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Münster (upm/ap).
Zwei Container mit chinesischer und US-amerikansicher Flagge werden von einem Kran in die Luft gehoben.<address>© stock.adobe.com - Ketsara</address>
Der Handelkonflikt zwischen den USA und China wurde durch eine Absenkung der Zollsätze entschärft.
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„Die EU braucht mehr Partner und Freihandelsabkommen“

Wie der Zollexperte Hans-Michael Wolffgang die US-Wirtschaftspolitik beurteilt

Die US-amerikanische Zollpolitik macht seit Wochen Schlagzeilen und sorgt mit ihren Kapriolen für Verwunderung und Besorgnis. Der Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Hans-Michael Wolffgang schildert im Interview mit Anke Poppen die Auswirkungen für die US-Bevölkerung und die Wirtschaftspolitik der Europäischen Union. Er ist Direktor des Instituts für Zoll- und Außenwirtschaftsrecht, einem autonomen Institut an der Universität Münster und die einzige akademische Einrichtung mit dieser Spezialisierung in Deutschland.

Die Zollpolitik von US-Präsident Donald Trump wirkt willkürlich, tatsächlich hat er sich aber schon vor Jahrzehnten für höhere Zölle vor allem für den chinesischen Markt ausgesprochen. Steht dahinter also doch eine Agenda?

In der Tat vertritt Donald Trump eine Bewegung von Ökonomen wie Peter Navarro, die sich seit Jahren für höhere Importzölle stark machen, um die heimische Produktion anzukurbeln und unabhängiger zu machen. Sie zählen aber nicht zu den anerkannten Volkswirten. Kurzfristig kann dieses Steuerungsinstrument funktionieren, auf Dauer aber kann man mit Zöllen keine Politik betreiben, die für beide Seiten vorteilhaft ist. In dieser Frage sind sich die seriösen Ökonomen einig.

Worin liegt denn das Problem?

Trumps Prinzip lautet, stets mit Maximalforderungen einzusteigen, von denen er weiß, dass er sie nicht wird durchsetzen können. Im Laufe der Verhandlungen geht er auf das Vertretbare zurück, was der Gegenpartei den Eindruck vermittelt, ein gutes Geschäft gemacht zu haben. Tatsächlich handelt es sich um eine grandiose Täuschung.

Portraitfoto von Prof. Dr. Hans Michael Wolffgang<address>© privat</address>
Prof. Dr. Hans Michael Wolffgang
© privat

Wie schätzen Sie den Handelskonflikt zwischen China und den USA ein, bei dem beide Seiten jüngst ihre Zollsätze wieder deutlich abgesenkt haben?

An diesem Beispiel offenbart sich Trumps Strategie. Im Fall China stieg er mit 145 Prozent Zollgebühren ein. Dies hätte die Einfuhr verhindert und wäre für den Handelspartner wirtschaftlich nicht rentabel gewesen. Nun hat man sich auf 30 Prozent geeinigt – ein Satz, der aufgrund der geringen Produktionskosten in China für die US-Konsumenten noch tragbar ist. Wenn die chinesischen Produkte etwas günstiger sind als vergleichbare US-Güter, greifen die Verbraucher eher zu diesen Produkten. Trotzdem bekommt Trump seine 30 Prozent Zollgebühren – gezahlt von der US-Bevölkerung. Er hat also seinen ,Deal‘ gemacht.

Kann eine solche Zollpolitik ein Motor für die heimische Wirtschaft sein, die letztlich auch der Bevölkerung zugute kommt?

Es gibt historische Beispiele, bei denen sich hohe Zölle als erfolgreiche Strategie erwiesen haben, etwa in Form von Entwicklungszöllen beim Aufbau eines Wirtschaftszweigs. Die Verteuerung ausländischer Produkte soll inländischen Angeboten einen Wettbewerbsvorteil verschaffen. Zu Beginn der Industrialisierung Anfang des 19. Jahrhunderts haben die kurz zuvor gegründeten USA solche Schutzzölle gegen das wirtschaftlich überlegene Großbritannien erhoben. Dadurch erfuhr die amerikanische Industrie einen Aufwind und konnte mit dem Konkurrenten mithalten. In der Folge wurden die Zölle wieder abgesenkt.

