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Münster (upm/lp).
Das Bild zeigt einen Kopf in der Mitte. Drumherum befinden sich bunte Grafiken. Zum Beispiel mit einem durchgestrichenen Auge oder einer Brille oder einem Lautsprecher vor einem Text. Die Grafiken stellen unterschiedliche Barrieren dar.<address>© stock.adobe.com - bakhtiarzein</address>
Barrierefreie Umfragen ermöglichen es auch Menschen mit Beeinträchtigungen, an Studien teilzunehmen.
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Online-Umfragen nur selten barrierefrei

Studie von Kommunikationswissenschaftler Volker Gehrau: EU-Vorgaben zu barrierefreien Online-Angeboten werden selten umgesetzt

Die 2016 von der Europäische Union beschlossene Richtlinie (EU) 2016/2102 ist eindeutig: Alle öffentlichen Stellen sind dazu verpflichtet, ihre Online-Webseiten und mobilen Apps barrierefrei zu gestalten. Das bedeutet beispielsweise, dass Screenreader auf die Angebote zugreifen können, dass die Sprache verständlich ist und dass die Schriften in angemessener Größe und mit Kontrast angeboten werden. Ein Team um den Kommunikationswissenschaftler Prof. Dr. Volker Gehrau von der Universität Münster fand in einer aktuellen Studie heraus, dass viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler diese auch für Online-Umfragen relevanten Vorgaben kaum kennen und nur sehr eingeschränkt umsetzen. So berichten zwar rund 90 Prozent der Befragten, dass sie sich häufig um eine verständliche Sprache bemühen. Auf technische Aspekte wie ein ausreichender Kontrast, angemessene Schriftgröße sowie ein Screenreader achtet hingegen nur rund jeder Fünfte. „Menschen mit Beeinträchtigung haben somit nur sehr eingeschränkt die Möglichkeit, an Umfragen teilzunehmen“, berichtet Volker Gehrau. „Mit anderen Worten: Wir schließen bestimmte Menschen von Umfragen aus.“ Der Forscher weist darauf hin, dass rund 20 Prozent der deutschen Bevölkerung davon betroffen sein könnten, weil sie etwa unter Analphabetismus oder einer Hör- oder Sehschwäche leiden. In der Befragung mit 352 Forschenden gaben 65 Prozent an, dass sie barrierefreie Umfragen zwar für wichtig halten. Gleichwohl kennen nicht einmal 10 Prozent der Befragten die EU-Anforderungen zur Barrierefreiheit.

Um zu ermitteln, welche Instrumente in Online-Umfragen sinnvoll eingesetzt werden können, ließ sich die Münsteraner Forschungsgruppe von Menschen mit kognitiven und motorischen Beeinträchtigungen beraten. Dabei erwiesen sich zahlreiche Maßnahmen als hilfreich: Die Schriftgröße sollte mindestens 14 Punkt betragen. Antwortmöglichkeiten sollten durch farbige Smileys ergänzt werden, um etwa Zustimmung oder Ablehnung auszudrücken. Und eine Vorlesefunktion sollte gut sichtbar platziert werden. Auch eine barrierefreie Schrift wie Atkinson Hyperlegible fördere die Lesbarkeit, weil etwa die Zahl 0 und die Buchstaben O und Q optisch deutlich voneinander zu unterscheiden sind. Diese und viele weitere Maßnahmen bündelte das Team von Volker Gehrau in einer Liste von Empfehlungen für die Konzeption barrierearmer Online-Umfragen. Die Liste gewährleistet, dass eine Online-Umfrage den EU-Richtlinien weitgehend entspricht. Der Mehraufwand ist gering, denn alle Empfehlungen lassen sich auf den gängigen Umfrageplattformen problemlos umsetzen.

Doch nicht nur Menschen mit Beeinträchtigungen profitieren von diesen Maßnahmen. In einer Umfrage in unterschiedlichen Varianten und anschließenden Diskussion mit 500 Schülerinnen und Schülern mit unterschiedlichen Bildungsniveaus an Berufskollegs in Münster und Warendorf untersuchte Volker Gehrau mit seinem Team, wie eine barrierefreie Gestaltung die Verständlichkeit der Umfrage sowie Motivation und Teilnahmebereitschaft der Befragten steigern. Das Ergebnis: Insbesondere einfache Sprache, die Vorlesefunktion und der Dunkelmodus verbesserten das Umfrageerlebnis. Der Dunkelmodus oder Darkmode kehrt hell und dunkel um, was für viele zum Lesen angenehmer ist.

Indem Umfragen sorgfältiger auf Barrierefreiheit ausgerichtet werden, profitiere laut Volker Gehrau auch die Wissenschaft unter anderem von präziseren Daten über Menschen mit Beeinträchtigungen. „Politische Entscheidungen beruhen oft auf wissenschaftlichen Erkenntnissen. Doch wie sollen damit sinnvolle Entscheidungen für Menschen mit Beeinträchtigungen getroffen werden, wenn sie größtenteils nicht an Studien teilnehmen können?“ Darüber hinaus führe ein verständlicherer Fragebogen auch bei Personen ohne Beeinträchtigung zu präziseren Antworten. Zudem nehme die allgemeine Abneigung gegenüber Umfragen ab. „Jede Umfrage ist eine Belastung“, betont Volker Gehrau. „Diese Belastung möchte ich möglichst niedrig halten.“ „Im Endeffekt hilft Barrierefreiheit also uns allen“, konstatiert der Forscher.

Autor: Linus Peikenkamp

Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 3, 7. Mai 2025.

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