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Münster (upm/anb).
Blick auf zwei Bankgebäude<address>© Unsplash - Miquel Parera</address>
Blick auf zwei Bankgebäude
© Unsplash - Miquel Parera

„Wir haben den weltweiten Puls der Finanzwirtschaft pochen gehört“

Die 10. Münsteraner Bankentage werden die letzten des Finanzexperten Andreas Pfingsten sein – ein Interview

Dr. Andreas Pfingsten hat vor genau 30 Jahren seine Arbeit als Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Universität Münster aufgenommen. Mit den 10. Münsteraner Bankentagen, die am 25. und 26. April stattfinden, endet die universitäre Laufbahn des Leiters des Instituts für Kreditwesen – zumindest fast. Im Interview mit André Bednarz spricht Andreas Pfingsten unter anderem über seinen beruflichen Werdegang, Veränderungen im Universitätsalltag und die spannende Zeit der Bankenkrise vor rund 15 Jahren.

„Sind alle verrückt geworden?“, fragte ein Wirtschaftswissenschaftler vor 15 Jahren, als die Finanz- und Bankenkrise die Welt erschütterte. Waren diese Krisenjahre auch für Sie eine herausragende Zeit?

Die Bankenkrise war definitiv eine der spannendsten Zeiten in meinem Berufsleben. Auf der Jahrestagung 2008 der Deutschen Gesellschaft für Finanzwirtschaft in Münster hatten wir den niederländischen Kollegen und Präsidenten der European Finance Association, Arnoud Boot, als Hauptreferenten. Am Tag seines Vortrags wurden Schwierigkeiten bei der großen niederländischen Bank ING öffentlich, sodass er ständig Interviews geben musste. An diesem Tag haben wir den weltweiten Puls der Finanzwirtschaft in Münster deutlich pochen gehört. Ich habe in diesen Jahren eine große Zahl von Vorträgen zur Finanzkrise, ihren Entstehungsgründen und Lösungsansätzen zu deren Begrenzung gehalten; bei Kreditinstituten genauso wie bei sozialen Foren, Jugendorganisationen von Parteien oder Kirchengemeinden.

Inzwischen ist es deutlich ruhiger geworden um die Banken. Ist das ein gutes Zeichen?

Die Regulierung hat in der Folgezeit dafür gesorgt, dass Kreditinstitute heutzutage grundsätzlich sicherer als früher sind. Unter anderem haben sie mehr Eigenkapital, aber aus Sicht einiger Kolleginnen und Kollegen immer noch zu wenig. Die Überwachungsmechanismen haben sich intern an vielen Stellen verbessert, aber politische Krisen schwappen auch auf die Finanzwirtschaft und damit die Banken über. Wir dürfen uns also nie in Sicherheit wiegen, dass sich nicht erneut eine solch böse Überraschung ereignet, zumal menschliche Fehler und gezieltes Fehlverhalten nie vollständig auszuschließen sind.

Bevor Sie zum Fachmann für das Bankwesen wurden, studierten Sie Wirtschaftsingenieurwesen. Wie kam es zu diesem Sinneswandel?

Für Bankthemen, die ich in Münster zu meinem Schwerpunkt machen durfte, habe ich mich spätestens nach der Promotion intensiv interessiert. Während meiner Habilitationszeit hatte ich, neben einer freiwillig nur halben Stelle an der Universität, eine halbe Stelle im Bereich Betriebswirtschaft der Landeskreditbank Baden-Württemberg. Nach der Habilitation bin ich zweieinhalb Jahre in die Praxis gegangen, um bei der Fiducia, einem der beiden Vorläufer der heutigen Atruvia in Münster, unter anderem bundesweite Projekte im Bankcontrolling zu betreuen.

Sie sind in Münster gelandet, angesichts von sechs Rufen aus dem In- und Ausland hätte es aber auch eine andere Universitätsstadt sein können. Was hat Sie nach Münster geführt und hier gehalten?

