Forscher untersuchen Reaktionen von Pflanzen auf Schwerelosigkeit
31 Mal schwerelos für jeweils 22 Sekunden: Bei den Parabelflügen des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) dienen waghalsig erscheinende Flugmanöver dazu, den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern an Bord Experimente unter veränderten Schwerkraftbedingungen zu ermöglichen. So auch Dr. Maik Böhmer. Der Nachwuchsgruppenleiter am Institut für Biologie und Biotechnologie der Pflanzen der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU) und Doktorand Hamed Al Ameen waren nun an einer sogenannten Parabelflug-Kampagne des DLR in Bordeaux, Frankreich, beteiligt. Insgesamt vier Flüge standen auf dem Programm. Mit an Bord waren auch die Versuchsobjekte der münsterschen Wissenschaftler: Pflanzen, deren Reaktion auf die Schwerelosigkeit es zu erforschen gilt.
Bemannte Langzeit-Weltraummissionen, beispielsweise zum Mars, werden ohne lebende Pflanzen nicht auskommen. Die grünen Gewächse sollen Nahrung und Sauerstoff liefern. Ob und wie das Pflanzenwachstum in der Schwerelosigkeit möglich ist, erforschen Wissenschaftler auf der ganzen Welt. Denn obwohl nicht im Detail bekannt ist, wie die biologischen Mechanismen funktionieren, ist klar, dass Pflanzen auf die Schwerkraft reagieren. Die Wurzeln einer Pflanze beispielsweise wachsen mit der Schwerkraft nach unten. Die münsterschen Biologen interessieren sich speziell für sehr schnelle Reaktionen auf Schwerkraftänderungen. Ihre Untersuchungen führen sie an einem unscheinbaren Kraut durch: der Acker-Schmalwand. Diese Pflanze ist ein beliebter Modellorganismus für Forscher, um grundlegende Fragen der Pflanzenbiologie zu beantworten.
Wir wollen herausfinden, wie die Signale in der Wurzel weitergeleitet werden."
Die Pflanzen flogen bereits bei einer Raketenmission des DLR in Kiruna, Schweden, mit und waren dort fünf Minuten Schwerelosigkeit ausgesetzt. In Experimenten im Fallturm der Universität Bremen erfuhren sie 4,6 Sekunden Schwerelosigkeit. "Seit den Fallturm-Experimenten wissen wir, dass die Wurzel in Sekundenschnelle auf Änderungen der Schwerkraft reagiert. Nach fünf Minuten im All sehen wir bereits eine weitreichend Anpassung an Schwerelosigkeit. Jetzt interessierte uns, was in der Zeit dazwischen passiert. Diese Prozesse haben wir während des Parabelflugs untersucht", erläutert Maik Böhmer.
Dabei nahmen die Münsteraner einen wichtigen Botenstoff in Augenschein, der an der frühen Signalweiterleitung beteiligt ist: Kalzium. "Veränderungen der Kalziumkonzentration in der Zelle dienen als Signal, das auch an andere Zellen weitergegeben wird. Ein Parabelflug bietet die Möglichkeit, die Veränderung der Kalziumkonzentration bei erhöhter und reduzierter Schwerkraft in einem Zeitraum von weniger als einer Minute zu untersuchen", so Maik Böhmer. "Wir wollen herausfinden, welche Zellen besonders schnell reagieren und wie die Signale in der Wurzel weitergeleitet werden." Die Erkenntnisse der Forscher sollen dazu beitragen, an die Schwerelosigkeit angepasste Pflanzen für die bemannte Raumfahrt zu züchten.
Um die lebendigen Pflanzen während des Fluges mikroskopieren zu können, fixierten die Wissenschaftler sie auf Chips, die mit der Arbeitsgruppe von Dr. Guido Grossmann von der Universität Heidelberg entwickelt wurden. Mithilfe eines sogenannten Reportermoleküls, das die Kalziumkonzentration misst und durch ein Lichtsignal sichtbar macht, verfolgten sie die Reaktionen in den Wurzeln der Pflanzen. Die Bilder sind zeitlich und räumlich hoch aufgelöst und dreidimensional. Das verwendete "Spinning-Disc-Konfokalmikroskop" ist eine Spezialentwicklung für den Einsatz in der Schwerelosigkeit.
Bei der Kampagne des DLR mit vier Parabelflügen waren insgesamt 15 Forscherteams an Bord.