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San Francisco (upm)
Helga Soer-Sodmann (l.) und Prof. Cornelia Denz (2.v.r.) informierten die Nachwuchswissenschaftler am WWU-Stand.<address>© WWU - Norbert Robers</address>
Helga Soer-Sodmann (l.) und Prof. Cornelia Denz (2.v.r.) informierten die Nachwuchswissenschaftler am WWU-Stand.
© WWU - Norbert Robers

Speed-Dating und Beratung für kluge Köpfe mit Heimweh

WWU auf der GAIN-Messe: Wie deutsche Post-Doktoranden ihre Rückkehr aus den USA planen

Hier ein nettes Gespräch unter Studienkollegen, am nächsten Stand eine kurze Beratung über das Emmy-Noether-Programm – Matthias Fischer schlendert mit großer Gelassenheit durch den Saal "Golden Gate A" des Hotels "San Francisco Marriott Marquis". Der 32-Jährige hat bereits erreicht, wovon die Mehrzahl der deutschen Nachwuchswissenschaftler, die ebenfalls an die US-Westküste gereist sind, noch träumen: Er tritt zum 1. Dezember eine Stelle als Juniorprofessor an, er wird die wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU) verstärken. "Ich hatte immer die Idee und Hoffnung", meint der Informatiker, "dass ich nach meinem Studium in Ilmenau mit einem Stipendium in den USA Schwungnehme, mir möglicherweise ein neues Thema erschließe und dann nach Deutschland zurückkomme. Das hat funktioniert. Mein Nomaden-Leben hat glücklicherweise vorerst ein Ende."

Direkter Draht zu Rektoren

Wenn Matthias Fischer nicht schon vor Wochen seinen Vertrag an der WWU unterschrieben hätte, er könnte den Messe-Organisatoren als Musterbeispiel dienen. Denn genau das ist die Idee von "GAIN", des German Academic International Network: Post-Doktoranden sowie Hochschulen, Unternehmen, Beratungsdienste, Stiftungen und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen zusammenbringen, füreinander gewinnen. Hinter GAIN stehen die Humboldt-Stiftung, der Deutsche Akademische Auslandsdienst, die Deutsche Forschungsgemeinschaft und eine Reihe assoziierter Mitglieder – einmal im Jahr bietet das Team von Programmleiter Dr. Gerrit Rößler eine Art wissenschaftliches Speed-Dating-Treffen in den USA, mal an der West- und im folgenden Jahr an der Ostküste. Was im Jahr 2001 als überschaubares Stipendiatentreffen in Palo Alto seinen Anfang nahm, hat sich nach Überzeugung von Gerrit Rößler mittlerweile zur größten Tagung für deutsche Nachwuchswissenschaftler entwickelt. "Wo sonst hat man einen solch direkten Draht zu Rektoren, Vizepräsidenten und Direktoren?", fragt er. "Das gibt es sonst nirgendwo." Johannes Bloos, stellvertretender Leiter des Generalkonsulats in San Francisco, pflichtet ihm auf dem Empfang, zu dem er am Vorabend der GAIN-Eröffnung in die Jackson Street im Stadtteil Pacific Heights geladen hat, bei: "Die Qualität dieses Angebots sucht seinesgleichen in den USA."

70 Aussteller im Keller

Mehr als 70 Aussteller, darunter 41 Hochschulen, haben sich im "Golden Gate A-Saal" in einem der beiden Marriott-Kellergeschosse positioniert. Jeder von ihnen hat einen zwei Meter breiten Tisch mitgebracht, auf denen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beispielsweise Broschüren, Flyer, Kugelschreiber, Schlüsselanhänger oder Stellenausschreibungen ausgelegt haben - die meisten von ihnen haben zudem Präsentationswände im Rücken. Am WWU-Stand stehen Prof. Cornelia Denz und Helga Soer-Sodmann Rede und Antwort. "Eine ideale Konstellation", urteilt Cornelia Denz. "Ich kann als Prorektorin für Internationales und wissenschaftlichen Nachwuchs die Position als Wissenschaftlerin und als Rektoratsmitglied in den Gesprächen vertreten – Frau Soer-Sodmann ist als Abteilungsleiterin von ,Safir‘, unserer Servicestelle zur Forschungs-Antragsberatung, die ideale Ansprechpartnerin aus der Verwaltung."

Typisch amerikanische Freundlichkeit

39 Etagen, 15 Ballsäle, zig Rolltreppen zwischen den Ebenen, mehrere Shops und rund 1500 Zimmer: Das an der Mission Street / 4. Straße gelegene Marriott Marquis hat seinen eigenen Charme. In der Lobby des wuchtigen Hotels geht es mitunter zu wie in einer der Abflughallen des Frankfurter Flughafens. Den Mitarbeitern, gleich ob am Empfang oder im Frühstückssaal, gelingt es allerdings mühelos, die eher unpersönliche Atmosphäre durch die typisch amerikanische Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit wettzumachen. Wer von der kalifornischen Dauer-Dürre bisher nur aus dem Fernsehen gehört hat, der bekommt es hier hautnah mit: Jeder Gast, der auf die sonst übliche tägliche Lieferung neuer Handtücher verzichtet, bekommt pro Tag fünf Dollar gutgeschrieben, die man beispielsweise auf besonders spektakuläre Weise in der Sky-Bar im 39. Stock "verprassen" kann…

