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Münster (upm/kk).
Prof. Dr. Sascha Buchholz begutachtet im Garten des Kapuzinerklosters die Obstwiese; die Gartenanlage ist öffentlich zugänglich.<address>© WWU - KK</address>
Prof. Dr. Sascha Buchholz begutachtet im Garten des Kapuzinerklosters die Obstwiese; die Gartenanlage ist öffentlich zugänglich.
© WWU - KK

Mut zur Imperfektion

Urbane Gärten bieten ein Refugium für Pflanzen, Tiere und Menschen – eine Radtour mit Sascha Buchholz

Zahlen & Fakten rund um Gärten<address>© WWU - goldmarie design</address>
Zahlen & Fakten rund um Gärten
© WWU - goldmarie design
Ein beißender Brandgeruch steigt uns in die Nase und unterbricht die Idylle im Klostergarten der Kapuziner in der gleichnamigen Straße. Die Ursache ist schnell gefunden: Ein Gärtner brennt die Rasenkante der kurzgemähten Obstwiese ab, damit alles in Reih und Glied ist. „Das ist jetzt weniger gut“, sagt Prof. Dr. Sascha Buchholz vom Institut für Landschaftsökologie der Universität Münster mit Blick auf die Rasenfläche. „Ein viel zu intensiver Schnitt. Da haben viele bodenlebende Tiere keine Chance zum Überleben.“ Warum das so ist und was einen guten Garten und seine Pflege ausmacht, lerne ich an einem sonnigen Aprilvormittag – ich bin mit dem Experten für Stadtökologie zu einer Radtour verabredet. Wir wollen uns städtische Gärten anschauen und uns darüber austauschen, welche Funktion sie haben, worauf man achten sollte und warum sie so wichtig sind.

Unsere Tour startet im Klostergarten, gelegen zwischen Steinfurter Straße und Orléans-Ring – ein Ort für alte, regionale Obst- und Gemüsesorten. „Ein so großes Areal mitten in der Stadt bildet einen wichtigen Beitrag zur Erhaltung und Förderung der biologischen Vielfalt. Zusätzlich tragen Gartenanlagen dazu bei, die Luftqualität zu verbessern, in heißen Sommern die Luft zu kühlen und Kohlendioxid zu speichern. Im Umkehrschluss wird die Lebensqualität in Städten verbessert“, erklärt Sascha Buchholz.

Wir beobachten die ersten Insekten, die zu den zarten rosafarbenen und weißen Knospen der zahlreichen Obstbäume auf dem Gelände fliegen – Apfel, Kirsche, Pfirsiche und Quitten sind zu finden. „Schön hier“, sage ich. „Ja, aber ich würde mir mehr ‚Unordnung‘ wünschen“, wendet der Landschaftsökologe ein. „Der saftige Rasen sollte weniger gemäht werden, damit Klee und andere Pflanzen darin zur Blüte kommen können. Davon profitieren Insekten, aber auch viele Arten, die auf und im Boden leben, etwa Käfer, Spinnen, Schnecken und Tausendfüßler.“

In den vergangenen Jahrzehnten hat die rasche Urbanisierung zum Verlust von Grünflächen und zur Flächenversiegelung in Städten geführt. „Inzwischen findet ein Umdenken statt. Gärten und ihre ‚Bewohner‘ stellen zahlreiche Ökosystemdienstleitungen zur Verfügung, die für den Menschen viele Vorteile bieten“, erklärt Sascha Buchholz. Dazu gehören unter anderem Bodenbildungsprozesse, Bestäubung, Bereitstellung von Nahrungsmitteln sowie Klima- und Wasserregulation. Nicht nur ökologisch, auch kulturell und sozial bieten Gärten vielen Menschen einen Rückzugsraum für ihre Erholung und ihr Wohlbefinden. Studien belegen, dass die mentale Zufriedenheit und die Gesundheit von Menschen zunehmen, wenn Gärten möglichst grün und vielfältige Strukturen vorweisen.

