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Münster (upm).
Bei den untersuchten Teilchen hängt die Form der Cluster davon ab, wie stark die Orientierung der Teilchen ihre Antriebsgeschwindigkeit beeinflusst.<address>© Copyright: S. Bröker et al. (2023), Physical Review Letters 131, 168203</address>
Bei den untersuchten Teilchen hängt die Form der Cluster davon ab, wie stark die Orientierung der Teilchen ihre Antriebsgeschwindigkeit beeinflusst.
© Copyright: S. Bröker et al. (2023), Physical Review Letters 131, 168203

Programmierbare Materie: „Wir können mit den Teilchen malen“

Forscher finden neue physikalische Effekte in Systemen aus Teilchen mit orientierungsabhängiger Antriebsgeschwindigkeit

Die Untersuchung von Systemen aus selbstangetriebenen Teilchen – sogenannten aktiven Teilchen – ist ein rasch wachsendes Forschungsgebiet. In theoretischen Modellen für aktive Teilchen ist eine Annahme oft, dass die Schwimmgeschwindigkeit der Teilchen immer dieselbe ist. Das stimmt allerdings nicht für viele experimentell hergestellte Teilchen, etwa für solche mit Ultraschallantrieb, wie sie für medizinische Anwendungen relevant sind. Hier hängt die Antriebsgeschwindigkeit von ihrer Orientierung ab. Wie sich diese Abhängigkeit auf das Verhalten von Systemen sehr vieler Teilchen auswirkt, insbesondere auch auf die Bildung von Clustern, haben Physiker um Prof. Dr. Raphael Wittkowski von der Universität Münster in einem Kooperationsprojekt mit Prof. Dr. Michael Cates von der University of Cambridge nun erstmals gezeigt. Sie untersuchten mit einer Kombination aus Computersimulationen und theoretischen Berechnungen das Verhalten von Systemen aus vielen aktiven Teilchen mit orientierungsabhängiger Geschwindigkeit und entdeckten dabei eine Reihe neuer Effekte. Die Ergebnisse der Studie wurden in der Fachzeitschrift Physical Review Letters veröffentlicht.

Aus physikalischer Sicht ist interessant, dass Systeme aus vielen aktiven Teilchen spontan Cluster bilden können, und zwar selbst dann, wenn die einzelnen Teilchen sich nicht anziehen. Bei der Messung der Teilchenbewegung in den Simulationen fanden die Forscher ein besonders überraschendes Resultat. „Normalerweise bleiben die Teilchen bei solchen Clustern im statistischen Mittel dort, wo sie sind“, berichtet Erstautor Dr. Stephan Bröker vom Institut für Theoretische Physik der Universität Münster. Tatsächlich fanden die Physiker jedoch etwas anderes: Die Teilchen bewegen sich ständig an einer Seite aus dem Cluster heraus und an der anderen wieder hinein, sodass ein permanenter Teilchenstrom entsteht.

Ein weiterer Unterschied zum „normalen“ Fall: Die sich in aktiven Teilchensystemen bildenden Cluster sind normalerweise kreisförmig. Bei den untersuchten Teilchen hängt die Form der Cluster jedoch davon ab, wie stark die Orientierung der Teilchen ihre Antriebsgeschwindigkeit beeinflusst – was vom Experimentator vorgegeben werden kann. „Zumindest theoretisch können wir die Teilchen damit dazu bringen, sich in jeder Form anzuordnen, die wir wollen – wir können mit ihnen gewissermaßen malen“, erklärt Ko-Erstautor Dr. Jens Bickmann. In den Simulationen beobachteten die Forscher Ellipsen, Dreiecke und Vierecke. „Das macht die Resultate auch praktisch relevant“, kommentiert Dr. Michael te Vrugt, ebenfalls Mit-Autor aus der Arbeitsgruppe Wittkowski. „Für technische Anwendungen, zum Beispiel die Realisierung programmierbarer Materie, muss die Teilchenanordnung gesteuert werden können, und das ist mit unserem Ansatz möglich.“

Zum Hintergrund: Beispiele für aktive Teilchen gibt es in großer Zahl in der Biologie, etwa schwimmende Bakterien oder fliegende Vögel. Auch künstliche aktive Teilchen (Nano- und Mikroroboter) lassen sich mittlerweile realisieren; diese sollen etwa für den gezielten Medikamententransport im Körper eingesetzt werden können.

 

Finanzierung

Die Studienstiftung des deutschen Volkes unterstützte die Promotion von Michael te Vrugt finanziell. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG, WI 4170/3-2) finanzierte die Arbeitsgruppe Wittkowski.

 

Originalveröffentlichung

S. Bröker, J. Bickmann, M. te Vrugt, M. E. Cates, R. Wittkowski (2023): Orientation-dependent propulsion of active Brownian spheres: from self-advection to programmable cluster shapes. Physical Review Letters 131, 168203. DOI: 10.1103/PhysRevLett.131.168203

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