Ich bin 1994 von einer Professur in Siegen auf eine höherdotierte Professur nach Münster gewechselt. Angebote aus Osnabrück und aus Innsbruck habe ich damals ausgeschlagen, weil ich nur an der Universität Münster die Möglichkeit hatte, von der VWL in die BWL zu wechseln. Die späteren Ablehnungen der Rufe nach Zürich und Erlangen-Nürnberg lagen vor allem am starken Rückhalt in Münster – von den Studierenden über die Kollegen bis hin zu den Praktikern – und der Möglichkeit, hier in einem größeren Team mehr gestalten zu können.

Münster scheint Sie sehr überzeugt zu haben. So sehr, dass Sie seit genau 30 Jahren an der hiesigen Universität arbeiten. Was ist seit den 90er-Jahren an der Uni gleichgeblieben, und was hat sich am stärksten gewandelt?

Prof. Dr. Andreas Pfingsten arbeitet vor dem endgültigen Ruhestand noch ein Jahr als Seniorprofessor an der Universität Münster.<address>© Uni MS - Michael Möller</address>
Prof. Dr. Andreas Pfingsten arbeitet vor dem endgültigen Ruhestand noch ein Jahr als Seniorprofessor an der Universität Münster.
© Uni MS - Michael Möller
Wie vor 30 Jahren bin ich in der Lehre vor allem daran interessiert, Studierende für inhaltlich spannende Themen und wichtige Methoden meines Fachs zu begeistern. Es gibt viele fachlich Interessierte, aber, heute wie früher, auch viele, die am Ende vor allem die Klausurrelevanz der Inhalte interessiert. Das ist nachvollziehbar und gleichzeitig desillusionierend. Stark gestiegen ist die Anspruchshaltung der Studierenden, die heutzutage nicht nur sehr ausführliche, aber nicht zu umfangreiche Vorlesungsunterlagen verlangen, sondern selbst an einer Präsenzuniversität immer mehr die Gelegenheit bekommen möchten, die Veranstaltungen zu den ihnen genehmen Zeitpunkten streamen zu können. Meine Selbstwahrnehmung, dass ich in Online-Veranstaltungen weniger konzentrationsfähig bin, trifft auf viele Studierende ebenfalls zu, wie wir in letzter Zeit an Klausurergebnissen erkennen mussten. Geblieben sind zu meiner großen Freude das im Regelfall hohe Engagement der münsterschen Studierenden und ihre relativ große Leistungsfähigkeit im Vergleich zu Studierenden an vielen anderen Hochschulen. Auch die konstruktive Zusammenarbeit zwischen Studierenden und Professorinnen und Professoren, speziell an ,meiner‘ Fakultät, hat sich erfreulicherweise kaum verändert.

Sie beschreiben den Wandel in Studium und Lehre. Was hat sich denn in der Forschung und in Ihrem Fachgebiet im Allgemeinen in den drei vergangenen Jahrzehnten getan?

Heute können wir in viel kürzerer Zeit als früher und mit viel größerer Sicherheit und Genauigkeit Literaturrecherchen durchführen. Dementsprechend sind auch die Anforderungen für eine saubere und umfassende Literaturarbeit gestiegen. Viel größer geworden sind außerdem die Datenmengen, die zur Verfügung stehen und die wir in vertretbarer Zeit verarbeiten können. Inhaltlich ist die Bankbetriebslehre in Deutschland von einer eher institutionell geprägten Disziplin zu einer theoretisch fundierten und empirisch unterlegten Wissenschaft geworden. Ich bin stolz darauf, dass ich mit meinen Kollegen Thomas Hartmann-Wendels aus Köln und Martin Weber aus Mannheim mit dem Buch Bankbetriebslehre dazu einen Beitrag leisten konnte. Die Bankforschung stellt sich inzwischen viel intensiver dem internationalen Wettbewerb um hervorragende Zeitschriftenpublikationen. Diese stellen eine zentrale Währung zur Messung unserer Leistung dar, manchmal vielleicht sogar eine zu wichtige. Mit gewisser Sorge sehe ich, dass für die Bearbeitung der meisten Finance-Themen erwartet wird, dass aufgrund der Bedeutung der USA und ihrer Forscher amerikanische Daten verwendet werden. Im Extremfall kann das dazu führen, dass Themen nicht analysiert werden, die für Deutschland wichtig sind. Das kann aber auch an einer oft für Deutschland schlechteren Datenlage liegen. Zusammen mit einigen deutschen Co-Autoren ist es mir dennoch gelungen, zum Beispiel Themen der deutschen Bankenrechnungslegung international zu publizieren. Diesen riskanten Versuch zu unternehmen, konnte ich mir aber nur leisten, weil ich als Beamter keinem Publikationsdruck mehr unterlag.