Wir radeln vom Kloster stadtauswärts in Richtung Nienberge und passieren zahlreiche Vorgärten und städtische Grünanlagen. Die Frühblüher bieten viele bunte Farbkleckse, die wir an jeder Ecke sehen: Krokusse, Narzissen, Traubenhyazinthen und Co. stellen bereits seit einigen Wochen eine Art tierisches Buffet für hungrige Bestäuber dar.

Blick in einen typischen Vorgarten.<address>© WWU - KK</address>
Blick in einen typischen Vorgarten.
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An manchen Gärten halten wir an und begutachten die Bepflanzung. Bei dem Vorgarten eines Mehrfamilienhauses fällt dem Experten sofort ein Aspekt positiv auf. „Die Fläche ist nicht versiegelt und weist viel Biomasse, also organische Substanz, auf. Allerdings fehlen hier Blühpflanzen.“ Wir sehen vor allem immergrüne Sträucher wie etwa Stechpalme oder Kirschlorbeer, die eher weniger zur Artenvielfalt beitragen. Sascha Buchholz hat einen Tipp: „Es gibt ausreichend Platz für Kräuter oder Hochstauden. Außerdem sollte jeder Gartenbesitzer den Gartenschnitt einfach liegen lassen und Steine oder Totholz an einigen Stellen verteilen. Mit anderen Worten: Mut zur Imperfektion.“ Auch wenn das möglicherweise nicht jedem Gartenfreund gefalle, könne man mit einfachen Mitteln viel zur Biodiversität in Städten beitragen.

Bereits ein kleiner Balkon kann einen wichtigen Teil zum städtischen Grün und zur Vernetzung der unterschiedlichen Gärten und Parkanlagen in der Stadt beitragen – auch wenn es nur eine kurze Verschnauf- und Stärkungspause für Schmetterlinge oder Bienen ist. Es müssen allerdings die richtigen Arten angepflanzt werden. „Geranien und Dahlien lieber nicht, da sie so gut wie keinen Nektar produzieren. Ich empfehle zum Beispiel Löwenmäulchen. Sie sind die perfekten Begleiter im Garten oder auf dem Balkon, da sie teilweise noch bis in den späten Herbst blühen. Auch Natternkopf oder viele Kräuter wie zum Beispiel Kamille, Minze oder Lavendel sind biologisch wertvolle Pflanzen“, sagt Sascha Buchholz.

Eine Kräuterspirale im Campusgarten „Grüne Beete“ bietet Insekten viel Nahrung und Unterschlupfmöglichkeiten.<address>© WWU - KK</address>
Eine Kräuterspirale im Campusgarten „Grüne Beete“ bietet Insekten viel Nahrung und Unterschlupfmöglichkeiten.
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Unsere letzte Station ist der Campusgarten „Grüne Beete“ am Leonardo-Campus. Der Gemeinschaftsgarten ist ein Treffpunkt für alle Menschen, die Lust am Gärtnern haben. Gekennzeichnet ist der Garten durch zahlreiche Hochbeete, die fein säuberlich beschriftet sind: Knoblauch, Zuckerrüben oder Radieschen stehen unter anderem auf Tafeln. „Der Standort ist im Hinblick auf die Biodiversität perfekt gewählt“, meint Sascha Buchholz und weist auf das kleine Gewässer und die Bäume hin. „Viele Bestäuber wie etwa Schwebfliegen sind in ihrem Larvenstadium auf Wasser angewiesen. Die Bäume bieten Vögeln zudem viele Nist- und Brutmöglichkeiten.“ Eine kleine grüne Oase mitten in der Stadt, die zum Verweilen und zur Gartenarbeit einlädt. Ich beschließe: Ich komme gerne wieder.

Autorin: Kathrin Kottke

Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 3, 3. Mai 2023.

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