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Münster (upm/jus)
Jutta Dalhoff<address>© privat</address>
Jutta Dalhoff
© privat

"Die Hochschulen haben einiges nachgeholt"

Ein Gespräch über Familienbewusstsein in der Wissenschaft

Welchen Stellenwert hat Familienbewusstsein an deutschen Hochschulen? Das Kompetenzzentrum Frauen in Wissenschaft und Forschung (CEWS) in Köln hat dazu von 2011 bis 2014 das Projekt "Effektiv! – Für mehr Familienfreundlichkeit an deutschen Hochschulen" durchgeführt. Seit 2006 leitet Jutta Dalhoff das CEWS. Im Gespräch mit Julia Schwekendiek erklärt sie, was eine familienbewusste Hochschule ausmacht.

In der Öffentlichkeit wird die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verstärkt diskutiert. Welchen Stellenwert hat diese Debatte an den deutschen Hochschulen?

Familienfreundlichkeit ist an den Hochschulen ein wichtiges Thema, weil es in der Hochschulpolitik eng mit der Unterrepräsentation von Frauen in der Wissenschaft verknüpft wurde. Oft wurde gesagt: Wenn wir familienfreundlicher werden, dann wird sich dieses Problem lösen. Die Entwicklung hat jedoch gezeigt, dass allein die Möglichkeit, Kinder unterzubringen, nicht zu mehr Präsenz von Frauen in der Wissenschaft führt. Dass das Thema flächendeckend im Fokus steht, zeigt sich zum Beispiel auch an Einrichtungen wie dem Audit "Familie und Beruf", an dem viele Hochschulen teilnehmen. Auch der Best-Practice-Club "Familie in der Hochschule" hat viel Zulauf, um sich auf der Arbeitsebene auszutauschen.

Haben Sie den Eindruck, dass die Hochschulen in den vergangenen Jahren familienfreundlicher geworden sind?

Im Bemühen, ein guter Arbeitgeber zu sein und gutes Personal zu gewinnen, hat das Thema eine entscheidende Rolle eingenommen. Die Hochschulen haben einiges nachgeholt, was in anderen Bereichen schon früher verbreitet war. Im Vergleich zu anderen Ländern lässt sich jedoch feststellen, dass die Geschlechterrollen in Deutschland noch sehr traditionell geprägt sind, trotz der fortschrittlichen Familienpolitik, die sich zum Beispiel im Elternurlaub zeigt. In Europa ist diesbezüglich Island ungeschlagen an der Spitze, dicht gefolgt von Finnland. Dort gibt es viele Möglichkeiten, die Kindererziehung mit staatlicher Unterstützung über eine längere Spanne hinweg sehr flexibel gestalten zu können. Beide Länder kombinieren gesetzliche Regelungen mit guten Kinderbetreuungseinrichtungen, die flächendeckend zur Verfügung stehen und bezahlbar sind.

Die "Effektiv"-Studie des CEWS hat ergeben, dass drei Viertel der wissenschaftlichen Mitarbeiter kinderlos sind, obwohl sich viele von ihnen ein Kind wünschen. Ist das nicht vielmehr ein Indiz dafür, dass die Wissenschaft familienunfreundlich ist?

Die Beschäftigungssituation an den Hochschulen ist von einer sehr rigiden Befristungspolitik gekennzeichnet. Die Entscheidung, Eltern zu werden, wird aus verständlichen Gründen hinausgeschoben, weil man sich häufig bis zu einem Alter von 40 Jahren mit befristeten Verträgen von einem Projekt zum nächsten hangelt. Außerdem wird von Nachwuchswissenschaftlern eine große Mobilität und zeitliche Verfügbarkeit gefordert. Das führt dazu, dass sich viele Frauen und Männer in dieser Situation genau überlegen, ob Kinder in ihr Leben hineinpassen.

Gibt es in der deutschen Hochschullandschaft denn auch positive Beispiele für familienfreundliche Arbeitsbedingungen?

