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Münster (upm/kn)
Georg Barzel<address>© Foto: berufundfamilie Service GmbH</address>
Georg Barzel
© Foto: berufundfamilie Service GmbH

"Die WWU ist auf einem hohen Niveau unterwegs"

Ein Gespräch über die Familienfreundlichkeit an der Universität und zukünftige Herausforderungen

Bereits drei Mal hat die Universität Münster das Qualitätssiegel für eine "familiengerechte hochschule" erhalten – die WWU wurde damit für ihre von Familienbewusstsein geprägte Personalpolitik ausgezeichnet. Kathrin Nolte sprach mit Prüfer Georg Barzel von der Zertifikat verleihenden "berufundfamilie Service GmbH", einer Initiative der gemeinnützigen Hertie-Stiftung, über die aktuelle Situation an der Universität in Sachen Familienfreundlichkeit und über zukünftige Herausforderungen.

Welchen Eindruck haben Sie während Ihrer Prüfung für das Zertifikat "audit familiengerechte hochschule" von der WWU gewonnen?

Die letzte Auditierung liegt zweieinhalb Jahre zurück. Zu diesem Zeitpunkt war die WWU eine der großen Universitäten, die mit am längsten zertifiziert ist. Aufgrund der Größe und der langen Zeit ist der Eindruck zunächst einmal sehr vielfältig. Bei der letzten Überprüfung haben wir sehr viele Gespräche geführt – sowohl mit Funktionsträgern als auch mit einzelnen Betroffenen. Gerade bei den Beteiligten ist das Spektrum sehr weit. Abhängig davon, welcher Statusgruppe eine Person angehört, beispielsweise der Gruppe der Studierenden oder Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, sind die Wahrnehmungen bezüglich der Familienfreundlichkeit an der WWU unterschiedlich. Insgesamt habe ich einen guten Eindruck gewonnen, weil sich insbesondere aus den Fachgesprächen ein einheitliches Bild ergeben hat. Denn wir zertifizieren die Universität als Ganzes mit dem Anspruch, dass nicht für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beziehungsweise Studierenden das gleiche Angebot bereitgestellt werden muss, sondern dass in den jeweiligen Bereichen der WWU die gleichen Rahmenbedingungen gelten. Es muss beispielsweise nicht das Gleiche für die Wissenschaftler gemacht werden wie für die Beschäftigten aus der Verwaltung, wenn er oder sie in Elternzeit geht. Wenn aber aus dem Fachbereich A eine Wissenschaftlerin oder ein Wissenschaftler in Elternzeit geht, dann sollte dies genauso gehandhabt werden wie im Fachbereich B.

Wie steht die Universität Münster im Vergleich zu anderen Hochschulen da?

Aus meiner Perspektive steht die WWU sehr gut da. Das liegt daran, dass sie das Thema „Familienbewusstsein“ in den vergangenen Jahren konsequent verfolgt hat. Es gibt auch Universitäten, denen eher daran gelegen ist, das Zertifikat an die Tür zu heften, um damit zu demonstrieren, dass sie sich engagieren. Aber das Engagement hinter der Tür entspricht nicht unbedingt dem, was auf der Tür steht. Die WWU hat das Auditierungsverfahren – angefangenen von der damaligen Rektorin Prof. Ursula Nelles über die jeweiligen Gremien hinweg – strukturiert vorangetrieben. Damit wurde eine gewisse Verbindlichkeit und Unumkehrbarkeit geschaffen. Dieses Vorgehen entspricht nicht dem Standard, auch wenn wir uns das sehr wünschen würden.

Was für positive Maßnahmen in puncto Familienfreundlichkeit gibt es an der WWU?

