
Türenöffner aus Lambaréné
Inmitten des geschäftigen Treibens auf dem Albert-Schweitzer-Campus, zwischen dem Stimmengewirr der Studierenden und dem Rattern der Fahrräder auf dem Kopfsteinpflaster, schlendert Prof. Dr. Selidji Todagbe Agnandji an einem sonnigen Frühlingstag über das Gelände. Der Mediziner vom „Centre de Recherches Médicales de Lambaréné“ in Gabun lässt seinen Blick neugierig über die historischen und modernen Gebäude sowie Institute schweifen. Sein Weg führt ihn an diesem Morgen ins Institut für Medizinische Mikrobiologie – an einen Ort, der für ihn ein besonderes Kapitel markiert: Seit Ende 2024 besetzt er hier die neue Professur für Geographisch-Epidemiologische Medizinische Mikrobiologie. Es ist die erste gemeinsame Professur der Universität Münster mit einer afrikanischen Hochschule, ein wissenschaftliches Brückenprojekt, das zunächst auf fünf Jahre angelegt ist.
Dass zwischen Münster und der rund 26.000 Einwohner zählenden Stadt Lambaréné in Gabun eine spezielle, über Jahrzehnte gewachsene Verbindung besteht, war für den international bekannten Experten für Tropenmedizin und Infektionskrankheiten eine bislang unerwartete Entdeckung. Die Wurzeln dieser Verbindung gehen auf den Friedensnobelpreisträger Albert Schweitzer zurück, der 1913 in Lambaréné ein Tropenkrankenhaus gründete und dort jahrelang selbst arbeitete. Albert Schweitzer, dessen Name heute den medizinischen Campus in Münster prägt, wurde 1958 mit der Ehrendoktorwürde der Universität Münster geehrt. 2025 jährt sich sein Geburtstag zum 150. Mal.
Nach wie vor ist die Erforschung tropischer Infektionskrankheiten wie Malaria ein hochaktuelles Arbeitsfeld der Wissenschaft. Mit mehr als 260 Millionen Fällen und rund 600.000 Todesopfern pro Jahr, die meisten davon Kinder in Afrika südlich der Sahara, ist Malaria noch immer eine der tödlichsten Infektionskrankheiten der Welt. Selidji Todagbe Agnandji spielt in diesem Kampf eine wichtige Rolle: Mit seiner Pionierarbeit bei der Erforschung und Entwicklung neuer Impfstoffe und Therapien, unter anderem gegen Malaria und Ebola, hat er bleibende Spuren hinterlassen. So war er maßgeblich an der Entwicklung von „Mosquirix“ beteiligt, dem ersten zugelassenen Impfstoff gegen Malaria. Mit der neuen Kooperation zwischen Münster und Lambaréné soll die Forschung künftig noch effektiver werden. „Seit fast zwei Jahrzehnten arbeite ich mit Kolleginnen und Kollegen in Münster zusammen. Die Partnerschaft zwischen deutschen Universitäten und afrikanischen Forschungszentren ist entscheidend, um Wissen über Infektionskrankheiten zu bündeln, gemeinsam innovative Lösungen zu entwickeln und letztlich sowohl die medizinische Versorgung als auch das soziale Miteinander zu stärken – lokal wie global“, betont Selidji Todagbe Agnandji.
Auch wenn Selidji Todagbe Agnandji sich selbst nicht so bezeichnen würde, gilt er doch als Brückenbauer und Türenöffner, er verbindet unterschiedliche akademische Welten und Perspektiven. Denn allzu oft, stellt Prof. Dr. Frieder Schaumburg, Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie, fest, werde die afrikanische Expertise von westlichen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern unterschätzt. „Gerade das tiefe Verständnis der lokalen Epidemiologie, der spezifischen Übertragungswege und der soziokulturellen Gegebenheiten, die das Gesundheitssystem in tropischen Regionen prägen, ist von unschätzbarem Wert“, erklärt er. Der erfahrene Mediziner, der zahlreiche Forschungsprojekte in Afrika geleitet hat, weiß, wovon er spricht. Sein wissenschaftliches Interesse gilt vor allem bakteriellen Infektionskrankheiten, insbesondere Zoonosen, also Krankheiten, die vom Tier auf den Menschen übertragen werden können.
Die Partnerschaft zwischen deutschen Universitäten und afrikanischen Forschungszentren ist entscheidend, um Wissen über Infektionskrankheiten zu bündeln, gemeinsam innovative Lösungen zu entwickeln und letztlich sowohl die medizinische Versorgung als auch das soziale Miteinander zu stärken – lokal wie global.
Ein Forschungsansatz, der in Deutschland noch weitgehend unbekannt ist, trägt in anderen Teilen der Welt bereits entscheidend zum medizinischen Fortschritt bei: die kontrollierte Infektion des Menschen. Dabei lassen sich gesunde Freiwillige beispielsweise gezielt mit dem Malariaerreger infizieren, um in streng überwachten klinischen Studien die Wirksamkeit und Sicherheit neuer Impfstoffe, Medikamente oder Diagnoseverfahren auf Herz und Nieren zu prüfen. „Wir verfolgen genau, wie sich der Parasit im Körper von geimpften oder behandelten Probanden im Vergleich zu unbehandelten entwickelt. Dabei analysieren wir die Immunantwort, den Krankheitsverlauf und mögliche Nebenwirkungen“, erklärt Selidji Todagbe Agnandji das Verfahren.
Seine Faszination für die Tropenmedizin und die Erforschung vernachlässigter Krankheiten wurde in jungen Jahren durch Maryvone Kombila, einer engagierten Professorin in Gabun geweckt, die ihm den Einstieg in die Wissenschaft ebnete. Aus dem ersten Schritt ist längst ein gemeinsamer, internationaler Weg geworden. Heute forscht Selidji Todagbe Agnandji im regen Austausch mit Kolleginnen und Kollegen aus aller Welt, vereint durch das Ziel, Krankheiten wie Malaria zu verstehen und zu bekämpfen.
Pandemien wie COVID-19 oder Influenza haben gezeigt, wie schnell sich Krankheitserreger über den Globus verbreiten können und auf allen Kontinenten Verwundbarkeiten hinterlassen. Gut vorbereitete Länder können schneller und gezielter reagieren, Infektionsketten unterbrechen und Menschenleben retten. Gemeinsam wollen Selidji Todagbe Agnandji und Frieder Schaumburg deshalb an einem Frühwarnsystem arbeiten. Auch wenn der Afrikaner bald in seine Heimat zurückkehrt, wird die Zusammenarbeit weitergehen. Spätestens im Wintersemester wird er wieder in Münster forschen und lehren – mit neuen Impulsen und Erkenntnissen aus dem 8.000 Kilometer entfernten Lambaréné.
Autorin: Kathrin Kottke
Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 5, 16. Juli 2025.