|
Münster (upm/nor)
Prof. Rainer Bromme<address>© WWU/Peter Grewer</address>
Prof. Rainer Bromme
© WWU/Peter Grewer

Prof. Dr. Rainer Bromme zur Bedeutung von Wissen und Vertrauen für ein gutes Leben

"Die Wissenschaft muss selbstbewusster werden"

Nach mehr als 21 Jahren der Lehr- und Forschungstätigkeit an der Universität Münster hat Rainer Bromme nun seine Abschiedsvorlesung gehalten. Norbert Robers sprach im Vorfeld mit dem Professor für pädagogische Psychologie über aktuelle und spezielle Herausforderungen für die Wissenschaft.

In Ihrer Abschiedsvorlesung werden Sie über die Bedeutung von Wissen und Vertrauen referieren. Weil Sie der Überzeugung sind, dass dies zwei wesentliche Elemente für ein 'gutes Leben' sind?

Ganz sicher ist das so, dafür gibt es empirische Belege. Wer sich in einem Umfeld bewegt, dem er vertraut, wer also über reichlich 'soziales Kapital' verfügt, der genießt eine größere Lebens-Zufriedenheit.

Deckt sich dies auch mit Ihrer persönlichen Erfahrung?

Auf jeden Fall. Natürlich gibt es auch noch andere Faktoren, beispielsweise Gesundheit und soziale Sicherheit. In meiner Forschung habe ich mich intensiv mit Vertrauen und speziell Vertrauen der Öffentlichkeit in die Wissenschaft befasst.

Vertraut denn die Allgemeinheit der Wissenschaft in ausreichendem Maße?

Das lässt sich nicht allgemein beantworten. Fragt man die Bürger, ob sie der Wissenschaft generell vertrauen, bejaht dies eine große Mehrheit. Stellt man diese Frage allerdings etwas spezieller, beispielsweise nach der Wissenschaft über Gentechnik oder Klimawandel, sinken die Zustimmungsraten deutlich.

Bei gesellschaftlich umstrittenen Themen muss sich die Wissenschaft also einer Art Vertrauensfrage stellen?

Richtig. Eigentlich bei allen Themen. Wissenschaft kann immer nur Ergebnisse liefern, die prinzipiell revidiert werden können. Dabei muss man eines im Hinterkopf haben: Manche Organisationen oder Personen wissen einen fehlenden Konsens strategisch für sich zu nutzen, indem sie immer wieder behaupten, dass manche Fragen noch umstritten sind, obwohl weitgehender Konsens in der Wissenschaft besteht. So hat die Tabak-Industrie beispielsweise irgendwann eingeräumt, dass Rauchen Krebs erzeugen könnte. Sie hat aber behauptet, dass dies noch nicht abschließend geklärt sei. Es gibt den gut untersuchten psychologischen Effekt, dass ein Konsens das Vertrauen der Öffentlichkeit in Wissenschaft beeinflusst. Der entscheidende Punkt ist daher für mich: Die Wissenschaft muss gerade in einer Welt, die immer unübersichtlicher zu werden scheint, offensiver und selbstbewusster werden.

Das klingt so, als ob das Vertrauen in die Wissenschaft in Gefahr ist ...

Das ist tatsächlich der Fall. Die Idee für das Thema der Abschiedsvorlesung kam mir, nachdem Donald Trump zum US-Präsidenten gewählt wurde. Warum? Seine Rhetorik des Zweifelns an Evidenz, beispielsweise im Zusammenhang mit dem Klimawandel, stellt einen fundamentalen Angriff auf unsere Art des Denkens dar. Das kann auch uns betreffen. Der aus dem Fernsehen bekannte Physiker Harald Lesch berichtete kürzlich in einem Vortrag an der WWU, dass er mit Blick auf seine Beiträge zum Klimawandel immer mehr Hass-Mails bekommt. Wir Wissenschaftler müssen unsere Denk- und Arbeitsweise offensiv verteidigen.

Welche Gefahr droht andernfalls?

Dass Teile der Gesellschaft die bisher weitgehend akzeptierte Rationalität und Beweisführung durch die Wissenschaft diskreditieren – dass man es beispielsweise zulässt, wissenschaftlich erwiesene Tatsachen zu Meinungsfragen zu erklären. Dem muss sich die Wissenschaft entgegenstellen. Das halte ich auch für eine Kern-Aufgabe der Wissenschaftskommunikation.

Aber Wissenschaft ist nicht per se gut, auch die Wissenschaft muss sich kritischen Fragen stellen.

Selbstverständlich. Aber wenn wir nicht in vormoderne Zeiten zurückfallen wollen, bleibt uns gar nichts anderes übrig, als festzuhalten, dass Wissenschaft natürlich nicht für alle, aber eben doch für viele Bereiche unseres privaten und öffentlichen Lebens die einzig verlässliche Erkenntnisform ist. Dafür braucht die Wissenschaft übrigens ein hohes Maß an Autonomie. Es gibt ein Paradox: Nur wenn man sie nicht ständig auf ihren praktischen Nutzen verpflichtet und beschränkt, kann sie von allgemeinem Nutzen sein.

Und die Bürger brauchen Wissen, um der Wissenschaft zu vertrauen? Oder anders gefragt: Wissen schafft Vertrauen?

Genau richtig: Es geht dabei nicht um blindes, sondern um informiertes Vertrauen. Wo immer wir uns als Bürger in Abhängigkeit von Experten begeben, brauchen wir diese Art von Vertrauen.

Sie arbeiten als pädagogischer Psychologe. Was braucht es denn für eine Bildung, damit man als Bürger 'informiertes Vertrauen' in Wissenschaft entwickeln kann?

Natürlich bedarf es eines möglichst umfangreichen Allgemeinwissens, etwa über Geschichte oder Politik und das, was man als mathematisch-naturwissenschaftliche Grundbildung bezeichnet. Ich möchte drei weitere Aspekte benennen: Zum einen brauchen wir neue Lesekompetenzen, um mit der Vielfalt an Texten umzugehen, die wir heute im Internet finden. Jede Suchanfrage bringt viele Texte zum gleichen Thema. Es ist wichtig, sie schnell vergleichen und bewerten zu können. Zweitens möchte ich aus der Mathematik die Statistik hervorheben: Sehr viel von dem, was die empirischen Wissenschaften produzieren, sind statistische Aussagen. Ein Grundverständnis von dieser Art von Evidenz ist sehr wichtig. Drittens sollten Bürger verstehen, wie Forschung als Organisation funktioniert, etwa wie und von wem Forschung finanziert wird, wie Qualitätskontrollen funktionieren. Das alles hilft dabei, zu verstehen, wieso Wissenschaft gleichzeitig Skepsis und Gewissheit produziert.

 

Dieser Artikel stammt aus der Universitätszeitung "wissen|leben", 25. Januar 2017.

Links zu dieser Meldung