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Münster (upm/ch).
Eine Reihe von Dipolmagneten im Tunnel des Large Hadron Collider: Im LHC treffen leichte und schwere Atomkerne mit extrem hoher Energie aufeinander.<address>© 2021 CERN - Samuel Joseph Hertzog</address>
Eine Reihe von Dipolmagneten im Tunnel des Large Hadron Collider: Im LHC treffen leichte und schwere Atomkerne mit extrem hoher Energie aufeinander.
© 2021 CERN - Samuel Joseph Hertzog

„Wir wollen wissen, was die Welt im Innersten zusammenhält“

Physiker Michael Klasen gibt Einblicke in die Fortschritte der Kernforschung

Seit mehr als zehn Jahren liefert der Large Hadron Collider (LHC) des Kernforschungszentrums CERN bei Genf Daten aus Teilchenkollisionen bei hohen Energien, die Rückschlüsse auf die Struktur von Atomkernen erlauben. Dabei werden Protonen und Blei-Atomkerne auf nahezu Lichtgeschwindigkeit beschleunigt. Der Physiker Prof. Dr. Michael Klasen vom Institut für Theoretische Physik der Universität Münster ist an einer aktuellen Übersichtsarbeit beteiligt, die den Wissensstand auf diesem Gebiet zusammenfasst. Im Gespräch mit Christina Hoppenbrock gibt er aus diesem Anlass Einblicke in die Fortschritte in der Kernforschung.

 

Atomkerne können nicht unter dem Mikroskop untersucht werden. Trotzdem wissen Physikerinnen und Physiker viel darüber, aus welchen Teilchen die Atomkerne bestehen und welche Eigenschaften diese Teilchen haben ...

Der Physiker Ernest Rutherford und seine Kollegen entdeckten 1911 durch Streuung von Alphateilchen den Atomkern. Heute untersuchen wir die Atomkerne ebenfalls durch Streuexperimente, allerdings bei höheren Energien. Hans Jensen, mein ,Doktor-Großvater‘, und Maria Goeppert-Mayer leiteten aus verschiedenen Messergebnissen bereits 1949 eine Schalenstruktur der Protonen und Neutronen im Kern her, ähnlich wie die der Elektronen in der Atomhülle, und erhielten dafür den Nobelpreis für Physik.

Seit mehr als zehn Jahren treffen im leistungsstärksten Teilchenbeschleuniger der Welt, dem Large Hadron Collider am Kernforschungszentrum CERN bei Genf, leichte und schwere Atomkerne mit bis dahin unerreichter Energie aufeinander. Was haben diese Experimente der Physik gebracht?

Prof. Dr. Michael Klasen<address>© Uni MS</address>
Prof. Dr. Michael Klasen
© Uni MS
Teilchenphysiker wollen wissen, was die Welt im Innersten zusammenhält. Inzwischen verstehen wir, dass Protonen und Neutronen aus den Elementarteilchen Quarks und Gluonen aufgebaut sind. Bei LHC-Energien können diese Elementarteilchen in Kollisionen schwerer Kerne sogar in einer Art Plasma freigesetzt werden, wie es im frühen Universum existierte. Der Phasenübergang in diesen neuen Materiezustand hängt entscheidend von der Dichte der Quarks und Gluonen ab.

Welche Informationen liefern die experimentellen Daten über diese Elementarteilchen?

Die Verteilung von Quarks und Gluonen im Proton ist seit Experimenten am Deutschen Elektronen-Synchrotron in Hamburg vor 20 Jahren gut bekannt, ändert sich aber in schweren Kernen. Die vergangenen zehn Jahre Forschung am LHC haben uns darüber so viele Informationen geliefert, dass wir nun eine sehr gute Vorstellung von der Eigenbewegung der Protonen und Neutronen, aber auch von den Bindungseffekten im Kern haben. So können wir beispielsweise nun untersuchen, ab welcher Energie die Gluonen zu verschmelzen beginnen, welche Rolle die Quarks dabei spielen, wie sie im Quark-Gluon-Plasma freigesetzt werden, und ob dies sogar bei leichteren Kernen möglich ist.

Wir reden über physikalische Experimente. Welche Rolle spielt die theoretische Physik?

Die Theorie bringt die Vielzahl von Messungen unterschiedlicher Experimente in einen systematischen Rahmen, deckt Widersprüche auf, initiiert weitergehende Untersuchungen und führt schließlich zu einem neuen Bild des Atomkerns. Dies ist nur möglich, wenn die Prozesse mithilfe von Großrechnern mit hoher Präzision berechnet und umfangreichen statistischen Analysen unterzogen werden. Daran haben wir in Münster in den vergangenen Jahren entscheidend mitgewirkt.

Am Brookhaven National Laboratory in Upton, New York, soll ein bislang einzigartiger Elektronen-Ionen-Beschleuniger entstehen. Welche Erkenntnisse erhoffen Sie sich von diesem Beschleuniger und auch von anderen Beschleunigern?

In Experimenten mit Elektronenstrahlen lassen sich Kernteilchen präziser nachverfolgen, sodass wir ab 2030 sogar ein dreidimensionales Bild des Atomkerns bekommen sollten und die Streuung an korrelierten Quarks und Gluonen untersuchen können. Noch besser ginge das bei Beschleunigern mit noch höheren Energien, wie sie am CERN geplant sind. Dann könnte man wie unter dem Mikroskop die Verschmelzung der Quarks und Gluonen direkt nachweisen und so ihren Phasenübergang in den Plasmazustand nachvollziehen.

 

Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 8, 13. Dezember 2023.

 

Originalveröffentlichungen:

P. Duwentäster, T. Jezo, M. Klasen, K. Kovarik et al., Phys.Rev.D 105 (2022); DOI: 10.1103/PhysRevD.105.114043

M. Klasen, H. Paukkunen, DOI: 10.1146/annurev-nucl-102122-022747

 

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