Das Selbstverständnis der WWU umfasst zum Beispiel, wissenschaftliche Karrieren so zu gestalten, dass auch die Gründung einer Familie und ein Familienleben möglich sind. Ein wichtiges Stichwort ist in diesem Zusammenhang die Befristung von Arbeitsverträgen. Diese sollten so gestaltet sein, dass sie möglichst ein vernünftiges (Familien-)Leben gewährleisten. Dazu zählen unter anderem die Vertragslaufzeit, die Geschwindigkeit, mit der Anschlussverträge geschlossen werden, und die Berufsperspektiven in der Qualifizierungsphase. Darüber hinaus hat sich die Universität gerade in der letzten Re-Auditierung Themengruppen vorgenommen, die bis dahin nicht so stark im Fokus standen. Es ging beispielsweise um die Lage der internationalen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Wenn man es sich leisten kann, sich eine solche Spezialgruppe vorzunehmen, zeigt das, dass man in den anderen Bereichen seine Hausaufgaben gut gemacht hat und auf einem hohen Niveau unterwegs ist.

Und was sind die größten Herausforderungen, die es noch zu bewältigen gilt?

Das Thema "familiengerecht" muss in der Führungsebene verankert werden. Dieses Vorhaben trifft in der Praxis oft auf eine zweigeteilte Welt: In der Verwaltung ist das ein Prozess, der meistens einfacher zu gestalten ist, weil hier die hierarchischen Beziehungen klarer sind. Die große Herausforderung bleibt das Thema „Führung“ in der Wissenschaft. Man muss Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zunächst dazu bringen, sich als Führungskraft zu verstehen. Im zweiten Schritt müssen sie sich dementsprechend adäquat verhalten, und drittens müssen sie dies auch noch familienfreundlich tun. Das zweite große Feld ist die Vereinbarkeit von Beruf und Familie in Führungspositionen, also für die Führungskräfte selbst. Vor dieser Herausforderung steht die WWU wie viele andere Hochschulen und Organisationen.

Sie haben als Auditor zahlreiche Universitäten unter die Lupe genommen. Wie sieht für Sie eine familienfreundliche Hochschule im Idealfall aus?

Diese Frage kann ich nicht pauschal beantworten. Deshalb möchte ich drei Bereiche unterscheiden. Der erste Punkt ist die Rahmensetzung, der zweite die Kultur und der dritte sind die Angebote. Bezogen auf die Rahmensetzung muss eine Hochschule alle strukturellen Hebel wie flexible Arbeitszeitmodelle, Telearbeit oder Studieren mit Kind in Bewegung gesetzt haben. Es sollte keine Willkür vorherrschen, sondern es sollten klare Regelungen geschaffen werden. Das zweite Merkmal ist die Durchdringung. Die lässt sich am einfachsten feststellen, wenn man mit verschiedenen Menschen an der Universität redet und feststellt, dass es eine gemeinsame Haltung gegenüber dem Thema "Familienfreundlichkeit" gibt. Und drittens: Die Serviceangebote sind sehr von der jeweiligen Umgebung abhängig. Eine große Universität kann oder muss hier mehr tun als eine kleine. Da spielt aber auch das lokale Umfeld eine große Rolle. Die Angebote können also nicht vereinheitlicht werden, sondern sie müssen für die jeweilige Hochschule passend und machbar sein.

 

Qualitätssiegel "familiengerechte hochschule"

Mit dem Qualitätssiegel "audit familiengerechte hochschule" und dem damit verbundenen Prüfungsprozess arbeiten Universitäten und Akademien an dem Ziel, Studien- und Arbeitsbedingungen familiengerecht zu gestalten. Deutschlandweit sind derzeit 112 Hochschulen zertifiziert. Die WWU war bei ihrer ersten Auditierung im Jahr 2008 nach der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main erst die zweite Universität mit mehr als 40.000 Studierenden. Darüber hinaus werden Unternehmen und Institutionen mit dem Zertifikat ausgezeichnet. Die 1998 von der gemeinnützigen Hertie-Stiftung gegründete "berufundfamilie Service GmbH" gilt heute bundesweit als Kompetenzträger in Fragen der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Ihre Arbeit wird ebenfalls aus Mitteln des Bundes und des europäischen Sozialfonds gefördert. Sie ist Ideen- und Impulsgeber in diesem Themenbereich und zentraler Akteur bei der Zertifizierung einer familienbewussten Personalpolitik.

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