Stein für Stein vermessen
Aus der Ferne wirkt der Mond ruhig und unveränderlich; eine graue, staubige Kugel, die seit Milliarden Jahren unverändert am Himmel steht. Doch dieser Eindruck täuscht. Seine Oberfläche ist in ständiger Bewegung und wird durch unzählige Einschläge und das allmähliche Verblassen ihrer Spuren geformt. Wie dynamisch der Mond tatsächlich ist, zeigt eine neue Studie von Forschern des Instituts für Planetologie der Universität Münster. Erstmals haben sie eine Karte erstellt, auf der nahezu 94 Millionen Felsblöcke sichtbar sind.
„Bislang fehlte hierzu eine konsistente, globale Datengrundlage, um die Mondoberfläche quantitativ zu erforschen“, erklärt Ben Aussel, Doktorand in der Arbeitsgruppe Experimentelle Planetologie von Prof. Dr. Bastian Gundlach. „Wir wollten herausfinden, wie sich die Felsen auf dem Mond verteilen und welche Hinweise sie uns über die Beschaffenheit und die Geschichte seiner Oberfläche geben.“ Dafür entwickelte Ben Aussel einen speziellen Deep-Learning-Algorithmus, also ein Verfahren des maschinellen Lernens, der Felsblöcke auf Satellitenbildern automatisch erkennt. Grundlage hierfür waren hochaufgelöste Aufnahmen der „Narrow Angle Camera“ an Bord des NASA-Satelliten „Lunar Reconnaissance Orbiter“.
Die Berechnungen liefen eine Woche lang ununterbrochen auf „PALMA II“, dem Hochleistungsrechner der Universität Münster. „Der Rechenaufwand war enorm“, sagt Ben Aussel. „Aber nur so konnten wir eine Karte erstellen, die fast den gesamten Mond abdeckt und zugleich viele Details sichtbar macht.“ Einzig die Mondpole sind nicht vollständig kartiert. Dies soll jedoch in den kommenden Monaten folgen.
Die Ergebnisse bieten eine bislang einzigartige Darstellung von Größe, Lage und Häufigkeit aller Gesteine mit einem Durchmesser von mehr als viereinhalb Metern. Von den rund 94 Millionen Felsblöcken, die auf dem Mond zwischen 60 Grad Nord und 60 Grad Süd erfasst wurden, befinden sich etwa zwei Drittel in den Hochländern und ein Drittel in den dunkleren Mare-Gebieten. Die durchschnittliche Größe der Felsblöcke liegt bei rund 6,5 Metern; einzelne Brocken erreichen jedoch deutlich größere Ausmaße. Dabei zeigte sich, dass die Anzahl und Größe der Felsen je nach Region und Alter der Oberfläche stark variieren. „Rund um junge Krater finden sich viele Felsbrocken, während ältere Regionen eher feinkörnig und geglättet wirken“, erläutert Bastian Gundlach. „Das hilft uns, die geologische Geschichte des Mondes besser zu verstehen, also wie Einschläge und Weltraumverwitterung seine Oberfläche über Jahrmillionen verändert haben.“
Die Karte hat nicht nur wissenschaftlichen Wert, sondern ist auch praktisch nutzbar. Sie liefert wertvolle Hinweise auf gefährliche oder besonders geeignete Gebiete für künftige Mondmissionen, zum Beispiel Landungen oder Rover-Einsätze. „Wenn man weiß, wo große Felsen liegen, kann man sicherer planen“, betont Ben Aussel. Inzwischen haben Vertreterinnen und Vertreter der NASA und der Europäischen Weltraumorganisation (ESA), die das Promotionsprojekt anteilig fördert, die Relevanz der Forschungsergebnisse auf Fachkonferenzen betont, auf denen der Nachwuchswissenschaftler seine Erkenntnisse präsentierte. Das Verfahren sei nicht nur auf den Mond beschränkt, betont Bastian Gundlach. Man könne es auch auf Asteroiden oder andere Planeten übertragen – überall dort, wo es hochaufgelöste Oberflächenbilder gebe.
Ben Aussel freut sich, dass seine Arbeit, die unter der Leitung von Dr. Ottaviano Rüsch begann, international auf großes Interesse stößt. „Es ist wirklich erstaunlich, was mit KI möglich ist und welche Forschungsfragen wir in naher Zukunft beantworten können“, betont er. Seine Arbeit zeigt bereits jetzt, dass der vermeintlich stille Begleiter der Erde viel lebendiger ist, als er aussieht. Sie verdeutlicht auch, wie aus Münster heraus Forschung betrieben wird, die buchstäblich bis zum Mond reicht.
Die Studienergebnisse sind in der Fachzeitschrift „Journal of Geophysical Research: Planets“ erschienen.
Autorin: Kathrin Kottke
Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 7, 5. November 2025.