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Münster (upm/ch)
Gewöhnliches Seegras im Schärenmeer vor der Südwestküste Finnlands<address>© Christoffer Boström</address>
Gewöhnliches Seegras im Schärenmeer vor der Südwestküste Finnlands
© Christoffer Boström

Kein Weg zurück an Land

Wissenschaftler untersuchen Seegras-Genom / Blütenpflanze trägt genetische Anpassungen an den Lebensraum Ozean

Das "Gewöhnliche Seegras" ist für viele Ökosysteme eine sehr bedeutsame Pflanze: Seegras-Wiesen schützen beispielsweise den Meeresboden und die Küsten vor Erosion und dienen als Nahrungsquelle sowie als Versteck für viele Fische und Kleintiere. Für Evolutionsbiologen besonders interessant: Seegräser sind die einzigen Blütenpflanzen, die von Land aus das Meer besiedelt haben. Ein internationales Forscherkonsortium hat nun erstmals die gesamte Genomsequenz der Pflanze offengelegt und untersucht. Dabei haben die Wissenschaftler in den Genen zahlreiche Spuren der Anpassung an den Lebensraum Ozean gefunden. Die Ergebnisse sind aktuell in der Online-Ausgabe des Fachmagazins "Nature" veröffentlicht.

An der Studie waren 35 Wissenschaftler aus zwölf Ländern beteiligt, die Leitung lag bei der Meeresbiologin Prof. Dr. Jeanine Olsen von der Universität Groningen (Niederlande). Von der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU) war der Bioinformatiker Prof. Dr. Erich Bornberg-Bauer vom Institut für Evolution und Biodiversität dabei.

Die Vorfahren der heutigen Landpflanzen lebten einst im Meer. Im Laufe der Evolution passten sich die Pflanzen an ein Leben an Land an. Seegräser besiedelten später von Land aus erneut den Lebensraum Meer. Sein Lebensraum hat auch das Erscheinungsbild des Gewöhnlichen Seegrases (Zostera marina) geprägt, das fast über die gesamte Nordhalbkugel verbreitet ist: Beispielsweise hat es im Laufe der Evolution seine "Atemöffnungen" auf den Blättern verloren – die sogenannten Stomata, die den Pflanzen an Land den Gasaustausch ermöglichen. Die Forscher wiesen nach, dass alle Gene fehlen, die zur Ausbildung der Stomata nötig sind. Damit ist dem Seegras die Rückkehr an Land nicht möglich.

Die Wissenschaftler wiesen noch weitere genetische Anpassungen nach. So fehlen beispielsweise die Gene, die bei Landpflanzen für die Produktion von Signalstoffen zuständig sind – schließlich brauchen die Pflanzen unter Wasser keine Insekten zur Bestäubung anzulocken. Unter die Lupe nahmen die Forscher auch die Zellwände des Seegrases. Diese ähneln denen von Algen und ermöglichen unter anderem den Austausch von Nährstoffen sowie Sauerstoff und Kohlendioxid über die Blattoberflächen. Nun haben die Wissenschaftler das genetische Netzwerk entschlüsselt, durch das diese besonderen Zellwände aufgebaut werden.

"Das Bild, das sich durch unsere Arbeit ergibt, passt zu dem, was man durch bioinformatische Genomvergleiche zunehmend häufig sieht: Anpassung erfolgt zu einem großen Teil durch den Verlust von 'Modulen'. Dies sind insbesondere Proteinabschnitte, sogenannte Domänen, oder auch ganze Proteine. Die Neuentstehung von Modulen ist dagegen selten", erklärt Erich Bornberg-Bauer. Beim Seegras konnten der Münsteraner und sein Team diese Verluste sowohl für Proteine der Stomata als auch für Proteine der Photosythese nachweisen.

Durch einen Blick in das Genom des Seegrases erhoffen sich die Wissenschaftler künftig weitere Antworten auf Fragen der Evolution. Unter anderem untersuchen sie, wie sich die Pflanzen an den Klimawandel und die damit verbundene Erwärmung ihrer Lebensräume anpassen.

 

Originalpublikation:

Olsen J. L. et al. (2016): The genome of the seagrass Zostera marina reveals angiosperm adaptation to the sea. Nature, published online 27 January 2016; doi:10.1038/nature16548

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