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Münster (upm/nor).
Bildungshistoriker Prof. Dr. Jürgen Overhoff ist Mitherausgeber des neuen Sammelbands über die Gründung und den Aufbau der WWU. In seinem Büro an der Georgskommende hängt das Gemälde von Carl Determeyer, das auch auf dem Titel des Buchs zu sehen ist. Es zeigt den Innenhof des Jesuitenkollegs vor 1906.<address>© WWU - MünsterView</address>
Bildungshistoriker Prof. Dr. Jürgen Overhoff ist Mitherausgeber des neuen Sammelbands über die Gründung und den Aufbau der WWU. In seinem Büro an der Georgskommende hängt das Gemälde von Carl Determeyer, das auch auf dem Titel des Buchs zu sehen ist. Es zeigt den Innenhof des Jesuitenkollegs vor 1906.
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„Man wollte voller Ehrgeiz schnell loslegen“

Jürgen Overhoff über die Gründung der Universität und den neuen Sammelband

Vor 250 Jahren begannen die ersten Vorlesungen an der Universität Münster – unmittelbar nachdem Papst Clemens XIV. am 28. Mai 1773 und Kaiser Joseph II. am 8. Oktober 1773 die entsprechenden Privilegien ausgestellt hatten. Zur Frühgeschichte der Universität erschien kürzlich der Sammelband „Gründung und Aufbau der Universität Münster, 1773–1818“. Im Interview mit Norbert Robers spricht Mitherausgeber Prof. Dr. Jürgen Overhoff über die Gründung der WWU und das neue Buch.

Was war seinerzeit der ausschlaggebende Grund, auch in Münster eine Universität zu gründen?

Es ging Franz von Fürstenberg und dem Bischof vorrangig darum, im eigenen Land, also im Fürstbistum Münster eine Universität zu haben. Denn die an einem Studium interessierten Männer hätten durchaus in Köln oder Paderborn studieren können. Man wollte also auch die eigenen Bürger an sich binden und für das eigene Land ausbilden. Das Fürstbistum Münster war im Übrigen ein großer Flächenstaat im damaligen ,Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation‘.

Mit der Folge, dass es im 18. Jahrhundert im Reich – anders als in England beispielsweise – zahlreiche Universitäten gab.

Richtig, es waren rund 40. Der Grund dafür war die föderale Struktur des Reichs – mit einer Landesuniversität wollte man sein Staatsgebiet aufwerten. England hat sich im 18. Jahrhundert mit Oxford und Cambridge dagegen nur zwei Universitäten gegönnt, Dänemark hatte Kopenhagen, Schweden hatte Uppsala. Zudem ging es auch darum, die Landesuniversität entsprechend der konfessionellen Prägung des jeweiligen Landes auszurichten. Fürstenberg wollte in Münster ein ,katholisches Göttingen‘ gründen.

Wie reagierten denn die Münsteraner damals auf die Gründung der Universität?

Die Stände, also die Ritterschaft, das Domkapitel und die Bürger haben die Gründung schon lange vorher befürwortet. Dazu muss man wissen, dass es bereits weit früher Privilegien für die Gründung einer Universität in Münster gab, es aber aufgrund des Dreißigjährigen Kriegs nicht dazu kam. Jetzt endlich konnten Bürgersöhne aus Coesfeld mit alteingesessenen Freiherren Seit an Seit gemeinsam Recht studieren. Bürger und Adlige kamen unter dem Dach der Wissenschaft zusammen – es handelte sich also auch um eine Aufwertung des Bürgertums.

Welchen „Rang“ nahm die Universität Münster damals im Vergleich zu anderen Universitäten ein?

Zum einen wurde die Universität Münster schnell für die Bürger aus den angrenzenden Ländern bis in die Niederlande hinein attraktiv. Was die Größe betrifft, nahm Münster schon bald eine mittlere Position ein. Im Sommersemester 1818 waren 378 Studenten eingeschrieben. Halle mit rund 1.000 Studenten, Jena und Göttingen waren dagegen nicht nur größer, sie galten auch als ,Star-Universitäten‘.

