|
Münster (upm)
Kernbereich der Digital Humanities ist die Verbindung von geisteswissenschaftlichen Fragestellungen und Methoden mit den Konzepten, Verfahren und Standards der Informatik und Informationswissenschaften.<address>© Foto: Colourbox.de/Montage: Julia Schwekendiek</address>
Kernbereich der Digital Humanities ist die Verbindung von geisteswissenschaftlichen Fragestellungen und Methoden mit den Konzepten, Verfahren und Standards der Informatik und Informationswissenschaften.
© Foto: Colourbox.de/Montage: Julia Schwekendiek

Universität Münster gründet "Center for Digital Humanities"

Neues Werkzeug für Forscher

Philologien, Geschichtswissenschaften und Co. galten lange als IT-ferne Fächer. Doch in den vergangenen Jahren hat sich ein Wandel vollzogen: Immer mehr Geisteswissenschaftler nutzen für ihre Forschung digitale Editionen, computergestützte Bildverarbeitung und Online-Datenbanken – auch an der Universität Münster. Unterstützung sollen sie dabei bald von den Experten des "Center for Digital Humanities" (CDH) bekommen – eines Kompetenzzentrums, das in Kürze gegründet werden und das alle Aktivitäten in den digitalen Geisteswissenschaften bündeln und begleiten soll.

Anfang März hatte das Rektorat die Gründung des CDH beschlossen – Anfang Juni informierten Rektor Prof. Johannes Wessels und andere Fachleute bei einer Informationsveranstaltung über die weiteren Details. "Wir verstehen das CDH als ein Angebot an alle Forscher und Lehrkräfte – entsprechend laden wir alle dazu ein, sich einzubringen und mitzumachen", betonte der Rektor. Die weiteren Schritte sehen wie folgt aus: Johannes Wessels wird noch während des Sommersemesters eine Mitgliederversammlung als „Interessenverbund“ einberufen, zu der alle Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Münster eingeladen werden sollen. Interessierte aus allen Fachbereichen können sich im Internet unter http://go.wwu.de/cdh für die Veranstaltung registrieren. Die Versammlung wird wiederum einen Vorstand wählen.

Parallel zu diesem "Interessenverbund", der für die wissenschaftliche Ausgestaltung zuständig sein wird, soll es den bisherigen Plänen zufolge ein bei der Universitäts- und Landesbibliothek (ULB) angesiedeltes Service- und Beratungszentrum geben – beide Institutionen sollen eng miteinander verzahnt werden. Auch das Zentrum für Informationsverarbeitung (ZIV) soll als Technologiepartner eng eingebunden werden. Das Rektorat plant, das Servicezentrum mit mindestens vier Stellen auszustatten – Interessenten sollten sich sowohl für geisteswissenschaftlichen Fragen interessieren als auch entsprechendes Fachwissen in Informatik mitbringen. "Wir stehen vor einer überaus folgenreichen Veränderung des fachwissenschaftlichen Arbeitens", prophezeite der Historiker Prof. Jan Keupp, der auch Sprecher des Zentrums für Textedition und Kommentierung der WWU ist.

An der WWU nutzen bereits einige Geisteswissenschaftler IT-gestützte Technologie für ihre Arbeit. Was bislang jedoch fehlt, ist eine Stelle, die das Wissen rund um die Digital Humanities bündelt und den Forschern ein leistungsfähiges Serviceangebot zur Verfügung stellt. "Mit dem CDH wird diese Lücke geschlossen", unterstrich der stellvertretende ULB-Direktor Jörg Lorenz. Die Einrichtung soll allen Interessierten nicht nur eine bedarfsgerechte Beratung bieten, sondern auch Werkzeuge zum computergestützten Forschen bereitstellen. Sie wird an bereits bestehende Verbünde, Datennetzwerke und Dienste angegliedert, um Zeit und Kosten zu sparen. Auch der wissenschaftliche Nachwuchs profitiert, denn das Wissen soll in die Lehre einfließen.

