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Münster (upm/sp).
Bei der Konferenz „Gesundheit für alle“ wurden Best-Practice-Beispiele gesundheitlicher Chancengleichheit aus den drei Beispielstadtteilen vorgestellt. Mit dabei: Prof. Dr. Iris Dzudzek (2. v. r.) und Lisa Kamphaus (r.) von der Universität Münster.<address>© Hauke Dittrich</address>
Bei der Konferenz „Gesundheit für alle“ wurden Best-Practice-Beispiele gesundheitlicher Chancengleichheit aus den drei Beispielstadtteilen vorgestellt. Mit dabei: Prof. Dr. Iris Dzudzek (2. v. r.) und Lisa Kamphaus (r.) von der Universität Münster.
© Hauke Dittrich

Stadt, Land, Gesundheit

Geografen untersuchen, wie Münster gesundheitsgerechter werden kann

Mauritz oder Coerde – diese beiden Stadtviertel Münsters unterscheiden sich nicht nur hinsichtlich der Mietpreise, auch die Lebenserwartung der Bewohnerinnen und Bewohner fällt unterschiedlich aus. Studien zeigen, dass Menschen in reichen Stadtteilen bis zu zehn Jahre länger leben als in ärmeren Bezirken. Ausschlaggebende Faktoren können die Wohnungssituation, die Nähe zu Grün- und Erholungsflächen, Armut, Stress, gesellschaftliche Teilhabe oder auch Lärm- und Luftbelastungen sein. „Wie unterschiedlich dieser Einfluss ausfallen kann, zeigen Städte. Hier ist die Verteilung dieser Faktoren besonders ungleich. Verschärft wird die Situation beispielsweise durch den Klimawandel und immer häufiger auftretende Hitzeperioden. Die Gestaltung gesundheitsgerechter Städte wird eine zentrale Aufgabe der kommenden Jahre sein“, erklärt Dr. Iris Dzudzek, Professorin für kritische Stadtgeografie, die in einem Forschungsprojekt untersucht, wie diese Ungleichheit aufgelöst werden kann. Unter dem Titel „Gesundheit in der nachhaltigen Stadt“ wird innerhalb von fünf Jahren in Kooperation mit der Stadt Münster ein Handlungsprogramm entwickelt, das – fest verankert in der Stadtentwicklung – für mehr gesundheitliche Chancengleichheit sorgen soll. Eine Krankenkasse, die ohnehin den Auftrag hat, Prävention auch in Kommunen zu fördern, unterstützt das Projekt.

Aktuell ist Halbzeit – passend dazu fand im August eine dreitägige Konferenz mit allen Akteuren und interessierten Bürgern im Fürstenberghaus statt, bei der die Projektbeteiligten Zwischenergebnisse vorstellten und erste Bausteine für das Handlungsprogramm entwickelten. „Uns war es wichtig, partizipativ und bottom-up, stadtteilbezogen und querschnittsorientiert die Verhältnisse vor Ort zu erfassen und gemeinsam Handlungsstrategien zu entwickeln“, fasst die wissenschaftliche Mitarbeiterin und Projektkoordinatorin Lisa Kamphaus zusammen. „Aus diesem Grund haben wir zunächst drei unterschiedliche Stadtteile festgelegt, anhand derer wir den Status quo erhoben haben: das Hansaviertel, Coerde und Berg Fidel.“ Dazu führten die Wissenschaftler Interviews und veranstalteten Workshops mit sogenannten Community-Experten. „Darunter verstehen wir Personen, die ihren Stadtteil sowie die Herausforderungen, Bedürfnisse, Fähigkeiten und Ressourcen der Menschengruppen, mit denen sie arbeiten, sehr gut kennen. Das können Streetworker, Mitarbeiter aus Sportvereinen oder Bezirksbürgermeister sein“, ergänzt Iris Dzudzek. Parallel dazu gab es auf städtischer Ebene Interviews mit Vertretern aus Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft. „Wir wollen von beiden Seiten aus erarbeiten, wo es hakt“, betont Lisa Kamphaus.

Migration und Teilhabe sind wichtige Themen des Projekts. Bei einer Exkursion in den Stadtteil Coerde wurde die Initiative „Bike and Meet“ des Vereins „Move and Meet“ vorgestellt.<address>© Hauke Dittrich</address>
Migration und Teilhabe sind wichtige Themen des Projekts. Bei einer Exkursion in den Stadtteil Coerde wurde die Initiative „Bike and Meet“ des Vereins „Move and Meet“ vorgestellt.
© Hauke Dittrich
Das Forschungsteam hat für die drei Stadtteile jeweils fünf zentrale Einflussfaktoren identifiziert, die sich auf die Gesundheit der Bewohner auswirken. So berichten Bürger im Hansaviertel etwa, dass sie unter der zunehmenden Gentrifizierung leiden, weil dadurch die Mieten steigen und sie immer häufiger aus dem Viertel verdrängt werden. Der Stadtteil Coerde hingegen ist stark durch Armut und damit einhergehender Stigmatisierung geprägt. Insbesondere Mobilitätsarmut spielt eine besondere Rolle: „In den Workshops haben Bewohner uns erklärt, dass es insbesondere für Frauen ein großes Problem darstellt, beispielsweise pünktlich zu Terminen im Sozialamt zu kommen, weil die Busverbindungen schlecht sind, sie gleichzeitig weder Fahrrad fahren können noch ein Auto haben. Die Mitarbeiter in Ämtern sehen allerdings häufig nur die Unpünktlichkeit der Personen und nicht die dahinterstehenden schwierigen, alleine kaum zu bewältigenden Herausforderungen“, berichtet Lisa Kamphaus.

In Berg Fidel wiederum sei häufig der Wunsch nach mehr Sportangeboten geäußert worden. „In diesem Stadtteil versammeln sich die großen Sportakteure der Stadt wie Preußen Münster oder der USC Münster mit großen Sportflächen. Angebote für die Bewohner gibt es allerdings fast keine“, berichtet Iris Dzudzek.

Erste Initiativen haben sich bereits in der ersten Projektphase gebildet. In Berg Fidel wurde ein Arbeitskreis gegründet mit Vertretern der Sportvereine, die nun niedrigschwellige Angebote für die Bewohner des Viertels erarbeiten. Ein Community-Forschungsprojekt, das mit dem Citizen-Science-Preis der Stiftung WWU Münster ausgezeichnet wurde, arbeitet mit Menschen, die als schwer erreichbar gelten, zu Themen wie Stigmatisierung und gesundheitliche Rechte.

In der zweiten Projektphase geht es nun darum, die Ergebnisse der partizipativen Phase in ein Handlungskonzept zu übertragen. „Wissenschaft und Stadt arbeiten dabei Hand in Hand. Wir werden die Ziele und Positionen der Stadt festlegen, um das Thema Gesundheit in der Stadtentwicklung zu verankern. Dabei wollen wir konkrete Maßnahmen zur Umsetzung erarbeiten, die sich aus den Zwischenergebnissen ableiten“, kündigt Iris Dzudzek an. Anfang 2026 soll das Konzept als Beschlussvorlage dem Rat der Stadt zur Abstimmung vorgelegt werden. „Wir hoffen, dass Münster dadurch nicht nur gesundheitsgerechter wird“, unterstreicht Iris Dzudzek, „sondern wir auch den Blick darauf lenken, dass es bei Gesundheit nicht nur um Verhalten, sondern auch um Verhältnisse geht.“

Autorin: Sophie Pieper

Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 7, 8. November 2023.

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