Wanderer zwischen drei Welten
Bereits seit sechs Stunden ist Prof. Dr. Dirk van den Boom auf den Beinen, als wir uns zum Gespräch treffen. Um pünktlich um elf Uhr in Münster zu sein, ist er früh morgens aus seinem Wohnort Saarbrücken aufgebrochen. Man merkt keine Spur von Müdigkeit, im Gegenteil: Kaum gerät der 57-Jährige ins Erzählen, sprudelt er vor Leidenschaft für seine Themen.
Das frühe Aufstehen ist für ihn Routine, nur so kann er seine verschiedenen Professionen bewältigen. Bevor sich der Politikwissenschaftler und Geschäftsführer einer Nichtregierungsorganisation seinen Hauptjobs zuwendet, schlüpft er in die Rolle eines Science-Fiction-Autors. Die frühen Morgenstunden nutzt er, um an seinem aktuellen Roman zu schreiben. Rund 140 Romane hat er bereits verfasst, darunter viele Trilogien und eine 24-bändige Serie. Das Themenspektrum reicht von ersten Kontakten zwischen Menschen und Aliens bis zu der sogenannten Alternative History, bei der Dirk van den Boom einen Bogen vom 20. Jahrhundert zurück ins Römische Reich spannt.
Science-Fiction ist eine Konstante in seinem Leben, befeuert von Technikbegeisterung und dem Wunsch nach Eskapismus. 30 Jahre lang hat er die wöchentlich erscheinenden Perry-Rhodan-Folgen verschlungen und jede Folge der ZDF-Serie „Mondbasis Alpha 1“ und „Star Trek“ gesehen. „Ich befasse mich mit Science-Fiction, seit ich lesen kann“, betont er.
Als Teenager veröffentlichte er Anfang der 1980er-Jahre seine ersten Kurzgeschichten in Fan-Zeitschriften, das erste Honorar bekam er 1997. Das war der Grundstein für seine Professionalisierung. „Ich bin Auftragsautor. Ich schreibe also nicht für die Schublade, sondern nur, wenn ich einen Vertrag zur Veröffentlichung habe“, stellt Dirk van den Boom heraus. Die Folge: „Ich muss mich an feste Abgabetermine halten und auch schreiben, wenn ich mal keine Lust habe.“ Das klingt nicht nach dem romantischen Bild des Schriftstellers, der darauf wartet, dass ihn die Muse küsst. „Ich schreibe Unterhaltungsliteratur“, betont er. Dazu brauche es in erster Linie Handwerk und Disziplin.
Seine Leserschaft weiß seine Werke zu schätzen. 2017 erhielt er für den ersten Band der Reihe „Die Welten der Skiir“ den Deutschen Science-Fiction-Preis, seit Jahren ist er bei mehreren einschlägigen Publikumsverlagen unter Vertrag.
Das Schreiben habe dabei durchaus eine therapeutische Funktion. In seinem Hauptberuf liegen die Schwerpunkte des in Wilhelmshaven aufgewachsenen Politikwissenschaftlers in der Migrations- und Entwicklungspolitik. Zu diesen Themen lehrt Dirk van den Boom an der Universität Münster und nimmt Prüfungen ab. Seine Dissertation hat er 1995 über die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft an der Universität Münster geschrieben und sich danach zum Thema Kleinstparteien an der Universität des Saarlandes habilitiert. „Ich bin schnell von mir selbst gelangweilt und brauche immer wieder neue Themen“, begründet der Wissenschaftler sein breites Forschungsspektrum. Außerdem ist er Geschäftsführer der Nichtregierungsorganisation „Micado Migration“, die Migrantinnen und Migranten auf ihrem Weg in den deutschen Arbeitsmarkt begleitet und Berater für Migranten ohne Aussicht auf Bleiberecht ausbildet, um diesen Perspektiven bei der Rückkehr zu eröffnen.
Hier trifft seine Forschung unmittelbar auf die Praxis. „Ich möchte nicht nur dicke Bücher produzieren, sondern Papiere, die Entscheidungsträger lesen und berücksichtigen“, beschreibt er seine Motivation. Dieser Antrieb hat allerdings einen Haken, denn „je höher die politische Ebene, desto interessengetriebener sind die Akteure, mit denen wir es zu tun haben“. Aktuell arbeitet er an einem Projekt, das Flüchtlingen mit einer Behinderung soziale Teilhabe ermöglichen soll.
Als wäre all das nicht schon Arbeit genug, ist Dirk van den Boom auch noch in der politischen Erwachsenenbildung tätig. Sei es das Live-Streaming-Videoportal Twitch auf dem Kanal von Thommy Krappweis, dem Erfinder von „Bernd das Brot“, als Radio- und Fernsehgast des SWR oder als Referent in verschiedenen Bildungseinrichtungen. Dabei beobachtet er zunehmend eine von Hoffnungslosigkeit oder Fatalismus geprägte Stimmung unter den Bürgerinnen und Bürgern. „Viele Menschen können dem Aufstieg der AfD mental nichts mehr entgegensetzen oder verzweifeln angesichts der Klimakrise.“
Dirk van den Boom versucht, dieser Haltung mit seiner herzlichen, mitreißenden Art entgegenzutreten. Das Schreiben oder auch Gaming-Sessions mit seiner Tochter sind dazu ein willkommener und auch nötiger Ausgleich. Und so wird er auch morgen wieder um fünf Uhr aufstehen, um vor Beginn des achtstündigen Blockseminars an einem Samstag noch einige Seiten für seinen nächsten Roman zu Papier zu bringen. Der nächste Abgabetermin naht ...
Autorin: Anke Poppen
Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 5, 17. Juli 2024.