Zwei Tage, 40 Gespräche

Die rund 300 Nachwuchswissenschaftler, die zur 15. Auflage von "GAIN" eingeladen wurden, haben zweieinhalb Tage lang die Wahl zwischen Vorträgen, Workshops, Arbeitsgruppen und "Talent Fairs". Vier Mal, jeweils zwischen einer und zweieinhalb Stunden lang, haben sie die Gelegenheit, während dieser "Talent-Messen" im "Golden Gate A-Saal" ihre mögliche Rückkehr nach Deutschland zu besprechen und vorzuplanen. Links von der WWU hat sich die Hochschule Niederrhein niedergelassen, rechts davon hat die Universität Köln ihren Stand aufgebaut, gegenüber beraten die Kollegen der Universität Stuttgart. Cornelia Denz und Helga Soer-Sodmann haben einen versierten Blick für potenzielle Interessenten und gehen aktiv auf sie zu – in den zwei Tagen führen sie rund 40 Gespräche. Helga Soer-Sodmann, die zum fünften Mal eine GAIN-Messe besucht, notiert sich zudem die Namen aller Gesprächspartner, um ihnen nachher gegebenenfalls weiteres Infomaterial per Mail zuzuschicken.

Was ist die beste Rückkehr-Strategie?

Am Nachmittag bietet sich den Nachwuchswissenschaftlern die Gelegenheit, "fachbezogene Arbeitsgruppe" zu besuchen. Physikerin Cornelia Denz steht mit vier weiteren Wissenschaftlern im Raum "Foothill G" denjenigen Rede und Antwort, die sich über Chancen und Risiken speziell in den Naturwissenschaften informieren wollen. An fünf Tischen versammeln sich jeweils 15 bis 20 Diskutanten. Die Fragen ähneln sich. Auf welche Stelle passe ich am besten? Stimmt mein Bild von der deutschen Universitäts-Landschaft noch? Wer bietet einen Dual-Career-Service? Wie stehen die Chancen auf einen alternativen Karriereweg, beispielsweise in der Industrie? Was ist die beste Rückkehr-Strategie? Mal sind es die jungen Nachwuchs-Kolleginnen und -Kollegen, die zu den Fragen ihre Erfahrungen preisgeben – in erster Linie erhoffen sie sich aber von Cornelia Denz und den anderen Hochschullehrern möglichst wegweisende Tipps. "Behalten Sie immer Alternativen zur Professur im Auge – gleich ob in der Industrie oder auch im Wissenschafts-Management", empfiehlt Cornelia Denz. "Erkundigen Sie sich nach allen möglichen Förderinstrumenten", fügt sie hinzu und nennt das Emmy-Noether-Programm, das Marie-Curie-Stipendium und den ERC-Starting-Grant als Beispiele. "Ich lerne viel", berichtet eine junge Frau von ihren ersten Monaten in den USA. "Aber ich sammele überhaupt keine Führungserfahrungen – ich darf noch nicht mal im Labor etwas bestellen." Auch dafür hat Cornelia Denz eine mEmpfehlung. "Denken Sie daran: Da Sie auf Grundlage eines Stipendiums in die USA gekommen sind, kosten Sie die hiesigen Hochschule praktisch wenig bis nichts. Stellen Sie daher auch ruhig die eine oder andere Forderung!"

Perspektiven für Nachwuchs

An Lob, Willkommenserklärungen und Perspektivversprechen dürfte es den Nachwuchswissenschaftlern in diesen GAIN-Tagen nicht fehlen. "Wir brauchen ihre Erfahrungen in den zwei Welten und Wissenschaftssystemen, die sie kennengelernt haben", betont die Staatssekretärin im Bundesforschungsministerium Cornelia Quennet-Thielen. "Noch gibt es ein beträchtliches Defizit an unbefristeten Stellen", meint DAAD-Präsidentin Prof. Margret Wintermantel. "Aber seien Sie versichert, dass sich im deutschen Wissenschaftssystem einiges bewegt ‒ ich habe die Hoffnung, dass wir adäquate Lösungen finden werden." Außerdem sollte "man nicht so tun, als wäre der Weg in die Wirtschaft etwas Zweitklassiges, nur ein Plan B". Zwei Drittel der GAIN-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer wollen nach Einschätzung von DFG-Generalsekretärin Dr. Dorothee Dzwonnek zurück nach Deutschland. "Und auch ich will Ihnen Mut machen", ruft sie den Zuhörern zu und fügt als Aufmunterung einen Hinweis auf die "zahlreichen Tenure-track-Modelle" an deutschen Universitäten hinzu. Der Bund wolle zudem ab 2017 mit einer "Offensive wissenschaftlicher Nachwuchs" rund eine Milliarde Euro zur Verfügung stellen …

Rückschlüsse für die Politik

Die Tische sind längst abgeräumt. Cornelia Denz und Helga Soer-Sodmann sind sehr zufrieden: Sie haben reichlich Gespräche geführt, für die meisten Interessenten ist nach Beobachtung von Helga Soer-Sodmann die Universität Münster "ein bekanntes und anerkannt lohnenswertes Ziel". Die letzten Worte an mdas Plenum sind vier Bundestagsabgeordneten vergönnt, die ihre "Rückschlüsse für die Politik" vorstellen sollen. Die Gesprächsrunde dauert rund eine Stunde. Wer genau hinhört, ist allerdings in der Lage, alle Beiträge in einem einzigen Satz zusammenzufassen: Im deutschen Wissenschaftssystem hat sich in den vergangenen Jahren vieles zum Positiven gewendet, aber noch liegt einiges an Arbeit vor allen Akteuren. Applaus. "Mal schauen", meint eine junge Neurologin, "ob wir bei der GAIN 2016 in Washington erfahren, dass die Politik wirklich Fortschritte geebnet hat."

Autor: Norbert Robers

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