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Münster (upm/kn).
Polizisten lösten die Hand eines Klimaaktivisten vom Asphalt in Berlin. Aktivisten der „Letzten Generation“ hatten sich im Berufsverkehr mit einer Hand auf die Fahrbahn geklebt, um gegen die Klimapolitik der Bundesregierung zu protestieren.<address>© picture alliance/dpa - Jörg Carstensen</address>
Polizisten lösen die Hand eines Klimaaktivisten vom Asphalt in Berlin: Aktivisten der „Letzten Generation“ hatten sich im Berufsverkehr mit einer Hand auf die Fahrbahn geklebt, um gegen die Klimapolitik der Bundesregierung zu protestieren.
© picture alliance/dpa - Jörg Carstensen

„Einige Aktionen sind im rechtlichen Sinn vielleicht Gewalt, aber nicht automatisch strafbar“

Rechtswissenschaftler Frank Zimmermann über die strafrechtliche Bewertung der aktuellen Klimaproteste

Verschandelte Kunstwerke, blockierte Straßen oder die Blockierung des Hauptstadtflughafens: Die Forderungen nach schärferen Strafen für die Klimaaktivisten der „Letzten Generation“ nehmen unter Politikern, in der Öffentlichkeit und in den Medien zu. Prof. Dr. Frank Zimmermann vom Institut für Kriminalwissenschaften, Abteilung V, der WWU erklärt im Interview mit Kathrin Nolte, wie die Proteste rechtswissenschaftlich zu bewerten sind und welche Strafvorschriften greifen könnten.

Wie sind die Aktionen der Aktivisten aus strafrechtlicher Perspektive generell zu beurteilen?

Etwas im Strafrecht generell zu beurteilen, ist schwierig. Man muss immer den Einzelfall betrachten. Es gibt allerdings einige Vorschriften, die übergeordnet für alle Arten von Straftaten relevant sind. Beispielsweise die Vorschriften über den Notstand: Er beschreibt eine Situation, in der man sich zwischen einem Interesse entscheiden muss, das man retten kann, aber dafür ein anderes Interesse aufopfern muss.

Es ist davon auszugehen, dass für die Klimaaktivisten eine Notsituation vorliegt …

Aus der Wahrnehmung der Aktivsten besteht eine akute Gefahr durch den Klimawandel, die vermeintlich Eingriffe wie die deutschlandweiten Proteste rechtfertigt. Die Notstandsvorschrift ist aber darauf nicht zugeschnitten. Denn sie setzt eine gegenwärtige Gefahr voraus – also eine Situation, in der es ‚Spitz auf Knopf‘ steht und es einer akuten Entscheidung bedarf.

Gibt es ein gängiges Lehrbuch-Beispiel für die Beschreibung eines Notstandes?

Prof. Dr. Frank Zimmermann<address>© WWU - Lukas Walbaum</address>
Prof. Dr. Frank Zimmermann
© WWU - Lukas Walbaum
Der Angriff durch einen Hund ist ein gutes Beispiel. Um das Tier abzuwehren, muss der Angegriffene die Zaunlatte seines Nachbarn abbrechen und beschädigt dadurch den Zaun. Der Klimawandel ist zwar so weit fortgeschritten, dass sofortiger Handlungsbedarf besteht, um noch etwas bewirken zu können. Allerdings ist das Zeitfenster, das für die Eindämmung des durch den Menschen verursachten Klimawandels besteht, noch vergleichsweise lang. Außerdem können die Protestaktionen bestenfalls sehr mittelbar etwas zur Abwendung der Klimakatastrophe beitragen. Für solche Fälle sind die Notstandsnormen nicht gedacht.

Für die Demonstranten besteht also die Gefahr, sich durch ihre Proteste strafbar zu machen?

Ja. Bereits seit Jahrzehnten diskutieren Rechtsexperten zwar über den sogenannten zivilen Ungehorsam. Dass diese gesetzlich nicht geregelte Situation aber die Strafbarkeit ausschließt, wird nur vereinzelt vertreten. Letztendlich muss man bei einer generellen Beurteilung der Proteste zumindest immer auf die Grundrechte wie die Meinungs- oder Versammlungsfreiheit und deren Auslegung zurückgreifen. Man darf also nicht nur das Strafgesetzbuch im Blick haben. So setzt der Nötigungsparagraf beispielsweise voraus, dass die Tat als verwerflich einzustufen ist. Dient die Tat dazu, die Gesellschaft aufzurütteln, wird das Verhalten oftmals durch Grundrechte geschützt sein, dann fehlt es natürlich an der Verhältnismäßigkeit.

Bedarf es einer Verschärfung der bestehenden strafrechtlichen Regelungen?

Da kann ich mich kurzfassen: nein. Es gibt sehr viele Strafvorschriften wie die Nötigung oder die Sachbeschädigung, die man anwenden kann, wenn der Protest der Klimaaktivisten im Einzelfall nicht mehr hinnehmbar ist.

In einem Brief der „Letzten Generation“ an die Bundesregierung heißt es: „Diese Störung werden wir nicht einstellen, bis wir von Ihnen eine Reaktion bekommen, die es unserem Gewissen erlaubt, aufzuhören. Dabei werden wir uns diszipliniert gewaltfrei verhalten.“ Wann ist eine Aktion gewaltfrei und fällt unter das Demonstrations- und Versammlungsrecht?

Hier ist ganz offensichtlich nicht der Gewaltbegriff im Sinne der Nötigungsvorschrift im Strafgesetzbuch gemeint. Zwar wird danach beispielweise eine reine Sitzdemonstration nach dem Bundesverfassungsgericht nicht als Gewalt angesehen. Das ändert sich aber, sobald ein über das bloße Sitzen auf der Straße hinausgehendes physisches Element hinzukommt und dadurch auf eine weitere Person körperlicher Zwang ausgeübt wird. Das ist der Fall, wenn sich Demonstranten festketten oder festkleben und dadurch eine Barriere auf der Straße errichten, aber auch schon, wenn ein Autofahrer anhalten muss und zum unüberwindbaren Hindernis für die nachfolgenden Fahrer wird. In diesem Fall werden die Auswirkungen für die weiteren Autofahrer als körperlicher Zwang, also als Gewalt angesehen. Der Gewaltbegriff im Nötigungstatbestand reicht also sehr weit. Genau deshalb ist bei dieser Vorschrift die bereits erwähnte Prüfung der Verwerflichkeit so wichtig, bei der die Grundrechte zu berücksichtigen sind. Man kann also sagen: Vielleicht sind zumindest einige Aktionen im rechtlichen Sinn bereits Akte der Gewalt. Sie sind aber deshalb nicht automatisch verwerflich und strafbar.

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