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Münster (upm/bw/ja)
Prof. Dr. Heike Bungert (l.) und Prof. Dr. Cornelia Denz tauschen sich über Unterschiede im Umgang mit Fremdsprachen in den Natur- und in den Geisteswissenschaften aus.<address>© WWU - Peter Grewer</address>
Prof. Dr. Heike Bungert (l.) und Prof. Dr. Cornelia Denz tauschen sich über Unterschiede im Umgang mit Fremdsprachen in den Natur- und in den Geisteswissenschaften aus.
© WWU - Peter Grewer

"Wie stark ein Forschungsfeld Englisch benötigt, ist vom Fach abhängig ..."

Prof. Cornelia Denz und Prof. Heike Bungert über Fremdsprachen in den Natur- und in den Geisteswissenschaften

Die Internationalisierung durchdringt die Universität Münster auf allen Ebenen, von der Lehre bis zur Forschung. Um noch attraktiver für die besten Studierenden aus dem Ausland zu werden, bietet die Universität zunehmend Seminare, aber auch ganze Studiengänge auf Englisch an. Doch ist das tatsächlich notwendig? Gefährdet es die Karriere, wenn sich deutsche Studierende für einen ausschließlichen Gebrauch ihrer Muttersprache entscheiden? Bernadette Winter sprach darüber mit der Physikerin Prof. Dr. Cornelia Denz, Prorektorin für Internationales und wissenschaftlichen Nachwuchs, und der Historikerin Prof. Dr. Heike Bungert, die den Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte unter besonderer Berücksichtigung der Nordamerikanischen Geschichte hat.

Hat sich Ihr persönlicher Umgang mit der Frage Deutsch oder Englisch im Laufe Ihrer Karriere geändert?

Cornelia Denz: Als ich in den 1980er Jahren anfing zu forschen, gab es in meinen Fächern Optik und Photonik noch zwei Zeitschriften, die auf Deutsch oder zweisprachig auf Deutsch und Französisch publizierten. Sie wurden beide sehr bald eingestellt. Ich habe zu einer Zeit in Deutschland Karriere gemacht, in der die klassischen Ausbildungsstrukturen sehr konservativ gelebt wurden. Vor einer Habilitation galt man noch nicht als vollwertige Wissenschaftlerin oder vollwertiger Wissenschaftler. Im Ausland dagegen gab es diese formale Qualifikationsstufe nicht, so dass die wissenschaftliche Leistung per se als "Eintrittskarte" in die wissenschaftliche Community ausreichte. Dadurch konnte ich mich auf internationalen Tagungen zum Beispiel mit Englisch ganz anders profilieren, erhielt ehrenvolle Einladungen und konnte meine Karriere vorantreiben. Die ersten Projekte, die ich erfolgreich eingeworben habe, waren daher internationale Projekte, gefördert vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) oder der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), in denen ich mit hoch angesehenen internationalen Kollegen auf Augenhöhe forschte. In Deutschland wäre das für eine junge, nicht habilitierte Wissenschaftlerin zu dieser Zeit undenkbar gewesen.

Heike Bungert: Ihre Erfahrung kann ich bestätigen. Ich habe in den USA meinen Master gemacht. In Deutschland war man in den großen Fächern Geschichte und Englisch eine kleine Nummer, in den USA dagegen schon "graduate student". Das war etwas Besonderes, ein unglaubliches Gefühl.

Wie ist die aktuelle Entwicklung in den Disziplinen, gibt es einen Unterschied zwischen Natur- und Geisteswissenschaften?

Denz: In den Natur- und Lebenswissenschaften hat sich Englisch als Wissenschaftssprache inzwischen so etabliert, dass andere Sprachen in Publikationen, Forschungskommunikation und Tagungen kaum noch eine Bedeutung haben. Auch im Laboralltag ist Englisch präsent. Ein Drittel unserer Abschlussarbeiten im Master wird in Englisch verfasst. Bei Doppelabschlüssen wie demjenigen in Physik mit der Universität Sevilla in Spanien ist die englische Sprache sogar Voraussetzung – und beide Länder wenden dies natürlicherweise an.

