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Münster (web/DZ/UKK)
Münsteraner Hörsaal-Slam: 11 von 10 Punkten<address>© Jens Unkenholz, concertmoments.de</address>
Münsteraner Hörsaal-Slam: 11 von 10 Punkten
© Jens Unkenholz, concertmoments.de

Von Freibier und Applausraketen

Poetry Slam: Dichter-Wettstreit im ganz großen Stil

„EINS!“ 800 Handpaare klatschen mit voller Lautstärke. „ZWEI!“ Die  dazu gehörenden Beinpaare stampfen auf den Boden. „DREI!“ „DAAAANKEEE!“ ertönt es aus 800 Mündern. Damit zündet die letzte Applausrakete an diesem Abend und Künstler, Moderatoren und Zuschauer verabschieden sich voneinander. Der zweite „Münsteraner Hörsaal Slam“ Ende Mai 2016 füllt den Hörsaal H1 restlos und ist ein voller Erfolg. Jens Kotalla und Marian Heuser haben 800 Studierenden einen Abend voller Gelächter und vielleicht der ein oder anderen Träne beschert.

Das Phänomen Poetry Slam

Comedians füllen die Olympia-Stadien dieser Welt und Bestseller-Autoren sehen ihre Bücher als Filmadaptionen auf großen Leinwänden. Mindestens genauso erfolgreich sind Poetry Slammer. Junge Schreiber, die in einem mehr oder weniger ernst gemeinten Wettbewerb gegen Gleichgesinnte antreten. Ursprünglich aus Amerika kommend hat sich Poetry Slam in Deutschland seit 1996 weit verbreitet. 2015 kamen über 5.000 Zuschauer nach Hamburg und stellten damit einen Weltrekord auf.

Poetry Slam ist ein Literatur-Wettkampf: Junge und alte Künstler treten gegeneinander an, indem sie selbstgeschriebene Texte vor einem Publikum vortragen. Dabei kann das Thema oder die Art und Weise, wie der Text geschrieben und vorgetragen wird, ganz unterschiedlich sein. Am Ende zählt, wie gut das Publikum ihn bewertet. Dazu werden am Beginn des Abends Punktetafeln mit Werten von eins bis zehn verteilt, die das Publikum bei der Abstimmung hochhält. Bei anderen Veranstaltungen entscheidet die Lautstärke des Applauses.

Beim Poetry Slam hat jeder seinen Platz. Dabei finden die präsentierten Themen an verschiedenen Orten unterschiedlichen Anklang. „Am Anfang des Abends erwartet einen eine Wundertüte. Man weiß vorher nicht, was drin ist, aber für jeden ist etwas dabei“, erklärt Andy Strauß, professioneller Slammer aus Münster, der damit seinen Lebensunterhalt verdient. Die Künstler schreiben beispielsweise politische Reflexionen und persönliche Gedichte, die den letzten Liebeskummer verarbeiten sollen. Der amtierende Deutsche Meister Jan-Phillip Zymny dekonstruiert regelmäßig die deutsche Sprache und seine Sprichwörter.

Neben der Wahl der Themen ist beim Poetry Slam die Performance des Textes wichtig. Ob die Vortragenden von einem Zettel ablesen oder ihre Texte auswendig können. Manchmal wird geschrien, andere Teile werden geflüstert. Typisch sind auch längere Zeilen, die rap-artig vorgetragen werden. Oft setzen die Slammer auch ihren ganzen Körper ein, sei es mit wild fuchtelnden Armen oder einem Mitmach-Text, bei dem das Publikum den Poeten steuern kann. Wichtig ist, dass sie dabei authentisch wirken.  Andy Strauß nimmt mit seiner wilden Art typischerweise die gesamte Bühne ein: „Ich mag es kantig und chaotisch. Ich funktioniere einfach so durch das Leben. Ich habe keinen genauen Plan, den ich rigoros befolge und  trotzdem klappt es irgendwie. Ich glaube, das sieht man auch in meinen Texten.“

Poesie für die Jugend

Auch in Münster ist Poetry Slam längst angekommen. So gibt es seit 2005 im Cuba Nova den „TatWort“-Slam, in dem sich bis zu zehn Künstler einmal im Monat die Ehre geben. Oder die offene Bühne „Culture Corner“ im SpecOps, bei der jeder auftreten kann, unabhängig von seiner Erfahrung. Und so mausert sich Poetry Slam immer mehr zum Publikumsliebling. Endlich interessieren sich junge Menschen wieder für Prosa und Gedichte, Reimketten und Alliterationen.  

Und nicht nur Studierende sind die Zielgruppe. So veranstaltete das Schreib-Lese-Zentrum der WWU im März 2016 gemeinsam mit Gymnasien aus Münster einen Wettbewerb im Cuba Nova. Zur Vorbereitung halfen professionelle Slammer sowie Universitätsdozent Dr. Michael Paaß und Studierende der Uni Münster. Insgesamt acht Teilnehmer traten gegeneinander an. Am Ende setzte sich Jule Faber mit einem Text über ihren Vater durch.

