
Ein Schreibtisch mit Geschichte
Wer im dritten Geschoss des Philosophikums an die Tür von Dr. Nicolas Koj klopft, kann in seinem Büro ein Möbelstück mit einer besonderen Geschichte entdecken: einen Schreibtisch aus gebeizter, vielleicht auch nachgedunkelter, schwerer Eiche. Er ist größer und wuchtiger als die heute üblichen Tische in den Büros der Universität. Die Verarbeitung ist hochwertig, alles ist aus Vollholz, und die Kanten der Arbeitsplatte sind abgerundet. Rechts und links bieten größere Seitenfächer Stauraum, Ausziehbretter bringen zusätzliche Ablagefläche. Dr. Nadine Mooren, die hier arbeitete, bevor sie 2024 nach Göttingen wechselte, hat den Tisch vor dem Sperrmüll gerettet und einige weitere Nutzer des Möbelstücks recherchiert. Um den Tisch für die wissenschaftlichen Gäste der Kollegforschungsgruppe „Normenbegründung“ in der Geiststraße zu nutzen, wurde er 2010 behutsam durch die Schreiner der Universität modernisiert, die unter anderem eine versteckte Kabelführung ergänzten. Nun steht das schätzungsweise um die 80 Jahre alte Möbelstück wieder im Philosophikum. Es hat schon einige Umzüge überstanden und war bei vielen Geistesblitzen, gründlichem Nachdenken und der Entstehung wichtiger Schriften dabei.
Als Hans Blumenberg, einer der einflussreichsten Philosophen der Nachkriegszeit, dem Ruf als Nachfolger von Joachim Ritter folgte und im Alter von fünfzig Jahren nach Münster kam, übernahm er auch dessen Schreibtisch. Von 1970 bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1985 forschte und lehrte er in Münster. Das Feuilleton feierte den Professor, der weit über die Stadtgrenzen und die akademische Philosophie hinaus bekannt war. Hans Blumenbergs legendäre Vorlesungen zogen auch Publikum anderer Fakultäten und das städtische Bildungsbürgertum an. Ein Biograph berichtet von „höheren Beamten, Stadtindianern, Honoratioren und Studenten“, die den Ausführungen lauschten. An den Typoskripten, aus denen der Ordinarius las, und an seinen Hauptwerken, beispielsweise „Die Legitimität der Neuzeit“, „Lebenszeit und Weltzeit“ oder „Die Sorge geht über den Fluss“ arbeitete er entweder zu Hause oder an seinem dienstlichen Schreibtisch am Domplatz. Falls letzteres, dann wahrscheinlich nachts, denn Hans Blumenberg soll die Uni selten vor 14 Uhr betreten haben.
Für Hans Blumenberg hatte der „Dienst am Schreibtisch“ offenbar eine zentrale Bedeutung. Die Schriftstellerin und Bachmann-Preisträgerin Sibylle Lewitscharoff nutzt den Schreibtisch in ihrem Roman „Blumenberg“ als Metapher. Der Biograph Uwe Wolff, ein ehemaliger Student von ihm, ist heute im Besitz des privaten Schreibtischs Blumenbergs und beschreibt dessen Bauweise sehr ähnlich. Ob es ein Nachbau des Möbels in der Fakultät oder einfach ein typischer professoraler Schreibtisch war, ist nicht überliefert.
Gegenstände von Berühmtheiten zu verehren, ist nicht das Anliegen des Philosophischen Seminars. So fristete der dienstliche Blumenberg-Schreibtisch Erzählungen zufolge zwischenzeitlich auch ein wenig beachtetes Dasein auf einem Flur, wovon kleinere, nicht zitierfähige studentische Inschriften zeugen. Heute wird das langlebige Möbelstück wieder genau dafür genutzt, wofür es einst gemacht wurde: an ihm zu arbeiten, zu lesen und zu schreiben.
Autorin: Brigitte Heeke
Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 5, 16. Juli 2025.