Bungert: Wie intensiv wir Fremdsprachen nutzen, ist vom Fach abhängig. Wir bieten auch lateinamerikanische Geschichte an. Für diese Studierenden ist es viel wichtiger, dass sie Spanisch sprechen können. In der mittelalterlichen Geschichte haben wir einen starken Schwerpunkt auf Frankreich. Hier finden auch Veranstaltungen auf Französisch statt.

Wie schätzen Studierende das Thema ein?

Denz
: In den Naturwissenschaften gibt es Studierende, die ein Fach ergreifen, weil sie sich in den Sprachen nicht so stark fühlen. Deshalb empfehlen wir schon im Grundstudium neben den deutschen auch englische Lehrbücher, die meist sogar in ihren Erklärungen und didaktischen Darstellungen eingängiger sind. Und wir versuchen klar zu machen, dass wissenschaftliche Entdeckungen heutzutage ausschließlich auf Englisch publiziert werden. Daher ist es für das Studium wichtig, sich mit Englisch als Wissenschaftssprache vertraut zu machen. Gerade in den ersten Vorlesungen in den Bachelor-Studiengängen, die üblicherweise in Deutsch gelesen werden, halten viele unserer Kollegen die Zusammenfassung der vergangenen Stunde auf Englisch, um langsam "in Übung" zu kommen. Umgekehrt fassen wir in Vorlesungen, in denen die Lehre in Englisch gehalten wird, die Stunde auf Deutsch zusammen. So können auch die Austauschstudierenden, für die wir immer mehr Vorlesungen in Englisch halten, dabei etwas Deutsch lernen.

Bungert: Wer "Deutsche Geschichte" studiert, ein Fach, in dem die Quellen und ein Großteil der Sekundärliteratur auf Deutsch sind, wird seine Arbeit logischerweise nicht auf Englisch schreiben. Strebe ich aber eine internationale wissenschaftliche Karriere an, sollte ich auch mal Artikel auf Englisch publizieren. Wer Alte Geschichte oder Kunstgeschichte studiert, muss vielleicht Artikel auf Italienisch lesen. Im Moment bieten wir daher dort Englisch beziehungsweise Fremdsprachen an, wo es zum Thema passt. Das heißt, dass ich gelegentlich meine Seminare zur US-Geschichte auf Englisch unterrichte, da hier die Quellen und die Sekundärliteratur in englischer Sprache vorliegen. Der Kollege, der die mittelalterliche Geschichte Frankreichs lehrt, bietet Veranstaltungen auf Französisch an. Ab und an laden wir Kollegen anderer Universitäten ein, die in ihrer Muttersprache eine Stunde gestalten, meist als Vortrag mit anschließender Diskussion. Dann haben die Studierenden die Option, die Sprache im Original zu hören. Dennoch gibt es Probleme: Vielen Studierenden fällt es schwer, sich ein ganzes wissenschaftliches Buch in einer fremden Sprache in einer bestimmten Zeit zu erarbeiten. Deshalb sind meine englischsprachigen Veranstaltungen oft als Sprachübung im Mastermodul vorgesehen. Das hat den Vorteil, dass es keine Noten gibt. Stattdessen kann ich den Sprachgebrauch beurteilen.

Gibt es unter den Kollegen ausgewiesene Gegner und Befürworter einer "English-only"-Politik?

Denz: Es gibt Kolleginnen oder Kollegen, die sagen klar, dass sie in Deutschland erwarten, dass in Forschung und Lehre Deutsch gesprochen wird. Hier und da deutet auch mal ein Studierender an, dass er oder sie, sollte die Lehre nur in Englisch angeboten werden, sich eine andere Universität suchen würde. Und es gibt diejenigen Kollegen, die den Gebrauch der englischen Sprache gerne forcieren wollen, weil sie es für einen Ausbildungs- und Karrierevorteil halten, wenn die internationale Wissenschaftssprache Englisch souverän gesprochen werden kann.

