
Überdurchschnittlich engagiert
Für ihr Sprachenstudium musste Viktoria Rokhinson, die Anglistik und Biologie für das Lehramt an Gymnasien und Gesamtschulen studiert, drei Monate im Ausland verbringen. Anfangs schüchterte diese Herausforderung sie ein. Letztlich blieb sie jedoch zehn Monate auf Vancouver Island in Kanada, der größten nordamerikanischen Pazifikinsel, so gut gefiel es ihr dort. Bei einem Kurs an der Vancouver Island University entdeckte sie ihre Leidenschaft für ein biologisches Forschungsthema, das sie später in ihrer Bachelorarbeit in Münster wieder aufgriff: Algen, präziser gesagt Meeresalgen. Unter diesem Begriff werden zahlreiche größere Algenarten zusammengefasst, in Abgrenzung zu mikroskopisch kleinen, einzelligen Algen. Viktoria Rokhinson erarbeitete in ihrer Bachelorarbeit einen Überblick über Nutzungspotenziale der Unterwasser-Gewächse. Sie schaffte es damit beim bundesweiten Wettbewerb „BioThesis“ unter die drei besten Abschlussarbeiten des vergangenen Jahres.
„Algen sind Nährstoffbomben, man kann leckere, gesunde und nachhaltige Lebensmittel daraus produzieren“, beschreibt die 23-Jährige. Außerdem hätten Algen noch viel mehr zu bieten: Beispielsweise könnten sie Rohstoffe für die Herstellung von Textilien, Kosmetika oder Verpackungen liefern oder der Gewinnung von Bioenergie dienen. In Frankreich und Norwegen würden Algen bereits angebaut. „Auch wir hier in Deutschland sollten das Potenzial nutzen, das unsere Küsten bieten“, meint sie.
Die Begeisterung für „ihre“ Algen ändert jedoch nichts an Viktoria Rokhinsons Wunsch, als Lehrerin zu arbeiten. „Es gibt viele Kinder und Jugendliche, die keinen Spaß mehr am Lernen haben“, sagt sie, und ihr sonst freundlicher Gesichtsausdruck spiegelt ihren Unmut darüber wider. „Wir kommen mit Neugier auf die Welt. Warum geht das in der Schule verloren?“ Im Gespräch wird schnell klar: Die Masterstudentin will ihren Teil dazu beitragen, das zu ändern. „Bildung ist für die meisten Probleme unserer Welt der elementare Schritt zur Lösung, vom Klimawandel über Extremismus bis zum Fachkräftemangel.“
Mein Demokratieverständnis geht darüber hinaus, alle paar Jahre wählen zu gehen.“
Auch jenseits ihres Studiums und ihres künftigen Arbeitsplatzes im Klassenzimmer nimmt Viktoria Rokhinson sich selbst in die Pflicht. „Wie kann es sein, dass in einem so reichen Land wie Deutschland Jugendliche die Schule verlassen, ohne richtig lesen und rechnen zu können?“, fragt sie. „In Deutschland funktioniert vieles gut, ich bin dankbar, hier aufgewachsen zu sein. Einiges läuft aber nicht, obwohl wir die Mittel dazu hätten. Meine Möglichkeiten sind begrenzt, aber ich werde mein Bestes geben, um die Bildungspolitik zu verbessern – und damit auch unser aller Zukunft.“ Seit einem halben Jahr ist sie unter anderem deswegen Teil der Teamleitung der Europa-Partei Volt in Münster. „Ich bin motiviert und versuche meinen Werten treu zu bleiben. Ich kann nicht wegschauen“, betont sie. „Mein Demokratieverständnis geht darüber hinaus, alle paar Jahre wählen zu gehen.“
Rückblick: Viktoria Rokhinsons Kindheit war geprägt von Umzügen; während ihrer Schulzeit zog die Familie von Wuppertal über Münster nach Nordkirchen. Ihre Eltern, beide mit Diplomabschluss, waren nach dem Zerfall der Sowjetunion von St. Petersburg nach Deutschland gekommen und erarbeiteten sich mühselig einen Platz in der deutschen Gesellschaft. Viktoria ist die zweitälteste von vier Schwestern. Neben ihrer Begeisterung für Sprachen und Biologie verfolgte sie als Kind lange ihre Leidenschaft für den Leistungssport Rollkunstlauf sowie das Theaterspielen. Um sich Taschengeld zu verdienen, trug sie nach der Schule Zeitungen aus, gab Nachhilfe und bediente in einem Café. Mehrere Haustiere förderten ihre Liebe zu Tieren und der Natur. Noch heute ist der Wald bei einem Spaziergang mit einem der Familienhunde ein Rückzugsort für sie.
Von der Teilnahme an Theaterprojekten bis zum Musizieren, von der Mitgliedschaft bei der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft und der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft bis zur Biotoppflege, von Yoga über Akrobatik bis Wassersport: Viktoria Rokhinson ist vielseitig aktiv und überdurchschnittlich engagiert. „Sprachen machen mir viel Spaß“, sagt die Studentin. „Mir geht es dabei auch um die mit den jeweiligen Ländern verbundene Kultur und die unterschiedlichen Perspektiven auf das Leben.“ Deutsch und Russisch spricht sie als Muttersprachen, Englisch beherrscht sie fließend. Dazu kommen Schulkenntnisse in Spanisch und Französisch. Grundlagen des Chinesischen hat sie sich als Stipendiatin in einem Programm der Hans-Böckler-Stiftung neben ihrem Studium angeeignet. „Ich ärgere mich, dass wir uns in Deutschland so wenig mit China und der dortigen Kultur beschäftigen, obwohl China so ein wichtiger Handelspartner für uns ist“, unterstreicht sie. „Das müsste in den Schulen ein Thema sein.“
Zurück zur Bachelorarbeit. Dass Viktoria Rokhinson als Lehramtsstudentin eine fachliche (und keine fachdidaktische) Arbeit geschrieben hat, sei eine nachahmenswerte Seltenheit, unterstreicht ihr Betreuer Prof. Dr. Dirk Prüfer vom Institut für Biologie und Biotechnologie der Pflanzen. Momentan ist Viktoria Rokhinson in ihrem Praxissemester. Wohin ihr Weg sie noch führt? „Mal sehen. In die Schule – vielleicht auch in die Politik.“
Autorin: Christina Hoppenbrock
Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 3, 7. Mai 2025.