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Münster (upm).
Dr. Ferya Banaz-Yasar, Koordinatorin der Hospizarbeit am Universitätsklinikum Essen, Doktorand Florian Bernhardt und Prof. Dr. Philipp Lenz, Leiter der Palliativmedizin am UKM (v. l.), diskutieren über die Ergebnisse der Studie.<address>© UKM - Marcus Heine</address>
Dr. Ferya Banaz-Yasar, Koordinatorin der Hospizarbeit am Universitätsklinikum Essen, Doktorand Florian Bernhardt und Prof. Dr. Philipp Lenz, Leiter der Palliativmedizin am UKM (v. l.), diskutieren über die Ergebnisse der Studie.
© UKM - Marcus Heine

Alles hängt vom Vertrauen ab

Florian Bernhardt untersucht in einer Studie den Zugang von Muslimen zur Palliativversorgung

Palliativmedizin hat sich seit einigen Jahren in Deutschland etabliert und ist aus der Versorgung schwerkranker Menschen am Lebensende nicht mehr wegzudenken. Sie sorgt in dieser Situation insbesondere für eine verbesserte Symptomkontrolle und Lebensqualität. Ein Problem aber ist, dass einzelne Patientengruppen, beispielsweise Migranten, bei der Palliativversorgung unterrepräsentiert sind. Florian Bernhardt, Doktorand der Medizin, hat mit Prof. Dr. Philipp Lenz, ärztlicher Leiter der Zentralen Einrichtung Palliativmedizin am Uniklinikum Münster, über 30 Interviews mit Muslimen geführt, um deren Meinungen, Bedenken und Erwartungen zu diesem Thema kennenzulernen – seine von der „schoberstiftung“ geförderte Studie trägt den Titel „Zugang zu Palliativversorgung von muslimischen Eingewanderten und ihren direkten Nachkommen in Deutschland – Möglichkeiten, Hindernisse, Vorbehalte (ZuPaMEN)“.

Die Studie wird in vier sogenannten Armen durchgeführt: bei a) Patienten, die bereits eine palliative Versorgung bekommen oder b) Anspruch darauf hätten, c) den Angehörigen dieser Patienten, und schließlich bei d) Experten wie Imamen oder Ärzten. „Wir interviewen dabei nicht nur möglichst viele Personen, sondern solche mit maximalen Unterschieden, also zum Beispiel mit und ohne Fluchterfahrungen oder mit geringer und hoher Bildung“, erklärt Florian Bernhardt. Bislang befragten die Verantwortlichen der Studie Sunniten, Schiiten und Alewiten aus sieben verschiedenen Ländern, die als Muttersprache Türkisch, Arabisch und Albanisch sprechen. Wenn nötig, zogen sie Dolmetscher hinzu.

Im Hinblick auf die Palliativversorgung hat die Studie gezeigt, dass viele Muslime gar nicht verstehen, worum es dabei geht. „Sie haben selten eine bewusste Entscheidung für die Palliativmedizin getroffen, sind aber mit der Versorgung meist sehr zufrieden“, führt der Doktorand aus. Einige muslimische Patienten sprächen wenig bis kein Deutsch oder verstünden die medizinische Fachsprache nicht. Umso wichtiger sei die nonverbale Kommunikation, für die Ärzte sich aber häufig nur wenig Zeit nähmen. „Die große Frage ist: Inwieweit wird ein bestimmter Patient wahrgenommen?“, betont Florian Bernhardt. Erschwerend sei auch, dass das Wort „palliativ“ in vielen Sprachen nicht existiere.

Bei vielen Muslimen sei die Familie extrem wichtig – vielfach gebe es die Erwartung, dass die Familien die Patienten bis in den Tod begleiten und pflegen. „Der Anspruch, die Versorgung selbst übernehmen zu wollen, übt einen enormen Druck auf die Angehörigen aus, denn in Deutschland, wo viele Muslime der zweiten und dritten Generation voll berufstätig sind, ist das häufig nicht umsetzbar“, berichtet der Mediziner. Vielen sei auch nicht klar, welche Unterstützungsmöglichkeiten es gebe. Was sich die Patienten und Angehörigen wünschten, sei ein fester und kundiger Ansprechpartner. Das würde den Familien, die die Situation nicht mehr allein bewältigen können, helfen und viele Einweisungen in die Notaufnahme überflüssig machen. „Wir brauchen eine Handlungsempfehlung, wie wir diesem Wunsch in Zukunft nachkommen können“, meint Florian Bernhardt.

Darüber hinaus fordert der Doktorand eine möglichst frühzeitige Integration von palliativen Strukturen in den Krankheitsverlauf. Dadurch könne man verdeutlichen, dass die Patienten im Falle einer palliativmedizinischen Behandlung keineswegs abgeschoben oder aufgegeben würden, sondern dass Palliativmedizin auch über längere Zeit viel Gutes bewirken kann. „Am Ende hängt alles davon ab, wie viel Vertrauen der Patient und die Familie in das Behandlungsteam haben“, bilanziert der Nachwuchswissenschaftler.

Das bestätigt der Leiter des Zentrums für Islamische Theologie (ZIT) der Universität Münster, Prof. Dr. Mouhanad Khorchide. „Krankenhausseelsorge kommt in der islamischen Welt kaum vor“, erklärt der Religionspädagoge. „In den überlieferten Hadithen wird an die Familienangehörigen appelliert, die Kranken zu besuchen. Ihre Begleitung gilt als islamische Tugend und ist Sache der Familie.“ Dass man sich um ältere Menschen kümmern solle, sei allerdings kulturell gewachsen sowie ein Erbe der vorislamischen Stammesstruktur und keine religiöse Verpflichtung im engeren Sinn. „Frauen sind oft die Leidtragenden dieser Einstellung, denn sie müssen die Angehörigen zu Hause rund um die Uhr pflegen. Dadurch entstehen immer mehr Konflikte mit den jüngeren Generationen“, betont Mouhanad Khorchide.

Es sei jedoch keine Sünde, die Pflege und Betreuung der Angehörigen an Ärzte zu übertragen, wie einige Imame und Hodschas oft behaupteten. Ähnlich sei es mit der Ansicht, dass bei einem Todkranken in jedem Fall die Maximaltherapie zum Einsatz kommen müsse, da nur Allah das Leben geben oder nehmen könne. „Indem sie dafür sorgen, dass alles bis zum Äußersten probiert wird, wollen die Angehörigen ihr Gewissen beruhigen“, unterstreicht der ZIT-Leiter. Das Problem sei vor allem die mangelnde Transparenz. Deshalb müssten solch grundsätzlich-ethischen Fragen Bestandteil der schulischen Bildung werden, und auch innerhalb der Familien müsse man dieses Thema offen und ehrlich besprechen. „Der Tod wird unter Muslimen oft tabuisiert“, stellt der islamische Theologe fest. „Wenn man ihn enttabuisiert, hilft das allen Beteiligten.“

Autor: Gerd Felder

Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 8, 21. Dezember 2022.

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