Sie sprachen von Ihrer Arbeit als Wirtschaftstheoretiker. Die Münsteraner Bankentage beweisen aber, dass Sie auch Wissenschaft und Praxis zusammenbringen. Was reizt Sie daran besonders?

Ein Grund für meinen Wechsel in die Bankbetriebslehre war, dass meine Forschung zum Länderfinanzausgleich, für den wir vor 30 Jahren Lösungsansätze vorgeschlagen hatten, in der Politik auf keinerlei Interesse stieß. Betrachtet man den Streit, den es heute immer noch um den Länderfinanzausgleich gibt, wäre es für die Politik vielleicht besser gewesen, sich auf einen sauberen, theoretisch fundierten Ansatz einzulassen, um nicht immer wieder in Kungeleien politisch Interessierter zu geraten.

Zeigten denn wenigstens die Banken etwas mehr Interesse an der Forschung?

Definitiv. Ich durfte beispielsweise an der Neugestaltung des Einlagensicherungssystems für die Genossenschaftsbanken mitarbeiten und habe in letzter Zeit Gutachten für Gerichte und Kreditinstitute zum Thema Prämiensparverträge geschrieben. Zudem gab es viele Schulungen für Vorstände und Führungskräfte oder Konferenzen, auf denen Praktiker wissenschaftliche Erkenntnisse erfahren wollten. Diese von beiden Seiten, Wissenschaft und Praxis, positiv bewertete Zusammenarbeit immer wieder zu intensivieren, war das wichtigste Leitmotiv meiner Arbeit. Daher freue ich mich, mit den 10. Münsteraner Bankentagen einen wunderbaren Abschluss präsentieren zu können. Dass der noch durch einen Vortrag des Bundesbankpräsidenten, neben mehreren anderen herausragenden Referentinnen und Referenten, geadelt wird, macht mich stolz.

Auch Sie reden bei den Bankentagen im Rahmen Ihrer Abschiedsvorlesung. Doch so ganz in den Ruhestand gehen Sie noch nicht. Was sind Ihre Pläne?

Als Seniorprofessor werde ich im kommenden Jahr einige Doktoranden sowie Postdocs betreuen. Außerdem werde ich eine Kompaktveranstaltung für den wissenschaftlichen Nachwuchs zu Wissenschaftstheorie und Methoden anbieten und einige schon länger laufende Forschungsprojekte mit neuen Versionen der entsprechenden Aufsätze hoffentlich zu einem guten Ende bringen. Zudem werde ich dem Forschungsbeirat des Rektorats noch eine Weile angehören und ebenso meine Stipendiaten der Studienstiftung des deutschen Volkes eine Zeit lang betreuen.

Das klingt immer noch nach viel Arbeit …

Ja, aber vor allem freue ich mich darauf, terminlich weniger fremdbestimmt zu sein und Veranstaltungen, durchaus auch fachlicher Natur, mehr nach dem Lust- als nach dem Verantwortungsprinzip auswählen zu können. Ich werde definitiv nicht jede Anfrage für die Mitwirkung in irgendeiner Organisation oder an irgendeiner Aktion vor lauter Angst annehmen, dass ich sonst beschäftigungslos sein könnte. Gerne würde ich die eine oder andere fachlich orientierte Veranstaltung von Unternehmen oder Konferenzanbietern moderieren, weil ich das immer gerne gemacht habe, aber dieser Markt ist durch die Coronazeit sehr durchgeschüttelt worden. Und nicht zuletzt gibt es die Pläne meiner Frau, die ein bisschen länger als ich berufstätig sein wird.

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