Die Bedeutung IT-gestützter Verfahren nimmt insbesondere in den Geisteswissenschaften zu. Neben traditionelle hermeneutische Verfahren treten zunehmend computergestützte Methoden. Mit ihrer Hilfe erobern Geisteswissenschaftler neues Terrain: Sie analysieren zum Beispiel Massendaten aus dem Internet oder aus sozialen Netzwerken. Sie digitalisieren historische Quellen und durchforsten sie mit Algorithmen nach bestimmten Kriterien. Oder sie nutzen sogenannte Markup-Sprachen, mit deren Hilfe die logische Struktur oder bestimmte Elemente von Texten durch explizite Kennungen sichtbar gemacht werden können.

So lassen sich unter anderem Strukturen von Texten vergleichen, die aus verschiedenen Sprachen stammen oder zu unterschiedlichen Zeitpunkten entstanden sind. Dafür benötigen Wissenschaftler nicht nur eine kompetente und passgenaue Beratung, sondern auch IT-gestützte Werkzeugkästen. Neben dem praktikablen Management der Meta- und Forschungsdaten spielt deren Nachhaltigkeit, Sicherung und Schutz ebenfalls eine wichtige Rolle.

 

Digitale Geisteswissenschaften: Drei Beispiele

 

Ägyptologie

In einem archäologischen Projekt erforschte die Ägyptologin Prof. Angelika Lohwasser mit ihrem Team jahrtausendealte Hinterlassenschaften von Menschen in einem sudanesischen Wüstental. Um größere Strukturen wie Wege oder Gemäuer in der Gegend aufzuspüren, nutzte sie digitalisierte Bilddaten von Luftaufnahmen. Vor Ort erkundete ein Team von Archäologen das Terrain und markierte Fundstellen von Gräbern, Felsbildern oder Fundstücken in einem Geoinfomationssystem. Auf einer Plattform, die gemeinsam mit dem Institut für Geoinformatik entwickelt wurde, werden die Daten dauerhaft gespeichert und anderen Forschern zugänglich gemacht.

 

Geschichte

Juniorprofessor Dr. Torsten Hiltmann vom Historischen Seminar nutzt digitale Methoden beispielsweise für seine Forschungen zu mittelalterlichen Wappen. Dafür arbeitet er mit Informatikern, Bioinformatikern und Computerlinguisten der Universität Leipzig zusammen. Die Forscher wollen Wappen digital erfassbar und damit umfangreiche Wappensammlungen auf so unterschiedlichen Medien wie Handschriften, Wandmalereien oder Grabsteinen erschließen und gemeinsam auswertbar machen. Dabei setzen sie auch auf die Zusammenarbeit mit interessierten Bürgern. Grundlage ist eine Datenbank mit über 100.000 Einträgen aus knapp 100 mittelalterlichen Wappenbüchern. Außerdem entwickeln die Wissenschaftler Werkzeuge, mit denen umfangreiche Textbestände nach komplexen Konzepten wie "Wappen" und deren Beschreibungen durchsucht werden können.

 

Exzellenzcluster "Religion und Politik"

In Forschungsprojekten des Exzellenzclusters dienen diese Verfahren beispielsweise dazu, Bilder und Texte zu erschließen und zu editieren. Digital aufbereitetes Quellenmaterial kann helfen, die Entstehung von Texten nachzuvollziehen und zu beleuchten, wann etwas hinzukam und welche Bearbeitungsstufen ein Text durchlaufen hat. So kann die Entstehungsgeschichte wichtiger religiöser Texte nachvollzogen werden, etwa des Korans oder des Unfehlbarkeitsdogmas, das das Erste Vatikanische Konzil verabschiedete.

 

Autoren: Juliette Polenz/Kathrin Nolte/Norbert Robers

 

Dieser Artikel stammt aus der Universitätszeitung "wissen|leben" Nr. 4, Juni/Juli 2017.

Links zu dieser Meldung