Warum dauerte es vor dem Hintergrund dieses schnellen „Erfolgs“ denn sieben Jahre lang, also bis 1780, bis die Universität endlich offiziell eröffnet wurde?

Dies war damals nicht ungewöhnlich, in Göttingen gab es eine ähnliche zeitliche Spanne. Man wollte nach der Erteilung der Privilegien durch den Kaiser und Papst, salopp formuliert, voller Ehrgeiz schnell loslegen, zumal man auf Basis des Jesuitenkollegs bereits theologische und philosophische Professoren hatte. Deshalb gab man sich gerne zunächst mit einer ,vorläufigen‘ Inaugurationsfeier zufrieden.

Sie sind Mitherausgeber des neuen Sammelbands zur Frühgeschichte der WWU. Was hat Sie an den anderen Gastbeiträgen besonders fasziniert?

Alle Gastbeiträge bieten innovative und geistreiche Aspekte und Details. Aber der Beitrag des jungen Paderborner Historikers Dominik Wahl über die Phase von 1811 bis 1813, als die Universität Münster unter französischer Herrschaft stand, ragt heraus. Bislang wussten wir wenig bis nichts über diese Episode – und das hat Dominik Wahl nicht zuletzt aufgrund seiner Forschungsarbeit in Paris eindrucksvoll geändert. Napoleon hat mit seiner Unterschrift besiegelt, dass die Universität Münster Teil des französischen Universitätssystems wurde. Die Wissenslücke über diese Zeit ist nun geschlossen. Mich hat darüber hinaus auch das damalige studentische Leben sehr interessiert ...

... das man sich wie vorstellen muss?

Vieles ist tatsächlich mit heute vergleichbar: Die Studenten wohnten in kleinen Zimmern, sie verdienten sich oft Geld dazu, ihre Kleidung sollte weniger höfisch als vielmehr bequem sein. In ihrer Freizeit besuchten sie genauso gerne wie heute Gaststuben, wo sie zechten, sangen, reimten oder Billard spielten. Für die Lehrveranstaltungen gab es in der Regel feste Tage, in den Vorlesungen fertigten sie Mitschriften an, förmliche und standardisierte Prüfungen kamen erst im 19. Jahrhundert auf. Das Studium dauerte etwa vier bis sechs Jahre.

Und wie war das Verhältnis von Lehre und Forschung?

Dies war damals definitiv kein Gegensatz, keine Frage von Entweder-Oder. Für mich sind diese beiden Bereiche auch heute nicht strikt voneinander zu trennen, was ja auch beispielsweise durch den derzeit intensiv propagierten Begriff des ,forschenden Lernens‘ zum Ausdruck gebracht wird. Natürlich war die Lehre im 18. Jahrhundert sehr bedeutsam. Und es entspricht den Tatsachen, dass die Forschung seinerzeit weniger profilträchtig war als die Forschung heute. Aber fortgeschrittene Forscher sind bereits seit den Anfängen der Universitäten im Mittelalter dem Ideal gefolgt, durch ihre Vorträge die Studenten zum eigenständigen Mitdenken zu animieren, was immer auch Fortschritte in der Forschung bedeutete. Lehre war und ist letztlich niemals forschungsfrei. Es ist ein Prozess, mit dem man sich durch das Vermitteln von Wissen Neuland erschließt. Das galt und gilt für die Professoren gleichermaßen wie für die Studenten – damals wie heute.

 

Literaturhinweis:

Jürgen Overhoff, Sabine Happ (Hg.): Gründung und Aufbau der Universität Münster, 1773–1818, Zwischen katholischer Aufklärung, französischen Experimenten und preußischem Neuanfang. Aschendorff-Verlag Münster, 2022. 232 Seiten, 29 Euro. ISBN: 978-3-402-15901-9.

 

Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 1, 2. Februar 2023. Er ist Teil einer Themenseite zum 250-jährigen Vorlesungsbeginn an der Universität Münster.

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