipperdolling am Prinzipalmarkt 41, in dem heute ein Modegeschäft residiert, gehört zu den im Buch aufgeführten Haltepunkten.

Der Leser erfährt von einigen unbekannten historischen Wirrungen des Protestantismus in der katholisch geprägten Stadt. Die jungen Menschen, die Religionspädagogin Antje Roggenkamp und ihr Team im Buch altersgerecht ansprechen, bekommen darüber hinaus Aufträge mit auf den Weg. "Jedes Kapitel endet mit einem Aufgabenteil, den Lehrer im Unterricht oder auch Pfarrer nutzen können – die Münsteraner und Touristen sowieso." Auf Tauglichkeit geprüft wurde es bereits: "Die Aufgabenstellungen haben wir mit münsterschen Jugendlichen erprobt."

Wenn sich Katharina Biermann und Alexander Baimann an das Hauptseminar im Sommersemester 2016 und an die Fortsetzung in den anschließenden Sommerferien erinnern, denken sie nicht nur an die teils mühsame Suche nach den "verschwundenen" Orten in Münster und die aufwendige Archivrecherche. "Es war eine Neuentdeckung der vermeintlich längst bekannten und vertrauten Umgebung", betont die 26-Jährige.

Reformatorische Stationen: Münster und "Umgebung" – Reale und virtuelle Streifzüge, 302 Seiten, 19,90 Euro. Von Antje Roggenkamp (Hg.).

 

Autorin: Juliane Albrecht

Dieser Artikel stammt aus der Universitätszeitung "wissen|leben" Nr. 5, Juli/August 2017.

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