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Münster (upm/ap).
Portraitfoto von Dr. Barbara Schüler<address>© Uni MS - Johannes Wulf</address>
Viele Wege führen nach Rom, heißt es – Dr. Barbara Schüler kann ein Lied davon singen. Sie ist regelmäßig im Vatikan.
© Uni MS - Johannes Wulf

Multitalent mit Erfahrung und professioneller Distanz

Barbara Schüler managt das Team vom Seminar für Mittlere und Neuere Kirchengeschichte

Es gibt nicht viele Regeln, wenn Dr. Barbara Schüler ausspannt. Aber diese eine, die ist für sie unumstößlich: „Im Urlaub bitte nur stören, wenn der Papst stirbt.“ Und genau so kam es vor einigen Wochen, als sie es sich in einem Dorf an der portugiesischen Algarve gut gehen ließ und die Nachricht vom Tod von Papst Franziskus um die Welt ging. An Entspannung war ab diesem Moment nicht mehr wirklich zu denken – eine Art „Ausnahmezustand“ setzte ein. Barbara Schüler kennt solche Phasen. Seit rund 20 Jahren ist die gebürtige Stuttgarterin am Lehrstuhl von Prof. Dr. Hubert Wolf für die Wissenschaftskommunikation und das Management des Seminars für Mittlere und Neuere Kirchengeschichte verantwortlich. Und wann und aus welchem Grund auch immer der Vatikan ins Zentrum des medialen Interesses rückt, steht das Telefon im Hansahof an der Aegidiistraße nicht mehr still – das Team mit Hubert Wolf an der Spitze ist weit über Deutschland hinaus für seine Vatikankenntnisse bekannt. „Viele Kolleginnen und Kollegen aus den Redaktionen betonen mir gegenüber, dass sie sich gerne an uns wenden, nicht nur wegen der inhaltlichen Expertise, sondern auch wegen der verständlichen Aufbereitung komplexer Sachverhalte. Ein schöneres Lob gibt es kaum.“

Doch es gibt auch eine weniger trubelige Seite an Barbara Schülers Arbeit. Im Rahmen des Projekts „Asking the Pope for Help“ ist sie regelmäßig im Vatikanischen Archiv, wo das Team Bittschreiben jüdischer Menschen an Papst Pius XII. während der NS-Herrschaft untersucht. Für sie sind die Aufenthalte ein „Eintauchen in eine andere Welt“, die Uhren tickten anders im kleinsten Staat der Welt. Die Inventare seien nicht online erfasst, das erschwere die Vorbereitungen. „Man kann nur direkt vor Ort maximal drei Schachteln mit Dokumenten pro Tag bestellen.“ Der Arbeitsraum sei mit alten, quietschenden Bürostühlen ausgestattet, die nicht höhenverstellbar sind. „Spätestens nach zwei Stunden muss man kurz aufstehen. Nach jedem Archivaufenthalt gehe ich zum Orthopäden.“

Ihr Werdegang hätte die Historikerin auch in die Politik führen können. Nach ihrer Promotion an der Universität Tübingen zu den christlichen Wurzeln der NS-Widerstandsgruppe „Weiße Rose“ 1999 wurde sie Referatsleiterin für Reden und kulturpolitische Fragen in der hessischen Staatskanzlei unter dem CDU-Ministerpräsidenten Roland Koch. Diese Station habe sie geprägt. „Ich habe die Politik von innen kennengelernt und ein Netzwerk aufgebaut. In der Zeit habe ich strategisches Denken und schnelles Schreiben gelernt.“

Nach ein paar Jahren im aufreibenden Politikbetrieb sah sich die Schwäbin am Scheideweg zwischen Politik oder Wissenschaft. Als Hubert Wolf sie nach seiner Auszeichnung mit dem Leibniz-Preis im Jahr 2003 fragte, ob sie nach Münster kommen wolle, fiel die Entscheidung. Seitdem ist Barbara Schüler Wissenschaftskommunikatorin der ersten Stunde. „Anfang der 2000er-Jahre gab es das Arbeitsfeld in der heutigen Form noch nicht. Das erste ‚Forum Wissenschaftskommunikation‘ in Berlin, heute ein etabliertes Netzwerktreffen, war eine kleine Veranstaltung“, erinnert sie sich. Mit ihrem Team koordiniert die 57-Jährige Medienanfragen, stellt Anträge, schreibt Forschungsberichte, organisiert die Archivaufenthalte ... Kurz: Es gibt mehr als genug zu tun. „Das Backoffice muss funktionieren, sonst könnte Hubert Wolf nicht so in der Öffentlichkeit stehen.“

Für die eigene Forschung bleibt dabei nicht viel Zeit, was Barbara Schüler bedauert. Umso mehr genießt sie es, wenn sie zwei Wochen am Stück im Vatikanischen Archiv an den Quellen arbeiten kann – 2013 zu einem denkwürdigen Zeitpunkt: „Wir waren gerade in Rom, als Papst Benedikt seinen Rücktritt erklärte und an seinem letzten Tag im Amt mit dem Hubschrauber Richtung Castel Gandolfo abhob“, erinnert sie sich. „Das war imposant.“

Bei der Frage nach weiteren bleibenden Eindrücken aus dem Vatikan wird sie nachdenklich. Die ersten Archivalien, die sie 2020 sichtete, haben sich tief in ihr Gedächtnis eingebrannt. „Zwischen nichtssagenden Dokumenten lagen Fotos von Leichen in Massengräbern. Das hat mich sehr schockiert. In unserem Team haben wir immer wieder diskutiert, was der Vatikan von den NS-Verbrechen wusste. Wer solche Bilder sieht, kann davon nicht unbetroffen sein“, betont sie. Umso mehr befremdete sie, dass es politischer Unterstützung des Auswärtigen Amtes bedurfte, um dem Vatikan die nationale Tragweite des Projekts „Asking the Pope for Help“ bewusst zu machen. „Es gibt Seilschaften, die versuchen, freie Forschung zu verhindern. Das hat sich in den letzten Jahren sogar verschärft“, berichtet Barbara Schüler.

Wie geht sie mit den belastenden Eindrücken um, die ihre Arbeit mit Dokumenten von Opfern des NS-Regimes mit sich bringt? „Das Quellenlesen im Archiv berührt unmittelbar. Als Historikerin habe ich aber professionelle Distanz gelernt, mit der ich die Dokumente für über das Individuum hinausgehende Forschungsarbeit studieren kann.“ Allerdings dürfe man nicht „abstumpfen“.

In ihrer Freizeit verschafft sie sich mit Fahrradtouren am Kanal und durch die Rieselfelder einen Ausgleich, im Winter stehen Walking-Runden auf dem Programm. Und sie liebt Krimis, natürlich hat sie auch „Konklave“ von Robert Harris gelesen und den aktuellen Film gesehen. „Der Roman erschien gleichzeitig mit dem gleichnamigen Sachbuch von Hubert Wolf, da gab es Gespräche mit den Verlagen, dass beide den gleichen Titel tragen dürfen“, erinnert sich Barbara Schüler – die für den Sommer auf einen entspannteren Urlaub ohne gravierende Neuigkeiten aus dem Vatikan hofft.

Autorin: Anke Poppen

Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 4, 12. Juni 2025.

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