
Gestalten statt zusehen
Junge Menschen, die ein Studium beginnen, kommen zumeist aus Schulen, an denen es mit Lehr- und Stundenplänen feste Vorgaben und Strukturen gab. Die Zeit an der Hochschule wirkt im Vergleich dazu mitunter verheißungsvoll, was Freiheit, Freizeit und Themensetzung betrifft. Doch so einfach ist es nicht: Auch Universitäten nutzen, brauchen und fordern Ordnung und Strukturen. So gibt es eine Universitätsverfassung, Studienordnungen, Fristen und Fachbereiche mit einer eigenen Organisation. Die meisten Studierenden nehmen das vermutlich so hin, sind vielleicht sogar froh, dass die eigene Freiheit und damit Verantwortung und Selbstorganisation nicht unendlich ist, sondern es Orientierungsmöglichkeiten gibt.
Annalisa Biehl, Masterstudentin am Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Münster, gehört nicht zu den Studierenden, die die hiesigen Studienbedingungen einfach hinnehmen. Seit Jahren engagiert sie sich in der Hochschulpolitik und befasst sich als studentische Hilfskraft (SHK) auch wissenschaftlich mit dem Rahmen, den die Studierenden an Universitäten vorfinden. Aufgrund dieser Erfahrungen und ihres Einsatzes berief das Hochschulforum Digitalisierung, eine Initiative zur Förderung der digitalen Hochschultransformation des Stifterverbandes, des CHE Centrums für Hochschulentwicklung und der Hochschulrektorenkonferenz, die 24-Jährige im September in das „DigitalChangeMaker“-Programm.
Jährlich werden nur circa 15 Studierende in das Programm aufgenommen – bei rund 2,8 Millionen Studierenden an über 420 Hochschulen deutschlandweit. Diese „DigitalChangeMaker“ (DCMs) erarbeiten ein Jahr lang gemeinsam Ideen, „um Hochschulen zukunftsfähig“ weiterzuentwickeln, wie es auf der Webseite des Programms heißt. Wichtig sei dabei, nicht über, sondern mit Studierenden zu sprechen und ihre Perspektive aufzunehmen. Annalisa Biehl nahm an einer Tagung zur Gesundheit von Studierenden teil, als sie erstmals von dem Programm erfuhr. „Es hat mich gleich interessiert, und ich hatte Lust, mich zu bewerben“, erklärt die Studentin.
Annalisa Biehl studiert seit 2019 an der Universität Münster und fing früh damit an, die Grundlagen für ihre Tätigkeit als „DigitalChangeMaker“ zu legen. Im zweiten Semester begann sie ihr Engagement in der Fachschaft und als SHK, machte in der Folge weiter Hochschulpolitik, etwa im Fachbereichsrat und im Institutsvorstand der Erziehungswissenschaft. Aus ihren Erfahrungen formuliert Annalisa Biehl Ziele und Visionen – grundsätzlich und als DCM: „Ich möchte, dass die Arbeit der Fachschaften verbessert wird, dass studentische Gremien wie auch SHK an Instituten, Fachbereichen und der Universität insgesamt besser einbezogen werden – meiner Meinung nach gibt es derzeit oftmals nur eine Scheinpartizipation von Studierenden.“
Wenngleich das DCM-Programm das Digitale im Namen trägt, sind die Mitglieder in ihrer Arbeit nicht ausschließlich auf diesen Aspekt beschränkt, vielmehr geht es um Veränderungsprozesse im Allgemeinen. Für Annalisa Biehl ist das genau richtig, denn sie möchte die Hochschule und die Studienbedingungen als Ganzes weiterentwickeln. „Ich wünsche mir, dass die Universität wieder stärker ein Ort des Lebens wird.“ Dabei denkt sie zum einen an die „zu starke Verschulung des Studiums“ durch die Bologna-Reform, aber auch an die Entfremdung und Zersplitterung der Studierenden, etwa durch Corona, Pendeln und das Fehlen von Räumen, in denen Studierende sich aufhalten, austauschen und miteinander (hochschulpolitisch) arbeiten können. Angesichts so mancher Lehrveranstaltung, die nur von wenigen Studierenden besucht wird, wünscht sie sich zudem, dass Dozentinnen und Dozenten die Inhalte und Formate gemeinsam mit der Zielgruppe, den Studierenden, verändern, um mehr Interessierte anzulocken und die Beteiligung im Semester hochzuhalten.
Dass die Umsetzung ihrer Ideen vor allem an einer so großen Hochschule wie der Universität Münster mit großen Fachbereichen, Studiengängen und einer damit einhergehenden Anonymisierung besonders herausfordernd ist – allein 12.000 Studierende verschiedener Fächer werden im laufenden Wintersemester Veranstaltungen am Institut für Erziehungswissenschaft besuchen –, weiß Annalisa Biehl. Dennoch freut sie sich, ihre bisherige Arbeit nun im Hochschulforum Digitalisierung fortsetzen zu können. „Ich habe wirklich das Gefühl, dass die Initiatoren auf die Beteiligung von uns Studierenden Lust haben, sie betreuen uns großartig“, betont die gebürtige Schleswig-Holsteinerin. So wird sie sich bald mit ihren Mitstreiterinnen und Mitstreitern in Berlin treffen und Themen erarbeiten und in Zukunft an Podiumsdiskussionen und anderen Veranstaltungen teilnehmen, um sich im Forum und an Hochschulen für studentische Teilhabe auf „Augenhöhe“, wie sie mehrmals betont, und für ein zugewandtes Miteinander einzusetzen.
Autor: André Bednarz
Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 7, 6. November 2024.