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Münster (upm/ja)
Prof. Dr. Zhu Jianhua spricht bei einem Gastvortrag kürzlich in Münster …© WWU - Peter Grewer
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"Englisch ist ein Muss, Deutsch ein Plus!"

Chinas Germanistik-Experte Prof. Dr. Zhu Jianhua über die Zukunft des Deutschunterrichts in China

Die Liste seiner Funktionen ist beeindruckend lang und versprüht Internationalität: Präsident der Internationalen Vereinigung für Germanistik von 2010 bis 2015, dananch Ehrenpräsident. Seit 1993 Vizevorsitzender des Anleitungskomitees für Fremdsprachenlehrveranstaltungen und Leiter des Arbeitskreises Hochschuldeutsch, seit 2012 Präsident des Humboldt-Clubs Shanghai. Mancher nennt Prof. Dr. Zhu Jianhua auch den "Germanistik-Papst" aus China. Was er über die Muttersprache und Fremdsprachen in der Wissenschaft denkt, erzählte er Juliane Albrecht kürzlich am Rande eines Arbeitsbesuchs an der WWU. Bei dem Besuch ging es unter anderem um die gemeinsame Doktorandenausbildung und die weitere fachliche Zusammenarbeit.

Warum ist Deutsch so wichtig geworden in China und entwickelt sich so dynamisch?

Der Deutschunterricht in China hat eine stabile Aufwärtstendenz. Der Grund ist, dass nach der Reform- und Öffnungspolitik Chinas die Einführung des technischen Know-hows, also der wissenschaftlichen und technischen Errungenschaften, aus westlichen Ländern anstand. Und Deutschland ist in dieser Hinsicht nach unserer Auffassung das stärkste Land im europäischen Raum. Das bringt den Deutsch-Trend ins Land. Zudem sind große Persönlichkeiten wie Goethe und Schiller oder Beethoven und Mozart, in der Politik Marx und Engels wie auch andere Philosophen, in China sehr bekannt. Heutzutage richtet sich alles nach Englisch. Dass das nicht geht, hat auch die chinesische Regierung gemerkt. Man muss neben Englisch als Lingua Franca auch andere Fremdsprachen fördern.

Mit der englischen Sprache kommt man weltweit zurecht. Welchen Stellenwert hat Deutsch an den chinesischen Universitäten: nur Platz zwei, drei oder manchmal auch eins?

Die chinesischen Studenten wissen natürlich, dass Englisch die weltweit meistverbreitete Verkehrssprache ist. Aber die anderen Sprachen, zum Beispiel Deutsch, Französisch und Japanisch, die als Kultursprachen gelten, sind wichtig, um sich von anderen zu unterscheiden. Mein Motto lautet: Englisch ist ein Muss, Deutsch ein Plus! Viele Studenten lernen jetzt schon Deutsch als erste Fremdsprache. Und diesen Trend wollen wir verstärken. Wir haben seit der Öffnungspolitik der Regierung über 50.000 Absolventen in der deutschen Fakultät ausgebildet – sie alle haben hinterher mehr oder weniger mit Deutschland zu tun. Viele von ihnen arbeiten heutzutage auf wichtigen Posten in den deutschen Firmen und Unternehmen wie VW und Siemens. Auch der Chef der Commerzbank in China ist einer unserer Absolventen.

Deutschland ist nicht immer politisch auf einer Linie mit China. Glauben Sie, dass die Germanistik die Kommunikation und das Verständnis zwischen Deutschland und China verbessern kann?

Der kulturelle Austausch ist sehr wichtig. Es gibt viele Missverständnisse, nicht nur auf wirtschaftlicher, sondern auch auf politischer Ebene. Wir merken in der deutsch-chinesischen Kommunikation, dass China und Deutschland verschiedene Positionen in der Weltpolitik haben, aber auch viele Gemeinsamkeiten. Ich bin davon überzeugt, dass wir mit der Germanistikausbildung oder dem Austausch von Studenten viel  Verständnis füreinander aufbauen können. Das ist jedenfalls eines unserer Ziele.

Sicher gibt es einige Gemeinsamkeiten, aber eben auch fundamentale Unterschiede, beispielsweise in Fragen der  Pressefreiheit und der persönlichen Freiheit. Oder basiert auch das nur auf einem Missverständnis?

Keine Frage: Die Unterschiede sind unverkennbar, beispielsweise im Verständnis von Pressefreiheit. Gerade deswegen ist der Meinungsaustausch auf politischer Ebene ebenso wichtig wie zwischen der einfachen Bevölkerung. Nur so lassen sich Probleme bewältigen. Wir haben im Übrigen in China auch eine andere Meinung über Grundwerte als die Deutschen. Wir sollten auf gegenseitiges Verständnis setzen.

Haben Sie Ihre Zeit jetzt an der WWU nutzen können, um die Pläne für Kontakte oder Austauschprogramme zu intensivieren?

Ja, das haben wir vor. Unterschrieben ist zwar noch nichts, aber wir stehen weiter in einem intensiven Gedankenaustausch mit  Prof. Susanne Günthner vom Germanistik-Institut und dem International Office.

Sie beschäftigen sich seit vielen Jahre mit Germanistik und sprechen sehr gut Deutsch. Was lieben sie besonders an Deutschland oder an der deutschen Sprache?

Für mich ist Bochum, wo ich promoviert habe, fast zur zweiten Heimat geworden. Ich bin fast jedes Jahr wieder in Deutschland. Für mich ist vieles in Deutschland sehr reizvoll, die Architektur zum Beispiel: Fachwerkhäuser gefallen mir sehr gut. Wenn ein Tourist erstmals nach Deutschland kommt, fährt er meist nach Neuschwanstein. Ich dagegen sage: Das ist nicht typisch deutsch. Und die Sprache? Ja, die deutsche Grammatik ist schwer - aber genau das reizt mich. Ich mag übrigens deutsche Wurst. Das wusste auch einer meiner Freunde, der wiederum einer chinesischen Delegation davon berichtete. Nachdem diese Delegation wieder nach China zurückgekehrt war, hatte ich plötzlich 20 Dosen Bockwurst zu Hause...
 

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