Tagsüber gut versorgt: Die WWU bietet ihren Mitarbeitern verschiedene Betreuungsmöglichkeiten für den Nachwuchs an. Auf unserem Bild holt Javier Ramón (links) gerade seinen Sohn Nilo aus der Großtagespflegestelle „Zauberschloss“ ab. In der Einrichtung an der Hittorfstraße betreuen drei Erzieherinnen neun Kinder.<address>© WWU/Peter Grewer</address>
Tagsüber gut versorgt: Die WWU bietet ihren Mitarbeitern verschiedene Betreuungsmöglichkeiten für den Nachwuchs an. Auf unserem Bild holt Javier Ramón (links) gerade seinen Sohn Nilo aus der Großtagespflegestelle „Zauberschloss“ ab. In der Einrichtung an der Hittorfstraße betreuen drei Erzieherinnen neun Kinder.
© WWU/Peter Grewer
Konkrete Beispiele zu nennen, ist eher schwierig. Positiv finde ich zum einen, dass Arbeitnehmer den Spielraum, der ihnen trotz restriktiver Beschränkungen bleibt, gemeinsam mit dem Arbeitgeber kreativ nutzen können. Hier hängt viel von den Vorgesetzten ab. Von ihnen muss die Botschaft ausgehen, dass es gewollt ist, dass junge Menschen eine Familie gründen. Zum anderen sollte sich Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht nur auf Kinder beziehen. Viele Menschen werden bereits früh im Berufsleben damit konfrontiert, dass sie Angehörige pflegen müssen. Immer mehr Hochschulen unterstützen ihre Mitarbeiter inzwischen dabei, diese Verantwortung im Rahmen ihres Arbeitsverhältnisses zu übernehmen. Eine Betriebsvereinbarung kann eine gute Option sein.

Noch immer wird die Vereinbarkeit von Familie und Beruf stark mit Frauen verknüpft, obwohl das tägliche Leben in vielen Partnerschaften und Ehen anders aussieht. Welche Folgen ergeben sich daraus für den Diskurs?

Die Rahmenbedingungen ermöglichen es Vätern zwar, mehr Erziehungsverantwortung zu übernehmen, dennoch hält sich das in Deutschland noch sehr im Rahmen. Eine gleichmäßige Aufteilung der Elternzeit zwischen Vater und Mutter beispielsweise gibt es nur in Ausnahmefällen. Aus mehreren Studien geht hervor, dass in Deutschland weiterhin eine sehr tradierte Rollensituation zwischen den Geschlechtern vorherrscht und sich in den Köpfen bisher wenig verändert hat. Hier etwas zu bewegen, ist natürlich kein Thema einer einzelnen Hochschule, sondern eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

Wie würde eine ideale familienfreundliche Hochschule für Sie aussehen?

Ich würde den Begriff sehr viel weiter fassen, als das bisher getan wird. Klassischerweise richten sich die Instrumente, die die Hochschulen für mehr Familienfreundlichkeit einsetzen, an die Generation zwischen 30 und 40 Jahren – zum Beispiel flexible Arbeitszeiten und Betreuungsangebote für Kinder. Sie wirken sich jedoch eher systemstützend aus und benachteiligen Frauen auf längere Sicht. Unsere Arbeitszeitpolitik sollte in eine andere Richtung gehen, um eine wirkliche "Work-Life-Balance" zu erzielen. Man müsste Möglichkeiten für Männer und für Frauen schaffen, um über die gesamte Lebensarbeitszeitspanne flexibler werden zu können. Der deutsche Juristinnen-Bund hat dazu im vergangenen Jahr den Entwurf eines Wahlarbeitszeitgesetzes vorgelegt. Arbeitnehmer hätten demnach über ihre gesamte Lebensarbeitszeit hinweg die Option, Arbeitszeit über ein Konto "anzusparen". In Absprache mit dem Arbeitgeber können sie auf dieses Konto individuell zugreifen, wenn sie Zeit für die Betreuung von Kindern, für ehrenamtliche Aufgaben, für gesundheitsfördernde Auszeiten, für Fort- und Weiterbildungen oder die Pflege von Angehörigen benötigen. Das wird sich nicht so schnell umsetzen lassen, es ist aber ein richtiger Vorschlag für eine sinnvolle lebensphasenorientierte Personalentwicklung.

Wohin sollte es Ihrer Meinung nach in Zukunft gehen?

Durch Instrumente, die vor allem an Frauen gerichtet sind, wird sich an der jetzigen Situation wenig ändern. Es genügt auch nicht, Männern bestimmte Angebote wie die Elternzeit zu machen. Im Vergleich mit anderen Ländern zeigt sich, dass es verbindliche Vorgaben geben sollte, wie die verschiedenen Möglichkeiten von beiden Geschlechtern zu nutzen sind, sonst führen die tradierten Vorstellungen doch wieder zu einer Ungleichverteilung der Betreuungsleistungen. Daran könnte man nur mit relativ strengen Vorgaben, die in unserer Gesellschaft natürlich umstritten sind, etwas ändern.

Autorin: Julia Schwekendiek

Dieser Artikel stammt aus der Universitätszeitung "wissen|leben" Nr. 6, 12. Oktober 2016.

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