|
Münster (upm/nor).
Blick auf den Campus der Harvard University. Das Bild zeigt eine weitläufige Rasenfläche und ein repräsentatives Gebäude im Hintergrund.<address>© Marcio – stock.adobe.com</address>
Die bekannte Harvard University wird von US-Präsident Donald Trump und dessen Regierung massiv unter Druck gesetzt.
© Marcio – stock.adobe.com

„Es herrscht maximale Verunsicherung“

Rektor Johannes Wessels über seine Gespräche mit Spitzenvertretern von US-Hochschulen

Der Rektor der Universität Münster, Prof. Dr. Johannes Wessels, hatte auf seiner jüngsten Reise in die USA die Gelegenheit, mit Spitzenvertretern von US-amerikanischen Universitäten zu sprechen. Wie wirken sich die von Präsident Donald Trump und der republikanischen Partei angekündigten Kürzungen konkret aus? Wird es eine Art Massenflucht von Wissenschaftlern aus den USA geben? Norbert Robers sprach mit Johannes Wessels über die aktuelle Lage und mögliche Auswirkungen auch auf die Universität Münster.

Es gibt Dutzende Berichte in den deutschen Medien über die tatsächlichen oder vermeintlichen Effekte der Wissenschaftspolitik der aktuellen US-Regierung. In manchen Texten ist von „Angst“ an den Hochschulen die Rede. Welchen Eindruck haben Sie in Ihren Gesprächen gewonnen?

Wenn ich es in aller Kürze zusammenfassen müsste, dann würde meine Analyse lauten: Es herrscht maximale Verunsicherung. Das gilt nicht nur, aber vor allem in den ,blue states‘, also den Bundesstaaten, in denen die Democrats regieren. Man weiß dort einfach nicht, wie es weitergeht …

… wobei Donald Trump genau das umsetzt, was er im Wahlkampf bereits angekündigt hat, oder?

Das stimmt. Der Präsident setzt 1:1 um, was er in seinem ,Project 2025‘ seinen Wählerinnen und Wählern angekündigt hat – sowohl mit Blick auf den Inhalt als auch auf die Geschwindigkeit seiner Maßnahmen. Mit anderen Worten: Zumindest auf dem Feld der Wissenschaft und Forschung ist die Politik des Präsidenten keineswegs so erratisch, also zufällig und tagesaktuell schwankend, wie es oft hierzulande dargestellt wird.

Haben Sie den Eindruck gewonnen, dass ein relevanter Teil der Bevölkerung die Proteste der Universitäten wie Harvard von der Bevölkerung mitträgt?

Nein, das ist nicht der Fall – und zwar aus historischen Gründen. Von einzelnen Ausnahmen wie den ,State Universities‘ und vom Bund finanzierten Fördereinrichtungen abgesehen, ist das US-Universitätssystem nicht staatlich organisiert. Die Finanzierung der meisten Universitäten basiert auf privaten Engagements, auf Studiengebühren sowie Kapital- und Investmenterträgen. Das hat auch zur Folge, dass die Hochschulen bei weitem nicht so intensiv wie bei uns in gesellschaftliche und politische Entscheidungsprozesse eingebunden sind.

Politik und Wissenschaft sind also weitgehend voneinander getrennt?

Natürlich gibt es auch von dieser Regel Ausnahmen, etwa in New York und Washington. Auch hatten viele US-Präsidenten einen Wissenschafts-Berater. Fakt ist allerdings, dass es aufgrund dieser vergleichsweise dünnen Beziehungen zwischen Wissenschaft auf der einen sowie der Gesellschaft und Politik auf der anderen Seite nur sehr wenig Empörung außerhalb der Wissenschaft darüber gibt, was derzeit im Wissenschaftssystem passiert. Die ,normalen' Bürgerinnen und Bürger regen sich nicht darüber auf, dass einzelnen Unis Geld gestrichen wird oder gestrichen werden soll; auch weil viele der Meinung sind, dass dort auch zu Dingen geforscht wird, die niemand braucht.

Ist das nicht ein rein inneramerikanisches Problem, oder hat diese Entwicklung und Debatte auch Auswirkungen auf uns?

