
Alles Kopfsache - Neurowissenschaftlerin Ricarda Schubotz im Porträt
Ihren Forschungsschwerpunkt entdecken die meisten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vermutlich während des Studiums oder der Promotion. Für Prof. Dr. Ricarda Schubotz steht er bereits als Schülerin fest. Sie interessiert sich dafür, wie das Denken funktioniert – und steht damit vor einer anderen Herausforderung: Was muss sie studieren, um das Denken untersuchen zu können? Viele Studiengänge beschäftigen sich mit dem Gehirn oder dem menschlichen Denken, wenige so umfassend und gleichzeitig detailliert, wie es sich Ricarda Schubotz wünscht. Schlussendlich entscheidet sie sich für ein Philosophie- und Germanistikstudium an der Philipps-Universität Marburg, das sie an der Freien Universität (FU) in Berlin beendet. „Für die Philosophie habe ich sofort Feuer gefangen. In Marburg war das Studium sehr anwendungsorientiert. Es ging um Fragen wie ‚Gibt es ein Bewusstsein?‘ oder ‚Haben wir einen Zugang zu uns selbst?‘. Das hat mich begeistert“, blickt die Wissenschaftlerin zurück.
Gleichzeitig merkt sie, dass ihr etwas fehlt. „Ich wollte nicht nur von den Experimenten zum menschlichen Denken lesen, sondern selbst welche durchführen. Aber mit meinem Philosophie-Magister hatte ich gefühlt ein Nichts in der Tasche.“ Doch ihre Faszination für das Thema öffnet ihr Türen. An der FU Berlin lernt sie die Neuropsychologin Prof. Dr. Angela Friederici kennen, die gerade zur Direktorin des neu gegründeten Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig berufen wurde und schnell von Ricarda Schubotz’ Begeisterung überzeugt ist. Zunächst bietet ihr das Institut allerdings nur eine Hilfskraftstelle an. Vermutlich wollte das Institut zunächst prüfen, ob sie etwas tauge, erklärt Ricarda Schubotz. Das ist eindeutig der Fall, und so beginnt die gebürtige Marburgerin mit einem Stipendium der Akademie der Wissenschaften erst als Promovendin, später als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Max-Planck-Institut das Denken zu erforschen.
Die kognitive Neurologie wird ihr Forschungsschwerpunkt, in dem sie auch habilitiert werden will. Allerdings gehört dieser Bereich zur Medizin. „Mein Karriereweg war bis dahin ungewöhnlich und eine medizinische Habilitation undenkbar. Schließlich hatte ich das Fach nicht studiert“, erzählt Ricarda Schubotz. „Durch die Promotion in Kognitionswissenschaften und die anschließende Phase als PostDoc in der Abteilung Neurologie des Max-Planck-Instituts war ich allerdings bereits seit neun Jahren auf diesem Gebiet tätig und konnte viele Publikationen vorweisen. Das hat das Gremium der Medizinischen Fakultät der Universität Leipzig, wo ich habilitiert wurde, überzeugt.“
Ich mag es, in andere Gedankenwelten abzutauchen.
Heute wundert sich die Neurowissenschaftlerin manchmal selbst über ihren Mut. „Ich bin eher ein Angsthase und hatte im Studium immer wieder Existenzängste. Aber ich bin bei dem geblieben, was mich begeistert.“ Für Ricarda Schubotz der richtige Weg – seit 2011 ist sie Professorin für biologische Psychologie am Institut für Psychologie der Universität Münster. In ihrer Forschung beschäftigt sie sich mit der Antizipation von Ereignissen. Wie kommen Erwartungen zustande? Wie weit reichen Erwartungen in die Zukunft? Und was passiert in unserem Gehirn, wenn eine Erwartung gebrochen wird und eine Überraschung eintritt?
Mit ihrem Karriereweg sei sie in den Neurowissenschaften „ein bunter Hund“, erzählt Ricarda Schubotz. Mittlerweile gibt es mehrere Studiengänge mit dieser Ausrichtung, ab dem kommenden Wintersemester auch an der WWU. Mit dem neuen interdisziplinären Masterstudiengang „Kognitive Neurowissenschaften“ haben Studierende die Möglichkeit, sich aus unterschiedlichen Perspektiven mit dem Denken, Wahrnehmen, Fühlen, Erinnern, Träumen, Handeln und Sprechen zu beschäftigen. Angesiedelt ist der Studiengang am Institut für Psychologie, daran beteiligt sind zahlreiche Fächer: von der Philosophie über die Verhaltensbiologie, Psychologie, Medizin und Bewegungswissenschaft bis hin zur Physik und Informatik. Ein spannender Fächermix, von dem Ricarda Schubotz – die das Curriculum mit ihren eigenen interdisziplinären Erfahrungen mitgestaltet hat – überzeugt ist: „So einen Studiengang hätte ich mir damals gewünscht.“
Genauso vielseitig wie ihr beruflicher Hintergrund sind auch ihre privaten Interessen. Sie spielt Klavier, ist gerne in der Natur, geht joggen und liest viel. „Ob Belletristik oder Sachbücher – ich lese alles, gerade zum Beispiel ein Buch über Quantenphysik. Ich mag es, in andere Gedankenwelten abzutauchen.“
Autorin: Sophie Pieper
Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 2, 29. März 2023.