
„Wir stehen zur solidarischen Finanzierung des Semestertickets“
Geht es nach Bund und Ländern, soll ab dem 1. Mai das 49-Euro-Ticket verfügbar sein. Ob es damit auch zu Verbesserungen für die Mobilität der Studierenden kommt, ist unklar. Christopher Margraf vom Referat für Nachhaltigkeit, Mobilität und Infrastruktur des Allgemeinen Studierendenausschusses (AStA) der WWU ordnet im Interview mit Julia Harth die Ausgangslage ein.
Wie beurteilen Sie die geplante Einführung des 49-Euro-Tickets aus Studierendensicht?
Generell begrüßen wir die Einführung eines Ticketmodells, das die Preise von Mobilitätsangeboten für alle Menschen deutlich senkt und mit komplizierten Ticketstrukturen aufräumt. Vermutlich werden jedoch nur wenige mit dem 49-Euro-Ticket durch ganz Deutschland reisen. Ein gestaffeltes Modell wäre sinnvoll gewesen, bei dem es zusätzlich zum bundesweiten Ticket ein Länderticket für 29 Euro und ein Neun-Euro-Ticket für das Kreis- oder Stadtgebiet gegeben hätte. Gerade für Studierende sind 49 Euro im Monat eine Menge Geld, vor allem, wenn sie finanziell benachteiligt sind. Unsere Verträge mit Verkehrsunternehmen, die dem Semesterticket zugrunde liegen, laufen noch bis zum Jahr 2026. Wenn das 49-Euro-Ticket tatsächlich zum 1. Mai startet, haben wir seitens des AStA längst mit der Abwicklung des Semestertickets für das Sommersemester begonnen. Eine Anpassung für Studierende wäre dann voraussichtlich erst zum Wintersemester 2023/24 möglich, beziehungsweise es wären Rückerstattungen mit erheblichem Verwaltungsaufwand nötig.
Könnte das 49-Euro-Ticket zu einem Ausstieg aus dem Semesterticket führen?
Es ist unsere Aufgabe, die Interessen aller jetzigen und zukünftigen Studierenden zu vertreten. Das 49-Euro-Ticket ist zunächst nur befristet und mit einer noch nicht definierten Preisdynamik geplant. Ein blinder Ausstieg aus dem Semesterticket kann daher für künftige Studierende nachteilig sein. Zudem funktioniert das Semesterticket über das Solidaritätsprinzip. Finanziell benachteiligte Studierende können sich die Kosten durch den AStA erstatten lassen, was bei einem individuell gekauften 49-Euro-Ticket nicht geht. Ein genereller Ausstieg aus dem Semesterticket schadet daher vor allem denjenigen, die am dringendsten auf günstige Mobilität angewiesen sind. Für uns gibt es deshalb zwei Möglichkeiten. Zum einen setzen wir uns mit den anderen Studierendenschaften in NRW auf politischer Ebene für ein bundesweit gültiges, solidarisches Semesterticket zum Preis von 129 Euro pro Semester ein. Eine andere Lösung wäre eine Upgrade-Option für das Semesterticket um die Differenz zum 49-Euro-Ticket. Damit würden wir das Solidarprinzip, die regionalen Mitnahmeregelungen sowie die Erstattung für finanziell benachteiligte Studierende erhalten und gleichzeitig dem Bedürfnis derer Rechnung tragen, die ein bundesweit gültiges Ticket nutzen möchten.
Alle Studierenden kaufen bisher mit ihrem Semesterbeitrag auch das Semesterticket – unabhängig davon, ob sie es tatsächlich brauchen. Ist das noch zeitgemäß?
Wir stehen als Studierendenschaft weiterhin zur solidarischen Finanzierung des Semestertickets. Die Teilhabe an Mobilität darf nicht vom Geldbeutel abhängen. Sowohl unsere repräsentativen Umfragen unter den Studierenden als auch die Mobilitätsbefragung der Uni sowie die Downloadzahlen weisen auf eine starke Nutzung des Semestertickets durch die Studierenden hin. Besonders für Pendler – zum Semesterstart 2018 waren es 30 Prozent – ist das Semesterticket von großer Bedeutung. Ebenfalls müssen wir mobilitätseingeschränkte Studierende berücksichtigen, die nicht überwiegend das Fahrrad nutzen können.
Wie stellen Sie sich aus Studierendensicht die Mobilität der Zukunft vor?
Das Rückgrat der Mobilität der Zukunft ist ein günstiger, leistungsfähiger, zuverlässiger und hoch getakteter öffentlicher Personennahverkehr. Ergänzt wird dieses Angebot durch multimodale Angebote wie Fahrradparkhäuser, Park-and-Ride-Parkplätze vor der Stadt und smarte City-Logistik. Besonders für ältere und mobilitätseingeschränkte Personen sollte und wird es zusätzlich weiterhin motorisierten Individualverkehr geben, der vollständig batterieelektrisch funktioniert, aber deutlich reduzierter ist als heute.
Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 1, 2. Februar 2023.