Das betrifft uns sehr wohl. Die US-Regierung streicht Programme, die auch für uns wichtig sind. Ein Beispiel von vielen: Beim von der US-Regierung finanzierten ,National Institute of Health‘ (NIH) handelt es sich um die weltgrößte Fördereinrichtung für die biomedizinische und gesundheitswissenschaftliche Forschung. Dessen Etat liegt bei etwa 48 Milliarden Dollar, was in etwa dem Gesamtetat des Landes Berlin entspricht. Wenn es bei der NIH zu Streichungen kommt, hat das globale Auswirkungen. Anders gesagt: Die Regierung der USA sägt an einem Wissenschafts-Pfeiler, der eine weltweite Bedeutung hat. Zudem halte ich all das auch für gefährlich, weil dies möglicherweise auch bei uns zu einer gesellschaftlichen Haltung werden könnte – dass Meinungen mehr als Fakten zählen und dass die Politik Wissenschaftsinhalte festlegen möchte.

Aber für die Universität Münster befürchten Sie keinen Schaden?

Auch das bleibt abzuwarten. Die US-Regierung hat auch ihre Zuschüsse für die ,Fly Base‘ eingestellt; dabei handelt es sich um die weltweit größte Genombibliothek für Fruchtfliegen. Und bekanntermaßen arbeitet unser Fachbereich Biologie ebenfalls intensiv mit Fruchtfliegen, beispielsweise bei der Erforschung von Entzündungsprozessen im Gehirn. Viele Beobachterinnen und Beobachter haben die Sorge, dass große Datensätze nicht mehr zugänglich sind oder sogar verloren gehen – ob bewusst oder unbewusst. Das gilt übrigens auch für die nationale Klimadatenbank der USA, die gefährdet ist. Es ist unser aller Interesse, derlei Datenbestände zu sichern.

Manche Beobachter meinen bereits festzustellen, dass deswegen eine große Anzahl von Wissenschaftlern aus den USA nach Europa ,flüchten‘ wird …

Das Porträtfoto zeigt Johannes Wessels.<address>© Uni MS - Christoph Steinweg</address>
Rektor Prof. Dr. Johannes Wessels
© Uni MS - Christoph Steinweg
Das halte ich für übertrieben. Es stimmt natürlich, dass zahlreiche Arbeitsgruppen schlicht aufgelöst wurden und deren Mitglieder auf der Straße stehen. Und davon werden sicher einige nach Europa kommen. Aber das ist kein flächendeckendes Phänomen. Mal davon abgesehen, dass eine solche Entscheidung auch eine Art ,Lebensentscheidung‘ ist. Zudem hängt die Antwort auf die Frage, ob man einen Abgang nach Europa plant, auch davon ab, ob jemand einen US-amerikanischen Pass hat oder nicht. Wer einen US-Pass hat, geht vielleicht davon aus, dass dieser Sturm irgendwann wieder abzieht.

Also durchhalten und auf die nächsten Wahlen hoffen?

Solche zweckoptimistischen Stimmen gibt es durchaus. Schließlich gab es in der Geschichte des Landes bereits Eingriffe ins Wissenschaftssystem, etwa in der sogenannten McCarthy-Ära Anfang der 50er-Jahre. Unsere Wissenschaft, sagen sie, hat sich über die Jahrzehnte hinweg als insgesamt resilient erweisen. Aber es gibt auch andere Stimmen, die fragen: Wer sagt uns denn, dass es unter dem nächsten US-Präsidenten nicht noch schlimmer wird?

Und wie sollten sich die deutschen Universitäten Ihrer Meinung nach derzeit verhalten?

Wir müssen ein fundamentales Interesse daran haben, die traditionell sehr guten deutsch-amerikanischen Wissenschaftsbeziehungen zu stabilisieren. Das bedeutet konkret, dass wir nicht einfach die besten Leute aus den USA abwerben. Viel besser wäre es beispielsweise, US-amerikanische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die an einer Kooperation interessiert sind, mit einzelnen Fakultäten so zu vernetzen, dass sie die Tätigkeiten, die sie in den USA nicht mehr ausüben können oder dürfen, bei uns erledigen. Das könnte man beispielsweise über eine Art ,Satelliten-Forschungsgruppe‘ in Deutschland realisieren. Unser Vorteil bestünde darin, dass wir uns internationaler aufstellen und solche Gäste in die Lehre einbinden könnten.

Angeblich gibt es sogar Kürzungen wegen einzelner Begriffe, die der US-Regierung nicht gefallen, beispielsweise Rassismus, Klimakrise und Gleichheit …

Das stimmt. Und es führt mitunter zu kuriosen Entscheidungen, über die man lachen könnte, wenn es nicht einen solch ernsten Hintergrund hätte. So wurden offenbar Programme in der Mathematik gestrichen, weil man sich dort mit ,Ungleichheiten‘ beschäftigt ...