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Münster (upm/lp).
Prof. Dr. Hinnerk Wißmann während des Podcasts.<address>© Uni MS - Linus Peikenkamp</address>
Prof. Dr. Hinnerk Wißmann während des Podcasts.
© Uni MS - Linus Peikenkamp

75 Jahre Grundgesetz – ein Grund zum Feiern?

Hinnerk Wißmann im Gespräch über die Geschichte und Zukunft der deutschen Verfassung

Der Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Hinnerk Wißmann der Universität Münster ruft alle Bürger dazu auf, sich „nicht nur als Kunden und Verbraucher, sondern als Mitwirkende“ des vor 75 Jahren verabschiedeten Grundgesetzes zu verstehen. Das herausragende Merkmal der vom „Parlamentarischen Rat“ am 23. Mai 1949 verkündeten deutschen Verfassung sei die Tatsache, dass die Bürger und ihre Rechte bewusst am Anfang der 146 Artikel stünden und, anderes als in anderen Verfassungen, erst danach die Staatsorganisation erläutert werde. „Das Signal, das man nach den Erfahrungen mit der Weimarer Verfassung und dem Nationalsozialismus aussenden wollte, ist eindeutig: Das Individuum und seine einklagbaren Grundrechte stehen an oberster Stelle“, erklärt Hinnerk Wißmann in einer neuen Folge des „Umdenken“-Podcasts der Universität Münster. Die „Fokussierung auf dem Menschen“ stünde im Mittelpunkt aller staatlichen Tätigkeiten. „Und dies ist nicht nur Lyrik für den Sonntag, sondern hartes Recht. Die Bürger können ihre Rechte gegenüber dem Staat geltend machen, auch die Schwachen können das Recht gegenüber den Starken nutzen.“

Diese Errungenschaft bedeute im Umkehrschluss, dass jeder Bürger gleichermaßen die Rechte und Meinungen seiner Mitmenschen respektieren müsse. „Wir sollten in Debatten nicht zwischen ‚wir‘ und ,die‘ unterscheiden, sondern auch Personen, deren Meinungen wir nicht teilen, als Teil unserer demokratischen Gemeinschaft ansehen“, betont der Jurist. So könne jeder Bürger seinen individuellen Teil zum freiheitlichen Verfassungsstaat beitragen, vom dem jeder Einzelne wiederum profitiere.

Der Wissenschaftler erläutert im Gespräch, dass das Grundgesetz seit seiner Entstehung schon oft verändert wurde – notwendig ist dafür eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag und Bundesrat. Beispielsweise wurde das Asylrecht im Jahr 1993 durch Artikel 16a präzisiert und eingeschränkt, zudem sind polizeiliche Durchsuchungen durch entsprechende Änderungen vereinfacht worden. „Die Änderungsregel ermöglicht es, neue Anliegen der Bevölkerung und der Koalitionen an das Grundgesetz heranzutragen und so dem gesellschaftlichen Wandel nachzukommen“, betont Hinnerk Wißmann, der seit 2013 den Lehrstuhl für Öffentliches Recht sowie Kultur- und Religionsverfassungsrecht an der Universität Münster innehat. Artikel 1 („Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“) und Artikel 20, der die Bundesrepublik als einen sozialen Bundesstaat definiert, sind dagegen unveränderbar.

Das Grundgesetz sei gleichwohl nicht auf ewig angelegt. Der Artikel 146 biete beispielsweise die Möglichkeit, dass das Grundgesetz von einer europäischen Verfassung ersetzt werden könnte, sofern sich die Europäische Union zu einem europäischen Bundesstaat weiterentwickle. Aktuell halte er diese Möglichkeit allerdings für „vollkommen ausgeschlossen“.

Umdenken – der Podcast der Universität Münster
Im Podcast der Universität Münster kommen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus unterschiedlichen Disziplinen zu Wort. Sie berichten über ihre Forschungsschwerpunkte, aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse und ihre persönliche Motivation. Alle Folgen sind auf Spotify, Deezer, Apple Podcasts und unter folgendem Link zu hören: https://www.uni-muenster.de/kommunikation/podcast/index.html

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