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Münster (upm/kn).
Prof. Dr. Corinna Norrick-Rühl hat die Privilegien des privaten Buchbesitzes unter die Lupe genommen.<address>© WWU - MünsterView</address>
Prof. Dr. Corinna Norrick-Rühl hat die Privilegien des privaten Buchbesitzes unter die Lupe genommen.
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Aufstieg eines Möbelstücks

Corinna Norrick-Rühl erforschte die Bedeutung von Bücherregalen während der Pandemie

Im Frühjahr 2020 veränderte sich unsere Welt. Wir lebten im Lockdown und arbeiteten im Homeoffice. Wir gingen auf Distanz zur Familie, zu Freunden und Arbeitskollegen. Wir suchten nach Nudeln, Hefe und Klopapier. Die Coronapandemie schränkte unser bisheriges Alltags- und Berufsleben erheblich ein. Die Plattform „Zoom“ ist währenddessen zum Inbegriff von digitalen Videokonferenzen und Besprechungen geworden. Und ein Möbelstück stieg zum unverzichtbaren Requisit für virtuelle Treffen und Medieninterviews auf – das private Bücherregal. Mit dem Sammelband „Bookshelves in the Age of the COVID-19 Pandemic“ (auf Deutsch: Bücherregale im Zeitalter der COVID-19-Pandemie) hat Dr. Corinna Norrick-Rühl, Professorin für Buchwissenschaft am Englischen Seminar der WWU, als Mitherausgeberin die Privilegien des privaten Buchbesitzes unter die Lupe genommen und mit 14 Autorinnen und Autoren ausgehend vom schwedischen Billy-Regal die Frage nach der gesellschaftlichen Teilhabe untersucht.

„Das Buch und das gut gefüllte Bücherregal sind schon seit jeher Statussymbole. Gut bestückte Regale im privaten Zuhause markieren Autorität, Sicherheit, das ‚Angekommensein‘ an einem Ort“, schildert Corinna Norrick-Rühl, „mit der Pandemie verschwammen aber die Grenzen zwischen beruflichen und privaten Räumen. Unsere Einrichtung, unsere Familien, unsere Bücherregale wurden plötzlich sichtbar.“ Jeder konnte nun aufgezeichnete und veröffentlichte Videogespräche anhalten, in denen bekannte Persönlichkeiten vor einem Regal saßen, und nachschauen, welche Buchtitel zu sehen sind. „Wer selbst gerne liest, möchte wissen, was jemand anderes liest. Im Grunde genommen ist das eine natürliche Neugier – wie in beleuchtete Fenster zu schauen, wenn man abends spazieren geht“, erläutert die Buchwissenschaftlerin. Zu Beginn der Pandemie wurde auf dem Mikrobloggingdienst Twitter beispielsweise der Account „Bookcase Credibility“ eingerichtet, der mittlerweile mehr als 115.000 Follower hat. Dort werden bis heute regelmäßig Kurzkritiken von Bücherwänden veröffentlicht, die bei Interviews in den Medien sichtbar sind.

Öffentliche Bibliotheken und Büchereien waren während der Coronapandemie über einen längeren Zeitraum geschlossen. Ob Bestellmöglichkeiten mit Abholfenstern oder Bücherboxen – zahlreiche Einrichtungen haben sich schnell überlegt, wie die Leser trotz der Lockdown-Bestimmungen Bücher erhalten. „Dennoch fehlten in der Pandemie für viele Menschen – besonders für Kinder aus buchfernen Haushalten – niedrigschwellige und kostenlose Angebote, da der Zugang zu Büchern auch über Kindertagesstätten und Schulbibliotheken gewährleistet wird“, betont Corinna Norrick-Rühl. Buchnahe Haushalte hätten hingegen überdurchschnittlich viele Bücher gekauft; insbesondere der Kinder- und Jugendbuchsektor habe einen wahren Boom erlebt.

Publikation

Corinna Norrick-Rühl, Shafquat Towheed (Hg.): Bookshelves in the Age of the COVID-19 Pandemic. Berlin 2022. 297 Seiten, 139,09 Euro. ISBN: 978-3-031-05291-0.

Autorin: Kathrin Nolte

Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 7, 16. November 2022.

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