|
Münster (upm/anb).
Auf dem Bild sind Hunderte Menschen zu sehen, die auf einem Weg einen Trauerzug bilden. Links und rechts sind Bäume und Grünflächen zu sehen.© Uni MS - Michael Möller
Fotos

Ein lehrreiches Leben

Im Frühsommer jeden Jahres richtet die Medizinische Fakultät eine Gedenkfeier für Körperspender aus

Der Regen hätte nicht rücksichtsvoller sein können. Fast auf die Minute genau fiel er erst auf den Waldfriedhof Lauheide, als die Feier zu Ende war und die Trauergäste das Gräberfeld verlassen hatten. Auch die Sonne war zurückhaltend gewesen, ließ den Wolken den Vortritt an diesem Donnerstagvormittag, der Trauer und Dankbarkeit, Vergangenes und Zukünftiges zusammenbrachte.

Auf Einladung der Medizinischen Fakultät waren zwischen 300 und 400 Menschen gekommen: Angehörige, Medizinstudierende, Beschäftige sowie Dekanats- und Rektoratsvertreter. Sie alle hatten sich zunächst in der Friedhofskapelle versammelt, um Abschied zu nehmen von 50 Verstorbenen, sie beizusetzen und ihrer zu gedenken. Letztere hatten zu Lebzeiten entschieden, dass ihre Körper nach dem Tod der medizinischen Lehre und Forschung übergeben werden sollten.

Als Frank Neumann und Jürgen Wiltink, Seelsorger des Universitätsklinikums, die Anwesenden begrüßten, begann für die Angehörigen der letzte Akt eines langen, gemeinsamen Weges mit der Universitätsmedizin. Vor Monaten, mitunter vor zwei bis drei Jahren, waren einige der Körperspenderinnen und -spender bereits verstorben. Nach ihrem Tod kamen sie in die Obhut der Anatomie, um dem Ideal der Aufklärung und des medizinischen Fortschritts zu dienen, indem Forscherinnen und Forscher sowie Studierende sie im Präparationssaal am Vesaliusweg monatelang sezierten und untersuchten. Für die Angehörigen bedeutete dies, dass sie länger als die allermeisten Hinterbliebenen auf die Beerdigung warten mussten.

Es war eine würdevolle letzte Etappe dieses langen Weges: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Instituts für Anatomie und Molekulare Neurobiologie hatten die Feier mit den Klinikseelsorgern und den Studierenden als Akt des Dankes und der Wertschätzung organisiert. Eigens dazu bildeten sich ein rund 20-köpfiger Chor und ein Instrumentalensemble, drei Studentinnen hielten bewegende Reden. Eine von ihnen war Jula Schweckendiek. In ihrem Text „Ich bleibe“ imaginierte sie das Leben der Verstorbenen und setzte es ins Verhältnis zu den Studierenden. „Welch ein Wunder, dass mein Ende ein Anfang sein durfte. Euer Anfang. Ein erster Schritt in ein tieferes Verstehen. Ein Forschen, das nicht nur Wissen schafft – sondern eine Verantwortung“, lautete eine Strophe. Markant an „Ich bleibe“ war nicht nur der Text, sondern auch seine Aufführung. Jula Schweckendiek imitierte zwischen den Strophen den Herzschlag eines Menschen. Dazu legte sie ihre Hand auf die Brust und schlug viermal dagegen – zweimal zwei Schläge im bekannten Rhythmus – und symbolisierte so eine der Schlüsselzeilen: „Doch bevor ich ging, fasste ich einen Entschluss: Ich bleib’.“

Ein Maß an Abstraktion blieb zunächst während der Gedenkfeier, immerhin wurde sie für 50 Verstorbene ausgerichtet, die den meisten Anwesenden unbekannt waren. Doch dass es keine Feier nur für die Medizinstudierenden war und es um Menschen ging, wurde besonders in den stillen Minuten deutlich, in denen zwei Studentinnen die Namen aller 50 Verstorbenen vorlasen. Die Namen wurden erhört, Trauer und Tränen erfüllten den Raum. Die Angehörigen, aber auch die Studierenden erinnerten und verabschiedeten sich mit spürbarer Ergriffenheit.

Fast eine Stunde lang dauerte dieser erste Teil in der Friedhofskapelle, bestehend aus Musik, Gesang, Gebeten und andächtigen Worten. In einer Gedenkfeier, die bewusst offen gestaltet war, sodass sich Religiöses wie Dietrich Bonhoeffers „Von guten Mächten“ mit Weltlichem wie „Somewhere Only We Know“ der britischen Band Keane im Chorgesang vereinten. Gegen 12.30 Uhr machte sich der Trauerzug auf den Weg zum Gräberfeld, auf dem die Urnen der Verstorbenen bereits in die Erde eingelassen waren. Rund 500 Meter lief dieser Zug, betrat den kräftigen grünen Wald und bildete schließlich einen Ring um die Grabstätte, auf dem Kränze sowie in der Erde steckende Namenstafeln der Beigesetzten zu sehen waren. Letzte Worte der Klinikseelsorger und die Einladung zum Vaterunser schlossen die Gedenkfeier ab. Die Studierenden zogen sich zurück, damit sich die Angehörigen in Ruhe von den Verstorbenen verabschieden konnten.

Jula Schweckendiek betonte nach der Feier, wie nahe ihr diese gegangen sei. „Es hat mich sehr berührt, mit unseren Reden und musikalischen Beiträgen dazu beigetragen zu haben, die tiefe Trauer in den Angehörigen zum Vorschein zu bringen.“ Sie unterstrich, dass ihr die Verstorbenen mit ihrer Körperspende geholfen hätten, den menschlichen Körper besser zu verstehen und der damit einhergehenden „Verantwortung als Ärztin irgendwann gerecht zu werden“. Eine Angehörige brachte ihren Respekt im Nachgang in einem Brief an das Dekanat zum Ausdruck. „Die Ernsthaftigkeit, die Achtung, die Dankbarkeit und auch das Einfühlungsvermögen, mit denen die Studierenden den Körperspendern und uns Angehörigen begegnet sind und die sie in der wunderbaren Gestaltung der Feier ausgedrückt haben, hat uns sehr wohlgetan“, schrieb die Rheinländerin. „Das hat uns mit der zunächst befremdlichen Entscheidung unseres Bruders, Ehemannes, Vaters, Schwiegervaters, Opas, Onkels versöhnt.“ Die Verfasserin habe sich nach der Feier näher mit dem Thema beschäftigt und sich dazu entschlossen, ihren Körper – wie ihr Bruder in Münster – nach dem Tod an die Universität Köln zu spenden. „Die Unterlagen liegen bereit.“

Autor: André Bednarz

Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 5, 16. Juli 2025.

Links zu dieser Meldung