|
Münster (upm)
Ob Betriebskita, Tagesmutter oder Telearbeit: Für Beschäftigte und Arbeitgeber gibt es verschiedene Möglichkeiten, Familienbewusstsein im Berufsalltag zu leben.<address>© Foto: Monkey Business/fotolia.com</address>
Ob Betriebskita, Tagesmutter oder Telearbeit: Für Beschäftigte und Arbeitgeber gibt es verschiedene Möglichkeiten, Familienbewusstsein im Berufsalltag zu leben.
© Foto: Monkey Business/fotolia.com

Sehr viel erreicht ‒ sehr viel zu tun

Dr. Regina Ahrens über die täglichen Herausforderungen bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf

Es ist nicht zu übersehen: Bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie hat sich in den vergangenen Jahren viel getan. Das zeigt sich unter anderem am Ausbau der Betreuungsmöglichkeiten. Noch vor einiger Zeit war es vor allem für Mütter von kleinen Kindern schwierig, arbeiten zu gehen – außer, die Großfamilie (meist in Form der Oma) sprang bei der Kinderbetreuung ein. Heute erleichtern viele Arbeitgeber – darunter auch die WWU – ihren Mitarbeitern die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, indem sie beispielsweise Betreuungsplätze vermitteln oder selbst vorhalten. Im Alltag zeigt sich allerdings immer wieder: Der Spagat zwischen Beruf und Familie ist nicht so einfach – weder für Beschäftigte, noch für Arbeitgeber. Welche Hürden es noch zu überwinden gilt: hier zwei Beispiele.

Beispiel Kinderbetreuung: Mit der Einführung des Rechtsanspruchs auf einen Betreuungsplatz für einjährige Kinder (2013) ist zumindest in der Theorie alles ganz einfach. In der Praxis zeigt sich aber, woran es hakt. Viele Einrichtungen und Tageseltern bieten für unter dreijährige Kinder lediglich (teure) 45-Stunden-Plätze an, in einigen Einrichtungen bedeutet eine Betreuungszeit von 35 Wochenstunden, dass die Kinder über Mittag abgeholt werden müssen. Das ist mit einer Erwerbstätigkeit häufig nicht zu vereinbaren. Aber auch den Arbeitgebern wird es nicht leichtgemacht. Wenn sie ihre Beschäftigten bei der Kinderbetreuung unterstützen möchten, müssen sie sich – orientiert am Bedarf im Betrieb – zunächst für ein passendes Modell entscheiden: Betriebskita, Großtagespflegestelle oder "nur" eine Unterstützung bei der Vermittlung von Tageseltern? Die eigene Betriebskita gilt als "Königsdisziplin". Weil sie einerseits ein gutes "Aushängeschild" ist. Andererseits, weil die rechtlichen Vorgaben, der administrative Aufwand und die finanzielle Unsicherheit so manchen Arbeitgeber schlucken lassen. Das zeigt ein Blick auf die Kosten für eine Betriebskita am Beispiel von NRW: Ein bestimmter Anteil der Plätze muss öffentlich sein, darf also nicht von Mitarbeiterkindern belegt werden – sonst gibt es keine kommunalen Fördergelder. Ob öffentliche Gelder winken, hängt aber auch von der kommunalen Bedarfsplanung ab. Gilt der Bedarf als gedeckt, gibt es keine Zuschüsse von der Kommune. Dafür sind Unternehmen, die keine Unterstützung erhalten, allerdings auch frei bei der Festlegung von Aufnahmekriterien, Stundenmodellen oder Öffnungszeiten.

Dr. Regina Ahrens<address>© Foto: Caroline Queda</address>
Dr. Regina Ahrens
© Foto: Caroline Queda
Beispiel Unternehmenskultur: Familienbewusstsein ist mehr als die Summe von Maßnahmen. Sie muss gelebt und in der Kultur einer Firma, Hochschule oder Stadtverwaltung verankert sein. Das ist schwieriger als man denkt. Neiddebatten, die Angst davor, vorhandene Angebote zu nutzen, weil dies sich negativ auf die weitere Karriere auswirken könnte, oder einfach das vage Gefühl, dass es sich bei den Bemühungen des eigenen Arbeitgebers um Lippenbekenntnisse handelt – Gründe dafür, warum Familienbewusstsein nicht gelebt wird, gibt es viele. Das liegt auch daran, dass bestimmte Gruppen wie zum Beispiel Väter, pflegende Angehörige oder Führungskräfte lange in der Diskussion um eine familienbewusste Arbeitswelt "vergessen" wurden. Noch heute ist es durchaus üblich, dass beispielsweise Führungskräfte offiziell oder durch entsprechenden Druckaufbau davon abgehalten werden, familienbewusste Maßnahmen selbst zu nutzen. Das gilt insbesondere für die Möglichkeit, in Phasen hoher (familienbedingter) Belastung die Arbeitszeit zu reduzieren. Auf lange Sicht kann das fatale Folgen haben. Nämlich dann, wenn Führungskräfte das Gefühl entwickeln, ständig den Spagat zwischen den Forderungen der Mitarbeiter und dem familienbewussten Leitbild des Unternehmens schaffen zu müssen – ohne selbst von den Vorteilen profitieren zu können. Aber auch wenn Väter oder pflegende Angehörige das Gefühl haben, in der Debatte um das Familienbewusstsein ihres Arbeitgebers abgehängt zu werden, können schnell Neiddebatten entstehen.