Bungert: Die Frage wäre: Was würde passieren, wenn wir im Fach Geschichte hier in Münster alles auf Englisch abhalten würden? Ich vermute, dass viele Lehramtsstudierende, die später hauptsächlich deutsche Geschichte auf Deutsch unterrichten werden und denen der Notendurchschnitt für die spätere Einstellung als Lehrer wichtig ist, zu anderen Universitäten in Nordrhein-Westfalen abwandern würden.

Denz: Andererseits gibt es mittlerweile an allen Universitäten in Deutschland ein klares Bekenntnis zur Internationalisierung. Will man als Universität in den internationalen Rankings wahrgenommen werden und konkurrenzfähig sein, muss Englisch eine Rolle spielen. Die Frage ist, wie man die verschiedenen Interessen an einer deutschen Universität berücksichtigt. Meiner Meinung nach lassen sich keine fundamentalen, absoluten Regeln aufstellen. Man kann nicht sagen, Deutsch ist unsere Muttersprache, wir sprechen nur noch Deutsch. Man kann aber auch nicht einfach mit dem Argument, Englisch sei die Umgangssprache der Zukunft, alles nur noch auf Englisch machen, wie es einige private Universitäten praktizieren. Aber ich würde schon allen Fächern empfehlen, intensiver über die Nutzung der englischen Sprache nachzudenken, weil meiner Meinung nach die Vorteile überwiegen. Dass dabei einzelne Fächer für sich definieren, wie viel Lehre oder Forschung in Englisch oder Deutsch gehalten wird, ist vollkommen in Ordnung. Wenn dagegen einzelne Kolleginnen oder Kollegen den Standpunkt vertreten, dass sie selbst nur auf Deutsch lehren, während alle anderen unter anderem auf Englisch unterrichten, sehe ich das kritischer. Es sollte in den Fachbereichen eine klare, verlässliche Linie und Übereinkunft geben, welche Veranstaltungen auf Deutsch oder Englisch angeboten werden, und das sollte dann unabhängig vom Lehrenden für eine Veranstaltung durchgehend gelten.

Bungert: Das sehe ich anders. Es gibt Kollegen, die können nicht so gut Englisch, und es gibt Kollegen, die können besser Französisch. Wir haben zudem Studienschwerpunkte, in denen andere Fremdsprachen wichtig sind. Ich würde also generell sagen, dass man Fremdsprachen auf jeden Fall braucht.

Von Ihrer Seite lautet die klare Empfehlung an alle Studierenden: Lernt mehrere Sprachen, sonst verbaut ihr euch eure Karriere?

Bungert: Gerade die Geisteswissenschaftler, die nicht auf Lehramt studieren, haben später die Wahl zwischen sehr vielen verschiedenen Berufen. Daher ist jede Zusatzqualifikation enorm wichtig. Auch ein Auslandsaufenthalt ist immer zu empfehlen, allein schon, um den Horizont zu erweitern. Der Unterschied liegt höchstens darin, dass in den Natur- und Lebenswissenschaften der Fokus auf dem Englischen liegt. In den Geisteswissenschaften ist das zwar ebenfalls wichtig, es kann aber auch eine andere Sprache sein.

Denz: Zu glauben, dass man Englisch nach der Schule nicht mehr braucht, ist naiv. Dies gilt für die Wissenschaft ebenso wie für die Industrie. Wie stark ein Forschungsfeld oder Arbeitsgebiet Englisch benötigt, ist sicher vom Fach abhängig, aber es ist wichtig. Von daher lautet meine Empfehlung, das Englisch, was man in der Schule gelernt hat, nicht einschlafen zu lassen, sondern aktiv zu nutzen. Dass man eine Stelle in der Industrie oder an einer Universität auf dem Level einer akademischen Ausbildung findet, in der man gar nichts mehr mit fremden Ländern und Kulturen zu tun hat, halte ich für sehr unwahrscheinlich. Zudem öffnet eine andere Sprache interkulturelle Zugänge und erlaubt Verständnis für andere Kulturen. Nur in der eigenen Sprache und der eigenen Kultur zu verharren, macht gerade heute keinen Sinn mehr – die Welt ist nicht nur im Beruf, sondern auch im Privatleben global geworden.

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