„Lyrik wird häufig als ein eher schwieriges  Unterrichtsthema angesehen“, sagt Michael Paaß, „da birgt Poetry Slam ein großes Potential, den Unterricht mit der Alltagswelt der Schülerinnen und Schüler zu verbinden. So können gerade junge Leute Lyrik und andere kunstvolle Formen sprachlicher Gestaltung kennen und schätzen lernen. Die häufig von alltäglichen Begebenheiten handelnden Texte  erscheinen oft viel näher an der Schülerrealität als klassische Texte wie  beispielsweise Gedichte von Goethe.“

Slamily

Durch die nicht ganz ernste Natur von Poetry Slam hat sich eine offene und freundliche Gemeinschaft der Künstler gegründet. Wortgewandt wie diese sind, haben sie sich „Slamily“ genannt. Ein Mischwort aus Family, Englisch für Familie, und Slam. Auf die Frage, was die Poetry Slammer motiviert, antwortet Michael Paaß: „Bei den Wettbewerben geht es in materieller Hinsicht um nicht viel,  meistens um einen symbolischen Preis wie zum Beispiel eine Flasche Whiskey oder eine gebastelte Trophäe für den Sieger. Viel wichtiger ist es den Slammern, immer wieder eigene spannende Texte auf der Bühne zu präsentieren und das Publikum durch sprachlich originelle und authentisch performte Slam-Poetry zu faszinieren.“

Andy Strauß erinnert sich an seine Anfänge: „Damals gab es vom Kulturreferat des AStA eine offene Bühne. Für einen Auftritt  wurde Freibier und etwas zu essen versprochen. Also habe ich mich angemeldet. Anschließend wurde ich von einem Veranstalter angesprochen, ich solle doch mehr Poetry Slam machen und zu ihm nach Bochum kommen. Dadurch wurde ich dann in ganz Deutschland herumgereicht“. Meistens veranstalten Slammer in ihrer Heimatstadt eigene mehr oder weniger große Slams. So bilden sich enge Netzwerke und jeder ist bei jedem zu Gast.

Das fördert neue Talente. Viele Slammer veranstalten auch Workshops, um Interessierten einen Einstieg zu geben. Dabei ist es wichtig,  den Teilnehmern nicht die eigene Art aufzuzwingen, sonst entsteht bloß eine Kopie von schon existierenden Poeten. Jeder Künstler hat seinen eigenen Stil und sollte diesen voll ausschöpfen, um authentisch Texte schreiben und später performen zu können. Nur so wirkt es echt und das Publikum springt darauf an.

Der „Münsteraner Hörsaal Slam“

Jens Kotalla und Marian Heuser organisieren seit Oktober 2015 zu jedem Semesterstart den „Münsteraner Hörsaal Slam“. Beim ersten hatten die beiden probehalber eine Facebook-Veranstaltung eingerichtet. Sie waren sich trotz der Beliebtheit und der langen Geschichte von Poetry Slam in Münster nicht sicher, ob sie genügend Leute dafür begeistern können. Dass sie am Ende 4.000 Zusagen hatten, hat nicht nur sie überrascht. Leider passen nur 800 Menschen in den größten Hörsaal H1 der Universität. So mussten die beiden Veranstalter hunderte  Menschen wieder nach Hause schicken.

Nun geht Münsters „Hörsaal-Slam“ in die dritte Runde. Beim großen Dichter-Wettstreit treten am Montag, 28. November, wieder mehrere Künstler im Hörsaal H1 gegeneinander an. Einlass ist ab 18.30 Uhr, Beginn um 19 Uhr. Wer dabei sein möchte, benötigt ein Bändchen, das am gleichen Tag zwischen 16 und 18 Uhr kostenlos beim AStA der Universität Münster verteilt wird. Der „Hörsaal-Slam“ ist eine Kooperation der Allgemeinen Studierendenausschüsse der WWU, der Fachhochschule und der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen.

Die Applausrakete ist übrigens eine Erfindung von Jens Kotalla. Da Großveranstaltungen wie der Hörsaal-Slam über mehrere Stunden gehen und reiner Applaus irgendwann anstrengend wird, aber jeder Künstler das gleiche Recht auf Anerkennung hat, hat er diese besondere Art eingeführt. Mit großem Erfolg. So viel Jubel gibt es in den Hörsälen der  münsterschen Hochschulen wohl nur zweimal im Jahr.

Dieser aktualisierte Gastbeitrag stand in der ursprünglichen Fassung im Magazin UniKunstKultur, das vom Kulturbüro der WWU herausgegeben wird.

 

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