Die Lösung? Sie ist ganz einfach – zumindest in der Theorie: Kommunikation. In der Praxis ist das eine echte Herausforderung. Denn: Gefordert sind alle. Arbeitgeber müssen auf Beschäftigte und Führungskräfte zugehen und fragen, was sich im Alltag als hilfreich erweist und wo es noch Verbesserungsbedarf gibt – und dabei auch die Mitarbeiter im Blick haben, die (noch) keine Familienpflichten haben. Gleichzeitig ist es an den Beschäftigten, zu äußern, wo der Schuh drückt und konstruktive Vorschläge zu machen. Und beide – sowohl Beschäftigte als auch Arbeitgeber – müssen ihre praktischen Erfahrungen an die Entscheidungsträger in Politik und Verwaltung weitergeben.

Dr. Regina Ahrens führt die Geschäfte des Forschungszentrums Familienbewusste Personalpolitik an der WWU Münster. Bei der Tagung "Zivilgesellschaft und Wohlfahrtsstaat. Akteure, Strategien und Politikfelder im Wandel", die vom 23. bis 25. November vom Institut für Politikwissenschaft und der "Akademie Franz Hitze Haus" veranstaltet wird, wirkt Regina Ahrens als Referentin mit.

 

Iris Oji<address>© Foto: Maja Schültingkemper</address>
Iris Oji
© Foto: Maja Schültingkemper
Iris Oji, Leiterin des Servicebüros Familie, zur Umsetzung der Kinderbetreuung an der WWU:

Welche Kinderbetreuungsmöglichkeiten gibt es an der WWU?

Die WWU hält auf Basis von zwei Modellen Tagesbetreuung für die Kinder ihrer Beschäftigten bereit. Zum einen bieten wir neun Plätze in der Großtagespflegestelle "Zauberschloss" an und zum anderen haben wir bisher 14 Belegrechte in drei Kindertagesstätten erworben. Träger sind das Studierendenwerk sowie der evangelische Kirchenkreis. Darüber hinaus organisiert das Servicebüro Familie Ferienprogramme, wenn Schulferien und Vorlesungszeit miteinander kollidieren. Neben dem Back-Up-Angebot im Rahmen von Tagungen haben wir auch den Babysitter-Service.

Wie werden die Angebote nachgefragt?

Unsere Angebote werden sehr gut angenommen. Die veranstaltungsbegleitende Back-Up-Betreuung ist weniger nachgefragt als die übrigen, da wir sie erst in diesem Jahr initiiert haben.

Vor welchen Herausforderungen steht die WWU in Sachen Kinderbetreuung?

Die WWU hat sich vor dem Hintergrund, dass der kommunale Bedarf im U3-Bereich am größten ist, darauf konzentriert, Betreuungsmöglichkeiten für unter dreijährige Kinder zu schaffen. Besonders schwierig ist die Situation für Neubürger, die sich zunächst mit den organisatorischen Abläufen in Münster vertraut machen müssen. Kommen Beschäftigte aus dem Ausland, haben sie oft nicht die Gelegenheit, sich hier vor Ort um Kinderbetreuung zu kümmern. Da es zum Kitajahresbeginn im August die meisten Tagesbetreuungsmöglichkeiten gibt, haben Beschäftigte, die während des Jahres neu in den Job einsteigen oder wieder einsteigen, längere Phasen der Planungsungewissheit. In solchen Situationen ist die Begleitung durch das Servicebüro Familie besonders gefragt.

 

Der Artikel und das Interview stammen aus der Universitätszeitung "wissen|leben" Nr. 7, 16. November 2016.

Links zu dieser Meldung