Dies ist aber nicht mit der aktuellen Lage in den USA vergleichbar, oder?

Nein, in den heutigen USA haben wir eine andere Situation. Einige Industriezweige haben sich verlagert, die Textil- und Stahlindustrie sind beispielsweise nach China und Indien abgewandert. Natürlich gab es auch in Deutschland derart massive Strukturveränderungen. Sie wurden jedoch durch die soziale Marktwirtschaft sozialverträglich abgefedert, zum Beispiel durch Umschulungen oder Subventionen. In den USA hingegen gibt es kein staatliches Instrument, um die Industriearbeiter aufzufangen. Trump präsentiert sich jetzt als derjenige, der sich um sie kümmert.

Ist der normale Bürger also am Ende der „Dumme“?

Das kann man so sagen. Die entscheidende Frage ist: Wer zahlt die Zollgebühren? Das ist das Land, das sie erhebt. Beim Import werden die Kosten durch höhere Preise an die Konsumentinnen und Konsumenten im eigenen Land weitergegeben. Die Bevölkerung wird getäuscht und wird dies sicherlich bald merken, wenn die Regale in den Geschäften leerer und die verbleibenden Produkte entsprechend teurer werden. Alle werden die Inflation spüren.

Wie kann, wie sollte sich die Europäische Union gegen Trumps Zollpolitik wappnen?

Die EU plant verschiedene Maßnahmen, auch Gegenzölle, doch die EU-Kommission ist aus guten Gründen sehr vorsichtig. Denn diese Gegenzölle zahlt am Ende der europäische Verbraucher, wir würden uns also damit selbst schaden. Deshalb brauchen wir alternative Instrumente. In der Diskussion werden Dienstleistungen viel zu wenig beachtet, es dreht sich alles um Güter, Waren und Produkte. Beziehen wir den Import und Export von Dienstleistungen mit ein, ergibt sich ein viel differenzierteres Bild.

Inwiefern?

Wir exportieren viel mehr Güter aus Europa in die USA als wir umgekehrt importieren. Bezogen auf Dienstleistungen ist das Verhältnis genau anders herum: Die USA exportieren im Bereich Kommunikation und digitale Industrie im großen Stil in die EU. Das Verhältnis ist unter dem Strich ausgeglichen, es gibt also kein Handelsbilanzdefizit, wie Trump der EU vorwirft.

Welche Konsequenzen kann die EU daraus ziehen?

Die US-Wirtschaft macht im Dienstleistungssektor große Umsätze, zahlt aber keine Steuern. An dieser Stelle kann die EU ansetzen. Aktuell wird über die Einführung einer Digitalsteuer nachgedacht, das halte ich für eine berechtigte Maßnahme. Allerdings wäre dies mit dem Risiko verbunden, dass die Lizenzen für digitale Produkte teurer werden. Dies müsste die EU durch eine breitere Diversifizierung abfedern, indem nicht nur US-Produkte importiert werden. Wir müssen eine eigene Digitalindustrie aufbauen, um die Abhängigkeit von außereuropäischen IT-Unternehmen zu reduzieren.

Was kann die EU generell aus der Situation lernen?

Auch anhand der Zollkonflikte zeigt sich: Wir haben keine bipolare Weltordnung zwischen Ost/West oder Nord/Süd mehr, sondern multipolare Schwerpunkte. China, die USA, Japan, Kanada, Indien, Mexiko sind allesamt wirtschaftlich starke Länder. Die EU sollte sich nicht auf einen oder wenige Partner fokussieren, sondern mit möglichst vielen Ländern im wirtschaftlichen Austausch bleiben und Freihandelsabkommen schließen, bei denen untereinander keine Zölle erhoben werden. Die EU hat bereits über 40 Abkommen abgeschlossen; weitere Verhandlungen laufen, etwa mit Indien oder Südamerika. Das geht in die richtige Richtung.

 

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